Drei Monate in Barcelona

Barcelona – das ist nicht nur Strand, Party und Gaudí, sondern auch neben Madrid das wichtigste wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Zentrum Spaniens. Für einen romanischen Philologen wie mich ist die Stadt besonders interessant: Sie ist die Hauptstadt des für seinen tief verankerten Regionalismus bekannten Kataloniens und das kulturelle Zentrum der katalanischen Sprache, gleichzeitig aber auch einer der wichtigsten Verlagsstandorte der spanischsprachigen Welt. Es lag also nahe, dort ein Praktikum zu absolvieren.

Das Finden eines Praktikumsplatzes gestaltete sich für mich relativ einfach. Ich hatte neben meinem Spanischstudium schon einige Jahre vorher angefangen, im Rahmen der Zusatzqualifikation Katalanische Sprache und Kultur, die einige deutsche Universitäten anbieten, Katalanisch zu lernen. Zu dieser Zusatzqualifikation gehört auch ein Praktikumsprogramm, über das man sich nach dem Bestehen aller Kurse ein Praktikum im katalanischen Sprachgebiet (de facto sitzen aber praktisch fast alle beteiligten Behörden und Firmen in Barcelona) vermitteln lassen kann. Diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen, und so bewarb ich mich und bekam schließlich einen Platz bei TERMCAT in Barcelona angeboten.

Anfang Februar fand ich mich im Flugzeug nach Barcelona wieder. Da ich noch die Woche zuvor meine letzten Klausuren geschrieben hatte, hatte ich mich nicht sonderlich intensiv auf den Aufenthalt vorbereiten können. Zum Glück war ich erst im Jahr zuvor für elf Monate in Spanien (allerdings in einer anderen Region) gewesen und wusste daher in etwa, was so auf mich zukommen würde. Beispiel Wohnungssuche: Die ist in Spanien erfahrungsgemäß eher unkompliziert. Für die ersten Tage konnte ich bei einer Freundin unterkommen und von dort aus fleißig Anzeigen im Internet durchstöbern, Mails schreiben und Anrufe tätigen.

Ich hatte Glück und fand bereits nach drei Tagen die perfekte Wohnung: Altbau, vor einigen Jahren von Grund auf renoviert, mit eigenem Balkon zum Hinterhof und für 325€ im Monat. Und das mitten im Eixample! Das ist das im 19. Jh. auf Schachbrettmuster errichtete Viertel, das zusammen mit der Altstadt das Zentrum Barcelonas bildet, und in dem u. a. die Sagrada Família steht. Da sich auch der Sitz von TERMCAT in diesem Viertel befindet, hatte ich jeden Morgen nur einen etwa zehnminütigen Fußweg zur Arbeit und war allgemein relativ unabhängig vom ÖPNV (der aber sowieso gut und bezahlbar ist). Meine Mitbewohner waren ein Italiener, der in einer kleinen internationalen Handelsfirma arbeitete, ein Baske, der zur Arbeitssuche aus Bilbao gekommen war, und ein Katalane, der als Barkeeper arbeitete. Insgesamt etwas, was die Spanier als Witz-WG bezeichen: „Gehen ein Deutscher, ein Italiener, ein Katalane und ein Baske in die Bar…“ Vorteil war, dass ich mit meinem katalanischen Mitbewohner auch außerhalb der Arbeit Katalanisch sprechen konnte, was meinen Sprachkenntnissen definitiv gutgetan hat.

