Liebe auf den zweiten Blick

Liebe Erasmus-Freunde, „beste mensen“,

woran denkt Ihr eigentlich, wenn Ihr an Amsterdam denkt? An Touristenfallen, süße Rauchschwaden vor den Coffeeshops, grelle Leuchtreklame und Menschenmassen überall? Das zumindest waren meine ersten Erfahrungen mit der Stadt. Damals war ich ziemlich enttäuscht, und fragte mich: „Das soll das von allen so gelobte Amsterdam sein?“

Heute, fast drei Jahre später, verbringe ich ausgerechnet in dieser Stadt gleich mehrere Monate, um ein Praktikum im Duitsland Instituut zu absolvieren. Und ja, am Anfang war ich ziemlich skeptisch.

Nach nun mehr als sechs Wochen in Amsterdam kann ich aber Entwarnung geben: die Stadt hat viel mehr zu bieten als Coffeeshops und Rotlichtviertel, das „echte“ Amsterdam ist wunderschön. Vielleicht ist die Stadt ein typischer Fall von Liebe auf den zweiten Blick? Bei mir war es zumindest so.

Ich liebe es zum Beispiel, mit dem Fahrrad nach Feierabend durch das Jordaan-Viertel zu radeln: wenn es langsam anfängt zu dämmern, die Brücken über den Grachten beginnen zu leuchten, Kinder auf dem kleinen Spielplatz am Herenmarkt Fußball spielen, und die Erwachsenen ihren After-Work-Borrel sitzend am Grachtenufer genießen – dann, ja dann liegt die typische Amsterdamer Magie in der Luft.

Das Jordaan-Viertel ist sowieso eines meiner persönlichen Lieblingsorte in der Stadt. Von meiner WG in Oud-West ist es nur einen Steinwurf entfernt, und die Menschen dort, Einheimische wie Touristen, scheinen ein wenig entspannter als sonstwo in Amsterdam. Samstags findet dort ein Bauernmarkt an der Noorderkerk statt, aber auch an der Lindengracht kann man sich vom Marktgeschehen treiben lassen – um anschließend vielleicht bei einem Picknick die erstandenen Leckereien (wie nieuwe Haring oder stroopwafels, mit Sirup gefüllte Waffeln) zu genießen. Gemütliche Plätze gibt es dazu fast überall im Viertel.

Ein echter Geheimtipp für Freunde von kleinen Läden und Cafés ist außerdem die Haarlemmerbuurt. Sie ist vom Hauptbahnhof in ein paar Schritten zu erreichen, und doch stürzen sich die meisten Touristen lieber mitten ins Getümmel des Stadtzentrums. Schade eigentlich, denn in der Haarlemmerstraat und –dijk geht es viel gemütlicher zu. Und die Läden, darunter viele Secondhand-Shops, finde ich hier viel origineller.

Das Schöne an Amsterdam ist, dass es eine Stadt am (oder eher gesagt im?) Wasser ist. Mehr noch: die Stadt und das Wasser bilden eine Einheit. Hausboote, große Frachtschiffe und Möwengeschrei sind in Amsterdam allgegenwärtig. Ebenso wie Straßen, die auf einmal hochkant in der Luft stehen, weil mal wieder ein Frachter durch die Schleuse muss. Das erlebe ich in meiner Straße immer wieder. Dann steht für mehrere Minuten die Zeit still, vor und hinter den Schranken warten alle Verkehrsteilnehmer geduldig, bis es weiter geht.

Und wie es dann weiter geht: blitzschnell rasen die Fahrradfahrer an einem vorbei, Rotlicht und Zebrastreifen werden lässig ignoriert, und Fußgänger sollten sich bei jedem Schritt lieber zweimal umsehen. Denn die Fahrradfahrer sind die heimlichen Könige der Stadt. Sie dürfen alles! Längst habe auch ich mich diesem ungeschriebenen Gesetz angepasst, und sause übermütig durch die Straßen. Passiert ist bis jetzt noch nichts, toi toi toi, und auch mein Fahrrad wurde noch  nicht geklaut – das meiner Mitbewohnerin hingegen schon zwei Mal.

Neulich habe ich mit einer Freundin eine wunderschöne Ruheoase unweit der Stadt entdeckt: das alte Deichdorf Oud Nieuwendam, das in ungefähr 15 Minuten mit dem Bus zu erreichen ist. Es gehört zwar noch zu Amsterdam, aber doch wähnt man sich in einer anderen Welt: kleine Holzhäuser stehen dort neben verzierten altholländischen Häuschen, davor eine Wiese, die scheinbar als Treffpunkt aller Nachbarn genutzt wird: man isst Kuchen, trinkt Wein, sonnt sich – und die Kinder toben. Dazu ein Hafen, kleine Cafés – all das versetzt einen in Urlaubsstimmung.

Aber auch in der Stadt selbst kann man zur Ruhe kommen. Im Roest, einem alternativen Stadtstrand in Amsterdam Oost, zum Beispiel. Hier ist es wunderschön, der Abenddämmerung zuzusehen. Wenn wenige Gäste da sind, hört man nur die Möwen – und hier und da das Wasser plätschern. Und für das richtige Freiheitsgefühl sorgt abends dann ein Lagerfeuer.

Aber ach, es gibt noch so viele andere Plätze, die die Stadt besonders machen, ehrwürdige Museen, tolle Kneipen, Cafés, Läden,  und entspannte

Grachtenromantik bei Tag...
Grachtenromantik bei Tag…
...und bei Nacht
…und bei Nacht
Ruhe vor dem Sturm im Roest (Stadtstrand in Oost)
Ruhe vor dem Sturm im Roest (Stadtstrand in Oost)

Menschen… Und natürlich gib es noch vieles, was ich noch nicht gesehen habe… Genau deshalb hält mich jetzt nichts mehr vorm Computer. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, und draußen wartet noch so vieles darauf, entdeckt zu werden. Also, bis zum nächsten Mal, „tot ziens, en geniet van de dag!“

2 Gedanken zu „Liebe auf den zweiten Blick

  1. Hey du, freut mich das du dich in deiner neuen Heimat so gut eingelebt hast. Amsterdam ist einfach die schönste Stadt der Welt, wenn man weiß in welchen Vierteln man nach einem tollen Flecken suchen muss 😀 Komme nächsten Wochenende bei euch vorbei. Hast du Lust auf den IJmarkt (der größte und tollste Flohmarkt der Stadt)mitzukommen? LG Elli

  2. Hoi Petra,
    toll, dass du hier etwas schreibst – und interessant, wie du Amsterdam am Anfang erlebt hast – und prima, dass es dir dort, wenn auch auf den zweiten Blick, nun gut gefällt! ;-))

    Groetjes en tot gauw!
    Jutta

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