Explodierende Bürgersteige und andere Kuriositäten in London

“One is always wiser after the event,” sagen die Engländer gern. Auch nach einem Auslandsaufenthalt ist man schlauer als vorher und hat die liebenswerten Eigenheiten und Merkwürdigkeiten der Bewohner und des Landes kennengelernt.

Hier also ein paar meiner mehr oder weniger überraschenden Erkenntnisse über London:

Fünf Dinge, die man direkt am ersten Tag über London erfährt:

  1. Die Vorurteile über das englische Wetter sind absolut wahr.
  2. Die Vorurteile über die britische Höflichkeit aber ebenso. Beim Verlassen des Busses wird stets dem Fahrer gedankt, Engländer lieben das Schlange stehen und an Baustellen hängen Schilder, auf denen sich die Verantwortlichen für die Störungen entschuldigen.
  3. Engländer zeichnen sich in der Tat durch einen besonders trockenen, teilweise sehr zynischen Humor aus. Selbst ich als Ironieliebhaberin brauchte anfangs manchmal einen Moment, bis ich verstanden hatte, dass mein Gegenüber das eben Gesagte (zum Glück!) nicht ernst meinte.
  4. In London werden mehr als 300 Sprachen gesprochen, mehr als in jeder anderen Stadt der Welt, und das merkt man. Tagtäglich begegnen einem gefühlt hundert dieser Sprachen und Kulturen allein auf dem Weg zur Arbeit. Wenn dann mal zur Abwechslung klassisches British Englisch gesprochen wird, ist allerdings auch nicht garantiert, dass man aus den genuschelten Akzenten etwas entschlüsseln kann.
  5. Man muss in London für alles mehr Zeit und vor allem mehr Geld einplanen. Sollten nach dem Wechselkurs Einkäufe hier eigentlich zwei Drittel des Euro-Betrages kosten, sind die Pfundbeträge stattdessen meistens sogar höher, man bezahlt also häufig auch mal doppelt so viel wie in Deutschland.
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Im Luxuskaufhaus Harrods ist das ganze Jahr über Weihnachten

Fünf Dinge, die man nach einer Woche über London weiβ:

  1. Die Höflichkeit, die Engländer an den Tag legen, wird im Gegenzug auch von einem selbst erwartet, wodurch ein resoluter Deutscher auch mal auf Aversionen stößt. So gilt es zum Beispiel als schlechtes Benehmen, in der Öffentlichkeit außerhalb von Cafes usw. zu essen. Steht man nicht auf der rechten Seite der Rolltreppe, wird man energisch aus dem Weg gerempelt – das “sorry” von Seiten des Übeltäters darf dann auch gern als “du Idiot” interpretiert werden.
  2. Londoner sind sportlich. Im Minutentakt werde ich auf dem Heimweg von der Arbeit von Businessmen und –women überholt, die ihre Lack- durch Sportschuhe ersetzt haben und den Weg nach Hause joggend bestreiten. Das Unternehmen, in dem ich arbeite, hat ein eigenes Fitnesstudio, stellt den Mitarbeitern täglich Obst zur Verfügung und gehört hier damit nicht zur Minderheit. Der Fitness Trend, der sich in Deutschland in den letzten Jahren erst langsam bemerkbar gemacht hat, gehört hier dank der Bemühungen nach den Londoner Olympischen Spiele schon zum Alltag.
  3. London ist voller Stolpersteine für uns Deutsche. So dauert es etwas, bis man herausfindet, dass an jeder Steckdose An- und Ausschalter angebracht sind und deswegen der Wasserkocher seit zehn Minuten einfach kein Wasser kochen will. Und die auf den Straßen gemalten Hinweise, in welcher Richtung man denn jetzt nun nach heranrasenden Autos schauen sollte, waren desöfteren schon Lebensretter für mich. Auch wenn Linksverkehr eigentlich nur das umgekehrte Prinzip von Rechtsverkehr sein sollte, steht man im Alltag nicht selten völlig desorientiert am Straßenrand.
  4. Es lohnt sich, in kritischen Situationen entspannt zu bleiben, denn die Engländer sind es auch und helfen einem liebend gern und auch häufig unaufgefordert weiter. Es ist in England auch nicht schlimm, wenn man nicht perfekt ist. Hier herrscht zwar auch Konkurrenzdruck und jeder wird an seiner Produktivität und Disziplin gemessen, das scheint hier aber nicht die mit Abstand größte Priorität zu sein, wie es man manchmal in Deutschland der Fall zu sein scheint. Klischees sind eben doch manchmal wahrer als man meinen mag, noch eine Sache, die mir hier bewusst geworden ist.
  5. Der Vorteil an einer Millionenmetropole ist, dass man meist nicht allein dasteht, wenn man neue Leute kennenlernen will. Ich empfehle allen Praktikanten beispielsweise auf Facebook Gruppen wie “International Students in London” beizutreten. Ansonsten gibt es auch eigene Seiten wie “Meetup”, auf denen sich es tausende Leute für allmoegliche Interessen verabreden.  Allein ist man in London also nie.
Lebensrettende Hinweise auf der Straße
Lebensrettende Hinweise für überforderte Touristen

