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Münster (upm/jh)
Elham Sayed Hashemi lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Am Studium gefallen ihr besonders die praktischen Anteile.<address>© WWU - Julia Harth</address>
Elham Sayed Hashemi lebt seit zehn Jahren in Deutschland. Am Studium gefallen ihr besonders die praktischen Anteile.
© WWU - Julia Harth

Elham Sayed Hashemi aus Afghanistan studiert Zahnmedizin an der WWU

„Münster ist tolerant und weltoffen“

Mal eben mit dem Fahrrad in die Bibliothek fahren, Fachbücher in der eigenen Sprache lesen und in Praxisseminaren das spätere Handwerk lernen. Für die meisten Studierenden an der Universität Münster ist das selbstverständlich. Nicht so für Elham Sayed Hashemi. Für sie ist es ein Traum, der nach vielen Hürden, Tränen und Verlusten Wirklichkeit geworden ist. Im Iran geboren und in Afghanistan aufgewachsen, erlebte sie die Schrecken von Bürgerkrieg und Terror hautnah. Ein selbstbestimmtes Leben führen, ohne Angst zur Uni gehen, Ärztin werden – all das war dort nahezu unmöglich. Vor zehn Jahren verließ die junge Frau deshalb ihre Heimat. Heute steht sie an der WWU kurz vor dem Zahnmedizin-Examen.

„Es ist wie eine andere Welt“, sagt die 30-Jährige über ihr neues Leben in Deutschland und erinnert sich an einen Tag, an dem sie an der Kabul Medical University ein Anatomie-Seminar besuchte. „Ein Knall brachte die Fensterscheiben zum Zittern. Kurz darauf hörten wir Schüsse und Menschen schreien.“ Der Anschlag der Taliban schreckte Elham Sayed Hashemi und ihre ein Jahr ältere Schwester, die ebenfalls Medizin studierte, auf. „Wir träumten von einem einigermaßen normalen Leben. Doch in Afghanistan lebt man nicht, man überlebt“, sagt sie mit leiser Stimme. „Tagsüber hatten wir Angst vor Selbstmordattentätern, vor Entführungen, Enthauptungen und Säureangriffen, von denen wir täglich durch die Medien erfuhren, und nachts vor Raketenangriffen.“ Ihre Eltern, gebildete, weltoffene und nicht übermäßig religiöse Menschen, kämpften bis an die Grenze ihrer Kräfte für die Sicherheit und Zukunft ihrer Kinder. Als Elham Sayed Hashemi 20 Jahre alt war, entschied sich die Familie zur Flucht.

Zunächst kam sie in einem Flüchtlingsheim in Schöppingen unter, bevor sie in Bielefeld ihren Asylantrag stellte. Der Neustart war jedoch alles andere als leicht. „Wir wollten möglichst schnell Deutsch lernen und wieder studieren“, erinnert sie sich. Sprachkurse waren jedoch teuer. Als Asylsuchende durfte sie nicht arbeiten. Eine Zwickmühle. Ein Stipendium finanzierte ihr schließlich einen Intensiv-Kurs. Zu Hause übte sie beharrlich Deutsch mit ihrer Familie.

Zwei Jahre dauerte es, bis sich ihr Traum erfüllte: Dank ihres Deutsch-Zertifikats, guter Abiturnoten und der Studienleistungen aus vier Semestern an der Universität in Kabul wurde Elham Sayed Hashemi zum Medizinstudium zugelassen. Lange währte die Freude darüber jedoch nicht. „Bis heute weiß ich nicht, warum ich mich für Halle an der Saale entschieden habe“, sagt sie. Vorurteile und Ausgrenzung führten dazu, dass sie Studiengang und Studienort nach kurzer Zeit wechselte. Diese Entscheidung hat sie bis heute nicht bereut.

„In Münster habe ich mich von Anfang an wohl gefühlt. Die Stadt ist weltoffen und tolerant“, betont Elham Sayed Hashemi in nahezu perfektem Deutsch. Mit Wörterbüchern und der Hilfe von Kommilitonen boxte sie sich durch die ersten Semester Zahnmedizin – ein interessantes und abwechslungsreiches Studium, wie sie sagt. Inzwischen hat sie das sechste Semester beendet. Vor allem die praktischen Anteile gefallen ihr gut. „In Afghanistan besteht das Medizinstudium vor allem aus Theorie. Eine richtige Bibliothek gibt es nicht.“ Fachliteratur ist überwiegend auf Englisch und nicht in ihrer Muttersprache Dari verfügbar, einer Variation der persischen Sprache, die in Afghanistan gesprochen wird. „Das Studium in Deutschland ist viel intensiver und umfangreicher“, urteilt die Studentin. Ihre Schwester hat inzwischen eine Arbeitsstelle als Assistenzärztin in einem Krankenhaus gefunden. Sie selbst träumt von einer eigenen Praxis. „Das wird aber nicht leicht“, blickt sie realistisch in die Zukunft.

Neben der Medizin ist das Schreiben eine große Leidenschaft von Elham Sayed Hashemi. Ihre Erfahrungen mit den verheerenden gesellschaftlichen Verhältnissen in Afghanistan hat sie in einem Roman niedergeschrieben, der kürzlich unter dem Titel „Mahrokh – Die Frau eines Terroristen“ im Agenda-Verlag erschienen ist. Zwar handelt das Buch von fiktiven Personen, die Geschichte beruht jedoch auf persönlichen Erfahrungen der Autorin und trägt dazu bei, Hintergründe und Mentalitäten besser zu verstehen. „Mahrokh ist eine starke Frau, sie boxt sich durch“, sagt Elham Sayed Hashemi. Genau wie sie selbst.

Autorin: Julia Harth

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung „wissen|leben“ Nr. 2, 3. April 2019.

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