Mein Arbeitsalltag an der Elementary School in Vancouver

Mein schulischer Alltag an einer Elementary School in Vancouver

Nachdem ich euch bisher von meinem Leben in Vancouver berichtet habe, folgt nun ein Bericht über meinen Schulalltag an der Elementary School, an der ich mein Praktikum absolviere. Da die Schulen in Vancouver generell recht strikt mit der Weitergabe jeglicher Informationen sind, werde ich im Folgenden auf anonyme Art und Weise meinen Tagesablauf an der Schule schildern.

Ein ganz normaler Tag

Es ist 8:30 Uhr und die Lehrerinnen und Lehrer nutzen die letzte halbe Stunde vor dem offiziellen Unterrichtsbeginn, um die letzten Vorbereitungen ihres Unterrichts zu treffen. Die Schülerinnen und Schüler warten gebannt vor den Türen der Schule, bis die Glocke ihnen um Punkt 9 Uhr den Einlass gewährt. Die Lerner strömen in das Schulgebäude, wo sie von ihren Klassenlehrern in Empfang genommen werden. Obwohl der Schulalltag im Vergleich zu Deutschland verhältnismäßig spät beginnt, schaffen es einige Schüler dennoch nicht, pünktlich in den Unterricht zu starten und trudeln gerne mal bis zu 20 Minuten später in den Unterricht. Die Lehrer füllen täglich die Anwesenheitsliste der Klasse aus und händigen diese nach Beginn der ersten Stunde beim Sekretariat ein. Die Mitarbeiter des Front Office überprüfen daraufhin, ob die Eltern ihre Kinder schon auf den Weg zur Schule geschickt haben und diese lediglich spät dran sind oder ob sie für den jeweiligen Tag krank gemeldet sind.

Am heutigen Tag bin ich erneut in einer 5-/6-er Klasse, die aufgrund der hohen Anzahl an Sechstklässlern an der Schule mit anderen Fünferklassen gesplittet ist. Hier unterstütze ich den Student Support Assistant, kurz SSA (Inklusionshilfskraft), der für ein Kind zuständig ist, welches aufgrund seines Down-Syndroms und Autismusspektrums als „high need“ kategorisiert ist. Während meiner ersten Tage in der Klasse lernte ich die Relevanz von Routinen kennen, die diesem Schüler viel Sicherheit im Alltag geben. Somit warten wir gemeinsam vor den Türen der Schule auf ihn, um ihn, wie jeden Tag, dort abzuholen und gemeinsam in Richtung des Klassenraums zu gehen.

Jeder Tag kann völlig anders verlaufen, da sein Start in den Tag gut als auch schlecht verlaufen sein kann und sich dies auf den restlichen Tagesablauf auswirken kann. Ein freundliches „Good morning!“ bringe ich ihm entgegen und nachdem er zu mir aufschaut, sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht entwickelt und er sein typisches „Hi!“ hervorbringt, weiß ich, dass er bisher einen guten Morgen gehabt hat und positiv in den weiteren Tag starten kann.

Zurück im Klassenzimmer strahlt er beim Anblick seiner Klassenkameraden und begrüßt sie. Die Art und Weise, wie die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Schulalltag integriert sind, ist einfach großartig. Alle erwidern seine Begrüßung freundlich, sodass er täglich eine große Freude ausstrahlt, sobald er seine Klasse betritt.

Seine Jacke sowie seinen Lunchbox hängt er an seinen Haken an der Garderobe, wechselt mit etwas Unterstützung unsererseits von seinen Gummistiefeln in seine Turnschuhe und wird stetig von uns für die Dinge, die er selbstständig erledigt, positiv bestärkt. Jede Form von Selbstständigkeit wird mit vielen positiven Kommentaren entgegnet.

Das A und O seines Alltags ist die visuelle Unterstützung mithilfe von kleinen Bildchen, die ihm seine Tagesstruktur deutlich erleichtern. Ein laminierter Streifen mit einem Klettverschluss macht eine flexible Anordnung der Symbole auf den jeweiligen Stundenplan möglich.

