Lissabon liegt am Meer.

Letzten Samstag bin ich früh aufgewacht. Leicht verkatert, ja. Das lässt sich hier in Lissabon einfach nicht vermeiden. Ich habe einmal versucht am Wochenende einen Abend zu Hause zu bleiben. Leider war es so wie beim AC/DC-Konzert in der ersten Reihe neben den Verstärkern zu stehen. Diese Idee wurde also schnell verworfen. Doch nun stehe ich vor einem anderen Problem: Zum ersten Mal habe ich keine festen Pläne für den Tag. Nun mag das nach einer langen Praktikumswoche mit wenig Schlaf für den ein oder anderen nach einem wahrgewordenen Wunschtraum klingen. Für mich war es leicht beängstigend und eine Situation, die ich so nicht stehen lassen konnte.

Plötzlich kommt mir ein Geistesblitz.  45 Minuten später stehe ich mit meinem Freund Hendrik am Praca de Espanha und warte auf den Bus Nummer 161 nach Caparica. Costa da Caparica ist ein Küstenort nahe der portugiesischen Hauptstadt, man muss nur einmal die Brücke überqueren, rechts abbiegen und schon ist man in einer anderen Welt. Wir steigen ein, bezahlen 2,60 € und stürmen nach hinten mit den Worten „Letzte Reihe, Klassenfaaahrt“. Hendrik ist leicht aufgeregt, denn er wird jetzt zum ersten Mal die „Ponte 25 de Abril“ überqueren. Ich leiste ihm seelischen Beistand, indem ich ihn mit M&M’s füttere. Nach einer hitzigen Diskussion darüber, ob blond oder brünett besser ist (zwischendurch herrscht ernsthaft für kurze Zeit wütendes Schweigen, er ist aber auch selber schuld, er musste ja persönlich werden) lässt man uns an unserem Zielort raus. Die strahlende Sonne, das Meeresrauschen und ein ausdrucksstarker High Five lassen uns wieder Freunde werden.

Jetzt kann ich ja verraten, was wir hier tun: ich möchte mir ein Surfbrett + Neoprenanzug kaufen und somit für die Zukunft vorsorgen, falls mal wieder ein Tag ohne besondere Pläne ansteht. Ich packe also das Problem an der Wurzel und verschaffe mir quasi lebenslange Beschäftigung. Ich erkläre nun aber kurz das Problem: diese Sachen kriegt man nicht für 2,50 €. Es muss also schnell gehen, bevor ich merke, was ich hier tue. Ähnlich wie beim Wettessen, bei dem man den Körper überlistet und so viel wie möglich isst, bevor sich das Sättigungsgefühl einstellt. Zwei Stunden später stehe ich überglücklich auf der Strandpromenade. Danke Gott für die Kreditkarte, bei der man gar nicht merkt, dass man Geld ausgibt. Es fühlt sich gut an, ich bin für einen kurzen Moment unbesiegbar.

Ich liebe diesen Sport. Es ist eine völlig irrationale Angelegenheit. Es ist höchstanstrengend, ich kann es immer noch nicht besonders gut und in 90 % der Zeit wird mir dabei ziemlich wehgetan. Trotzdem habe ich seit Jahren den Drang, es immer wieder und weiter zu tun. An sämtlichen Orten, egal ob bei 5 Grad Wassertemperatur oder viel zu großen Wellen, egal ob ich lange Autofahrten in Kauf nehmen oder morgens um 5 aufstehen muss. Ich bin immer motiviert. Denn wenn man sich durch das tobende Weißwasser kämpft, zwischendurch die Wellen beleidigt und anbrüllt, von allen Seiten durchgeschleudert wird, sein Brett an den Kopf bekommt oder kurzzeitig denkt man würde ertrinken: Der Moment, an dem man erkennt, dass es nicht mehr weit ist, die letzten Kräfte mobilisiert, sich durch die letzte Welle kämpft und hinter dem Breakpoint ankommt, an dem das Meer flach wie ein See ist, einem anderen Surfer zunickt, der es auch gepackt hat, sich auf sein Brett setzt und tief Luft holt: Diesen Moment kann man nur mit sehr wenig aufwiegen. Ich bin völlig am Ende und muss mich erst mal ausruhen. Am Horizont geht langsam die Sonne unter und ich sitze Ende Oktober bei 27 Grad auf einem Surfbrett und genieße den Ausblick auf das portugiesische Festland. Hendrik wird es später auf der Busfahrt zurück nach Lissabon auf den Punkt bringen: „Ich glaube du hast deine Work/Life-Balance gefunden.“ Er hat vollkommen Recht. Heute nach schlafe ich selig ein. Trotz AC/DC-Konzert vor meiner Tür in Bairro Alto.

Über Marius

Hallo und bom dia. Mein Name ist Marius und ich darf 6 Monate in Lissabon verbringen. Ich mache ein Praktikum im Project Management von Volkswagen Autoeuropa, wofür ich täglich um 5 Uhr aufstehe, um zur Arbeit zu kommen. Ich wohne in Bairro Alto über 3 verschiedenen Bars, die um 2 Uhr schließen. Ich bin gerade also noch in der "Lebensrhythmus-findungsphase". Ich hoffe ich kann den ein oder anderen mit meinen Berichten erfreuen und/oder dazu ermutigen selbst den Schritt ins Ausland zu wagen. Viele Grüße aus Portugal, euer Marius

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.