Irland: St Patrick’s Day, Pubs, Kleeblätter – right?

… nicht ganz. Oder eher: ganz und gar nicht! Zugegeben, seit Beginn meines Praktikums am High Cross College in Tuam (/ˈtjəm/ – the fastest city in Ireland, wie die locals immer scherzen), einem für deutsche Verhältnisse kleinen Örtchen, habe ich auf ca. 9.000 Einwohner:innen bereits mindestens zehn Pubs gespottet und weitere elf sind mir bisher entgangen, aber: die Pubkultur mit ihrer Livemusik und dem Guinness, das man in Irland jeden Tag auf firmeneigenen Lastern in großen Fässern herumfahren sieht,  stellen nur einen Ausschnitt dar. Sie sind eine Chiffre für einen größeren Zusammenhang: eine auf einem großen Gemeinschaftsgefühl fußende Geselligkeit und Zugewandtheit, die auch Klassengrenzen (in einem gewissen Maße) überwindbar macht.

Es existiert ein Zugehörigkeitsgefühl und ein gemeinsamer Wertekanon, der sich teils auch durch die noch immer recht einflussreiche katholische Kirche in Irland und die Kolonialgeschichte des Landes (als Stichpunkt soll hier die Great Famine im 19. Jahrhundert reichen) speist. War ich vor Antritt meines Praktikums im Rahmen meines Lehramtsstudiums (GymGes Englisch, SoWi, Französisch) noch unsicher, inwieweit bzw. ob sich die Ir:innen überhaupt vom Vereinigten Königreich abgrenzen würden, so bekam ich sehr schnell ein Bild von der eigenen Distinktionspraxis: ob in meiner WG oder im Lehrerzimmer, spitze Kommentare gegenüber UK gibt es immer wieder. Manche Menschen lehnen den Nachbarn auch ganz offen wegen der bitteren Kolonialvergangenheit ab. Bemerkenswert finde ich in dem Zusammenhang, dass die Menschen sehr stark an Englisch als Sprache festhalten und viele Menschen (Lehrkräfte sowie Schüler:innen) ihre (starke) Abneigung gegenüber der irischen Sprache (Gaeilge) zum Ausdruck bringen. Wer also wie ich hofft, auch ein wenig Irisch üben zu können, wird zumindest im Raum Galway eher enttäuscht. In Irland gibt es nur einige wenige Gebiete, in denen noch alltäglich Irisch gesprochen wird (sog. Gaeltachts). Beim Reflektieren über dieses Spannungsverhältnis von Abgrenzung in beide Richtungen fiel mir einmal mehr auf, dass wir in Deutschland das Glück haben, diesen schwierigen Aushandlungsprozess (in der Mehrheitsgesellschaft) nicht führen zu müssen. Erfreut war ich allerdings über die sehr positiven Reaktionen der Menschen bzgl. Nordirland, schwelte dort doch noch im letzten Jahrhundert ein teils sehr gewaltsamer religiös motivierter Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Protestanten, an dessen Ende schließlich die Einverleibung Nordirlands in das Vereinigte Königreich stand. Dieses intrakulturelle Moment allerdings erinnert mich auch an ein gewichtiges Stück deutsche Geschichte: die Teilung Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg. Viele Ir:innen sprechen über Nordirland als den Teil Irlands, der noch zu UK gehört…