Fünf Erkenntnisse über London, die man erst nach ein paar Monaten gewinnt:

  1. Engländer lieben Meetings. Für jede Kleinigkeit wird ein Konferenz einberufen und stundenlang mit großen Reden die Sachlage erörtert. Das hat sehr viele Vorteile, da man durch Kommunikation gerade im kreativen Bereich oft neue Erkenntnisse und Ideen erhält. Wenn allerdings viel Arbeit ansteht, können die zeitraubenden Besprechungen, aus denen dann in der Praxis desöfteren wenig folgt, manchmal aber doch sehr nervenaufreibend sein.
  2. Ein Universitätsabschluss ist hier gar nicht so wichtig wie in Deutschland, hier kann man auch ohne schnell in die Chefetagen der Unternehmen aufsteigen. Generell schließen die Leute hier wesentlich früher ihre universitäre und sonstige Ausbildung ab, sodass man als deutsche 24-jährige Masterstudentin auch mal einer englischen 22-jährigen zu ihrer Beförderung ins obere Management gratuliert.
  3. Mal etwas Fachliches: die Pressefreiheit ist in England eindeutig größer als in Deutschland, oder sagen wir mal, der Boulevardjournalismus nimmt sich diese Freiheiten. Während in Deutschland nüchtern und zurückhaltend über ein tagesaktuelles Ereignis berichtet wird, findet man in der englischen Presse gleich private Fotos, Namen und sensationsheischende Storys über die Betroffenen.
  4. Auch wenn man glaubt, mittlerweile alle Regeln und Gebräuche in London zu kennen, begegnet man auch nach Monaten noch britischen Seltsamkeiten. Da wären zum Beispiel die berühmt berüchtigten explodierenden Bürgersteige, die von unterirdischen Fehlern in der Elektronik verursacht wurden (ganze 40 Fälle traten 2014 auf). Oder merkwürdige Gesetze, die es verbieten, eine Briefmarke der Queen falsch herum aufzukleben – oder in den Houses of Parliaments zu sterben (ja, richtig gelesen)… Kopfschütteln ist  jedenfalls auch nach Monaten noch garantiert. Das gilt aber nicht nur für die Seltsamkeiten, sondern für die Stadt allgemein. Selbst Einheimische, die hier schon immer gelebt haben, sagen, dass sie immer wieder völlig neue Dinge entdecken und erleben. Kein Wunder, denn die vielen Kulturen und Facetten der Stadt bedingen es, dass London sich in einer permanenten Phase des Wandels befindet.

Diese Erkenntnisse sind sicherlich subjektiv und können noch ewig weitergeführt werden. Ich wäre zum Beispiel sehr interessiert an einem weiteren Absatz mit “Dingen, die man nach Jahren über London weiß.” Für den Moment kann ich jedenfalls sagen, dass ich  liebend gern so lange bleiben und es selbst herausfinden würde.

Londons charakteristische Skyline von der Canary Wharf aus gesehen
Londons charakteristische Skyline von der Canary Wharf aus gesehen

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