Da es für viele Kinder mit seiner Diagnose wichtig ist, den täglichen Aktivitäten folgen zu können, wird jeder Vorgang meist in 2 oder 3 Schritten vollzogen (First – Then – Next). Um zusätzlich seine Motivation am Lernen aufrecht zu erhalten, werden ihm regelmäßig kurze Phasen gegeben, in denen er mit seinen beiden Spielfiguren spielen kann. Diese „Choice Time“ stellt für seinen Tagesablauf in der Schule einen wichtigen Faktor dar, da er durch diese Vorgehensweise das Interesse an den einzelnen Aktivitäten nicht verliert und zudem für seine Arbeit belohnt wird. Sobald eine neue Lerneinheit angekündigt wird, wird auf sein kurzes ‚Okay‘ gewartet und langsam von 5 bis 1 runter gezählt, um ihm die Möglichkeit zu geben, diesen Wechsel auch gedanklich zu vollziehen.

Kinder, welche mit dem Autismus-Spektrum diagnostiziert wurden, haben häufig Probleme darin, Vorgänge in derselben Schnelligkeit aufzunehmen, wie sie ihnen mitgeteilt werden. Zudem muss bei dem Wechsel zwischen den einzelnen Aktivitäten auf klare Anweisungen geachtet werden. Missverständnisse können zu ungeplanten Reaktionen als auch Frustrationen des Schülers führen, was genauso vergleichbar mit jedem anderen Menschen ist, wenn sich dieser nicht verstanden fühlt.

Obwohl der Schüler eine 1-zu-1-Betreuung hat, wird versucht, ihn an allen Unterrichtsfächern der Klasse teilhaben zu lassen. Der Lehrer bereitet zusammen mit der Inklusionshilfskraft die Materialien vor, die eine Adaption des Unterrichtsmaterials auf das Niveau und die Bedürfnisse des Schülers darstellen. Der Winterschlaf von Bären im Biologieunterricht wird beispielsweise insofern verändert, dass stattdessen die Nahrung dieses Tiers behandelt wird, sodass dieser Beitrag ebenso interessant für den Rest der Klasse sein kann.

Der restliche Schulablauf verläuft mit vielen kleinen Lehreinheiten, die jeweils von einer kurzen Phase “Choice Time” gefolgt werden und an das jeweilige Schulfach der Klasse angepasst werden.

Da Kinder mit Down-Syndrom sehr ausgeprägte Sinnesempfindungen haben können und daher beispielsweise sehr sensibel auf laute Geräuschkulissen reagieren können, essen die meisten Kinder mit dieser Diagnose meist in einem gesonderten Raum. Die Turnhalle, in welcher alle Klassen gemeinsam zu Mittag essen, ist für diese Kinder nicht sonderlich förderlich. Täglich können sie jedoch einige Freunde auswählen, die gemeinsam mit ihnen in dem kleinen Raum Mittag essen, sodass sie weiterhin von ihren Peers begleitet werden.

Nach der Lunch Break steht das Silent Reading an, bei dem der Schüler einen Klassenkameraden auswählen darf, der ihm eine Geschichte vorliest. Damit jeder Schüler hierzu mal an die Reihe kommt, wird das Foto jedes Schülers, der bereits einmal lesen durfte, in die „Finished“ Box abgelegt. Ich konnte beobachten, wie ernst die Klassenkameraden ihre Sache nehmen und sich unheimlich freuen, wenn sie an dem Tag fürs Vorlesen ausgewählt wurden.

Zu guter Letzt folgt die Gym, bei dem der Sportlehrer die jeweiligen Aktivitäten bewusst an die Möglichkeiten der Schüler anpasst. Soccer steht auf dem heutigen Programm und da die Schüler bereits während der Pausen auf dem Schulhof mit Fußbällen spielen, bemerkt man nahezu keinen Unterschied zwischen Kindern mit oder ohne Förderbedarf.

Die Klassenkameraden sind großartig in dem Umgang mit den Schülern mit Förderbedarf, was meiner Meinung nach zum einen an der wertvollen Zusammenarbeit zwischen den Inklusionshelfern und den Lehrern liegt als auch daran, dass von klein auf jeder Schüler trotz jeglicher Diagnosen selbstverständlich am Main-Stream-Schulunterricht teilnehmen kann.

Zum Ende der Beschreibung meines Tages habe ich einige Visuals zusammengestellt, die vor allem autistischen Kindern dabei helfen können, sich in schwierigen Situationen zu artikulieren oder um ihre jeweilige Gefühlslage widerzugeben.

 

Ich hoffe, dass ich euch meinen Tagesablauf an der Elementary School und vor allem die Arbeit mit den Kindern mit Förderbedarfen ein wenig näher bringen konnte 🙂

Viele Grüße,

Steffi

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