Neben diesen eher historisch-politischen Beobachtungen sind mir im Verlaufe der ersten Hälfte meines Aufenthaltes allerdings auch ein paar Eigenheiten im Alltag aufgefallen: geht man morgens aus dem Haus (oder kommt abends heim), ist es nicht ungewöhnlich, den Geruch von verbrannter Kohle intensiv wahrzunehmen. Der Grund ist ganz einfach jener, dass in Tuam viele Haushalte bis heute mit Kohle heizen und nicht etwa mit Gas, Öl, oder Strom. Windräder sind in Irland extrem spärlich gesät und Solarpanels habe ich bisher nur in Metropolregionen und Neubauten gesehen (wenn überhaupt). Möchte man den Arbeitsweg nutzen, um noch schnell einkaufen zu gehen, so hat man in Tuam neben den (international) bekannten Supermärkten Supervalu und Tesco auch Lidl und Aldi zur Auswahl – teils mit deutlich anderem Sortiment, aber die Preise sind deutscher 😉 Was im Supermarkt aber die eigentliche Kuriosität ist: Plastik, über Plastik, über Plastik. In Irland ist alles doppelt und dreifach in Plastik eingepackt. Chips (oder Popcorn) gibt es z.B. sehr häufig nicht in einzelnen normalgroßen Packungen wie in Deutschland, sondern in einer riesigen Verpackung, in der dann wiederum zehn Mini-Tüten stecken. Papier- oder gar Textiltüten an den Kassen sind die absolute Ausnahme und Milch wird gern in großen Hartplastik-Containern gekauft, statt in einfacher zu recyclenden Tetra-Paks. Knoblauch, Chili und Ingwer frisch kaufen und schnibbeln? Iwo! Wofür gibt es die schließlich klein gehackt und in Plastiktuben? Wenn der Einkauf dann daheim verbraucht ist, wird die Mülltrennung in Tuam noch eher als Kosmetik gesehen: die meisten Haushalte trennen maximal zwischen Biomüll und Restmüll, gelbe Tonnen und Papiermüll oder Sondermüll für Batterien etc. ist in den von mir besuchten Haushalten bisher nicht zu finden gewesen.

Auch in anderen Bereichen ist Irland im Vergleich zu Deutschland noch nicht ganz so umweltbewusst unterwegs: Fahrrad wird kaum gefahren, gibt es dafür schließlich auch quasi keine Radwege (außer für dezidiert touristische Zwecke in Naturgebieten). So war ich am Anfang noch erstaunt, als Schülerinnen mir erzählten, dass sie bei einer Entfernung von nicht einmal einem Kilometer mit dem Auto zur Schule gebracht wurden. Zugegeben, das bin ich eigentlich noch immer. Aber wenn man erst einmal realisiert, wie sehr Irland auf den Verkehr per Auto (infrastrukturell und kulturell) ausgelegt ist, fragt man sich, ob man sich über Lehrkräfte, die zwischen zwei Campi (3 Minuten zu Fuß!) mit dem Auto hin- und herpendeln (10 Minuten, wegen ungünstiger Straßenführung), überhaupt noch wundern sollte. Spazierengehen und sich zu Fuß fortbewegen, dafür werden meine deutschen Kolleg:innen und ich immer wieder belächelt. Zugegeben, bei dem ständigen (!) Wetterwechsel bleiben erstere so zumindest immer schön trocken, während wir manchmal wie begossene Pudel im Lehrerzimmer eintrudeln (kommt auf keinen Fall ohne eine gute Regenjacke nach Irland!).

Solltet ihr wie ich aus Münster kommen, dann müsst ihr leider jetzt stark sein: in Tuam habe ich bisher nicht einen offiziellen Radweg gesehen. Und vielleicht fünf Radfahrer:innen. In sieben Wochen. Gut, dass wir Deutschen so gerne laufen, mh? Solltet ihr auch am High Cross College ein Praktikum absolvieren und wie wir im Black Acre wohnen, macht ihr morgens einen ca. 15-minütigen Spaziergang, der aber auch durch ein begrüntes Wohngebiet und den süßen Park des Örtchens führt. Ich genieße diesen Arbeitsweg tatsächlich immer sehr 🙂 Außerdem kann sich innerhalb dieser 15 Minuten das Wetter gut und gerne dreimal ändern. In Irland sagt man: If you don’t like the weather, just wait five minutes. Und es könnte wahrer nicht sein.

Ein letztes vielleicht noch, bevor ich noch meine ganze Tüte heißgeliebter Keogh’s Chips auffuttere (normalgroße Tüte, wie in Deutschland!): solltet ihr euch vegetarisch oder vegan ernähren, werdet ihr feststellen müssen, dass wir in Deutschland extrem verwöhnt sind was Ersatzprodukte angeht: für die größte Auswahl (Produkte der Marke Qorn!) und Milchalternativen müsst ihr zu Tesco oder Supervalu. Bei Lidl und Aldi gibt es nur mini Sortimente, vor allem für vegane Ernährung. In Irland ist das Fleischessen noch sehr normal, kaum wer ernährt sich vegetarisch.

*schaut nun sehr nervös auf ihre Chipstüte

Für St Patrick und Kleeblätter reicht es heute nicht mehr, aber im nächsten Beitrag erzähle ich euch, wie ich die Geschichte dahinter gelernt habe: und zwar im Unterricht für Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Slán Go Fóill!

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