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Münster (upm/kn/ab).
Willkommen in der Gegenwart: KI kann unser Privat- und Berufsleben vereinfachen, sie birgt aber auch Gefahren.<address>© stock.adobe.com - Sergey Nivens</address>
Willkommen in der Gegenwart: KI kann unser Privat- und Berufsleben vereinfachen, sie birgt aber auch Gefahren.
© stock.adobe.com - Sergey Nivens

Die Revolution der Internetrecherche

Das KI-Programm ChatGPT ist „ein neuer Meilenstein“ – es bietet nicht nur für Universitäten Chancen und Risiken

Innerhalb von Sekunden liefert das Programm Antworten auf nahezu alle erdenklichen Fragen. Es verfasst Gedichte und Essays, schreibt Programmiercodes oder schlägt Marketingkampagnen vor. Wer möchte, kann sich sogar Beziehungstipps geben lassen. Als digitale Allzweckwaffe verändert ChatGPT mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) seit seiner Veröffentlichung im November 2022 unsere Welt im Sturmlauf.

„Für uns Informatiker wurde mit ChatGPT ein neues Referenzsystem geschaffen, das besser ist als alles, was wir vorher hatten“, erläutert Prof. Dr. Benjamin Risse vom Institut für Geoinformatik der Universität Münster. Aus seiner Sicht ist die Software ein neuer Meilenstein in der Entwicklung von KI-Modellen. ChatGPT ist ein textbasierter Chatbot, der mit Menschen interagiert und natürliche Sprache produziert. Die Abkürzung GPT bedeutet „Generative Pretrained Transformer“. Diese drei Wörter stehen in der KI-Fachsprache dafür, wie die Entwickler das Modell konstruiert haben: Der Text-Roboter setzt sich aus bestimmten Lern-Algorithmen zusammen und wurde mit gewaltigen Textmengen aus dem Internet befüllt. Bislang stützt sich das Programm, das die amerikanische Firma OpenAI entwickelt hat, auf rund 45 Millionen Seiten Text. Die Bedienung über eine Chat-Maske ist einfach. Alle Experten sind sich einig: Mit ChatGPT und ähnlichen Systemen steht kein neues Spielzeug à la Konsole zur Verfügung, sondern ein mächtiges System. Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ sprach in seiner Ausgabe vom 4. März gar von einer „neuen Weltmacht“. Mitte März stellte OpenAI mit GPT-4 eine erweiterte Version des KI-Sprachmodells vor, das auch Bilder erkennen und beschreiben kann.

Auch für die Forschung und Lehre an Universitäten ergeben sich aus den Möglichkeiten neue Herausforderungen. Dürfen Programme wie ChatGPT bei Erstellung von schriftlichen Arbeiten genutzt werden – egal ob für ein Essay, eine Hausarbeit oder Promotion? Die Antwort des Rektorats der Universität Münster auf diese Frage fällt eindeutig aus: „Wo Studierende Texte verfassen sollen, ist die Nutzung von textgenerierenden KI-Systemen grundsätzlich nicht zulässig. Die Verwendung ist ein Rechtsverstoß.“ Gleichzeitig hat die Hochschulleitung eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um die kommenden Entwicklungen zu begleiten und einen Umgang mit textgenerierenden KI-Systemen zu entwickeln, der sowohl den Risiken als auch den Chancen Rechnung trägt.

„Was wir gerade erleben, wird das Lehren und Lernen verändern“, analysiert Prof. Dr. Stefan Klein vom Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Münster. „Wir versuchen, schnell auf diese Entwicklung zu reagieren.“ Bereits im Sommersemester 2023 bietet unter anderem das Institut für Wirtschaftsinformatik Veranstaltungen an, die sich mit ChatGPT auseinandersetzen. „Wir müssen Studierende sensibilisieren und das kritische, eigenständige und mündige Denken weiter fördern“, betont Stefan Klein. Diese Meinung vertritt auch Prof. Dr. Ulrike Röttger vom WWU-Institut für Kommunikationswissenschaft. „Es gab schon immer Hilfsmittel, deren unlautere Nutzung verboten war. Deshalb müssen wir ein Problembewusstsein auf Grundlage der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis schaffen“, verdeutlicht sie. „Meinem Menschenbild entspricht es nicht, dass Studierende generell betrügen. Vielmehr möchte ich ihnen vermitteln, dass wissenschaftliches Arbeiten Spaß macht.“

Mit der Kombination aus Google und Wikipedia bietet ChatGPT zwar Informationen in Sekundenschnelle. Aber es hat noch Schwächen. Die Software liefert teilweise falsche und nicht aktuelle Antworten. Denn sie greift zurzeit auf Daten bis September 2021 zurück. Sie weiß beispielsweise nicht, dass Argentinien im Dezember 2022 Fußballweltmeister geworden ist. Der Chatbot veröffentlicht neben falschen Informationen auch fiktive – Experten nennen das halluzinieren.

Dass Unternehmen wie der Softwaregigant Microsoft mit Milliarden-Investitionen in die Firma OpenAI auf den KI-Zug aufspringen, zeigt die Branchenmacht von ChatGPT. Auch der Suchmaschinen-Primus Google scheint die Entwicklung ernst zu nehmen. Nach der Veröffentlichung von ChatGPT soll der Internetkonzern laut der „New York Times“ einen „Code Red“, also eine hohe Alarmstufe, ausgerufen haben. „Die Suche im Internet wird durch ChatGPT revolutioniert, da wir uns Inhalte sehr schnell erschließen können“, ist sich Stefan Klein sicher. „Perspektivisch wird das unser Suchverhalten verändern“, ergänzt Benjamin Risse.

Der Geoinformatiker geht außerdem davon aus, dass KI-Technologie in Zukunft in vielen Lebensbereichen vermehrt zum Einsatz kommen wird. Großes Potenzial hat seiner Meinung nach der Bereich „Computer Vision“, also die KI-Technologie, die in der Lage ist, Bilder und Videos zu verarbeiten und zu verstehen. „Das wird ein großes Thema beim autonomen Fahren“, erklärt Benjamin Risse. Ein zweiter KI-Bereich nennt sich „Natural language processing“. Dabei geht es um die Verarbeitung natürlicher Sprache. „Das ist im Grunde das, was ChatGPT oder der Übersetzungsdienst DeepL machen.“ Ein weiterer KI-Bereich nennt sich „Decision making“, der nach Einschätzung von Benjamin Risse noch bedeutsamer wird. „Bereits jetzt gibt es KI, die helfen, Entscheidungen im Börsenhandel zu treffen“, erläutert er. Für ebenso wichtig hält er das Feld der „Predictive analytics“. Es dient dazu, mithilfe von Daten die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Ergebnisse zu prognostizieren – für Versicherungen könnte das von großem Interesse sein.

Der KI-Markt unterliegt derzeit einer globalen Dynamik. Das verdeutlicht nicht zuletzt das große Interesse der chinesischen Regierung an der ChatGPT-Technologie. Der chinesische Google-Rivale Baidu präsentierte Mitte März mit Ernie ein Konkurrenzprodukt.

Autorinnen: Kathrin Nolte und Alice Büsch

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 29. März 2023.

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