Doch nun zum eigentlichen Praktikum: Was zum Teufel ist TERMCAT? Es handelt sich um das Terminologiezentrum (Centre de Terminologia) der katalanischen Regionalregierung und ist damit beauftragt, die katalanische Fachsprache zu dokumentieren, zu normieren und zu verbreiten. Haupttätigkeitsfeld ist dabei die Erarbeitung von (oft mehrsprachigen) Fachwörterbüchern und Glossaren sowie die Beratung und Unterstützung von Behörden, Unternehmen und Einzelpersonen, die Fragen zum spezialisierten Fachwortschatz des Katalanischen haben. Das läuft oft darauf hinaus, passende katalanische Äquivalente für neu aufkommende englische Wörter zu finden. So hat man sich während meiner Zeit dort u. a. mit der Frage beschäftigt, wie wohl ein katalanisches Äquivalent des Wortes „selfie“ am besten lauten und geschrieben werden sollte. Daneben verfassen und edieren die Mitarbeiter des TERMCAT auch terminologische Fachbücher, in denen die Arbeitsweisen des TERMCAT dargestellt und erläutert werden. TERMCAT zählt damit zu den bedeutendsten Institutionen seiner Art und gilt als Vorbild für ähnliche Bemühungen in anderen Ländern, diskriminierten Minderheitensprachen neue Verwendungsfelder zu eröffnen, z. B. Verwaltung und Wissenschaft, indem man den dafür nötigen Fachwortschatz entwickelt.

Meine Aufgabe bei TERMCAT war hauptsächlich die Mitarbeit bei der Erstellung mehrsprachiger Wörterbücher und Glossare, v. a. durch Ermittlung der englischen, französischen, spanischen und deutschen Äquivalente katalanischer Begriffe. Inhaltlich ging es dabei um die verschiedensten Themenfelder. Ich habe die meiste Zeit mit der Vorbereitung eines Wörterbuchs zur Terminologie von Wahlen (das rechtzeitig vor den Europawahlen im Mai 2014 veröffentlicht wurde) verbracht, war aber auch an der Erstellung eines Astrophysikglossars und eines Wörterbuchs zur Corporate Social Responsibility beteiligt. Daneben habe ich an Beratungen mit externen Experten teilgenommen, in denen es darum ging, geeignete katalanische Begriffe in Fällen, in denen bisher kein oder kein einheitlicher Terminus existierte, zu finden. Hin und wieder habe ich auch englische Übersetzungen der oben erwähnten terminologischen Fachliteratur korrigiert.

Die Atmosphäre bei TERMCAT war sehr angenehm, alle waren freundlich und hilfsbereit und nach einer Weile fühlte ich mich fast wie ein ganz normaler Mitarbeiter. Die reguläre Arbeitszeit war Mo-Fr 9:00-14:00 Uhr, aber wenn ich z. B. einen Ausflug machen wollte, konnte ich mir einfach einen Tag freinehmen und dafür an einem anderen Tag länger bleiben. Ich hatte meinen eigenen Schreibtisch mit PC, konnte sehr selbstständig arbeiten und mir sogar aussuchen, an welchen Projekten ich mitarbeiten wollte. Neben mir gab es noch eine Handvoll weiterer Praktikanten, von denen die meisten Übersetzung studierten bzw. studiert hatten und sich auf die Übersetzung von Fachtexten spezialisieren wollten.

In meiner Freizeit habe ich mir sehr viele Museen und Sehenswürdigkeiten sowohl in Barcelona als auch im Umland angeschaut. Dazu gehörten Ausflüge mit dem Zug in die Provinzhauptstädte Girona, Lleida und Tarragona, die als Hochburg der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung bekannte Kleinstadt Vic und die als katalanisches „Nationalheiligtum“ bekannte Abtei Montserrat, die in einer atemberaubenden Berglandschaft liegt. Auch ein Wochenende in Zaragoza durfte nicht fehlen. Abends war ich oft in den Bars in der Altstadt, und ab Ende April konnte man sich am Strand sonnen und sogar baden, auch wenn es vielen wärmeverwöhnten Katalanen dafür noch zu kalt war.

In ganz besonderer Erinnerung ist mir der 23. April geblieben, der Georgstag (Sant Jordi). An diesem Tag, der dem Schutzheiligen Kataloniens gewidmet ist, schenken sich seit dem späten Mittelalter Liebespaare Rosen (daher auch als Dia de la Rosa bezeichnet). Seit den 20er-Jahren des 20. Jh. ist er zudem Tag des Buches (Dia del Llibre). Traditionell schenken die Männer den Frauen Rosen, was diese mit dem Geschenk eines Buches erwidern (diese Konvention wird heute natürlich etwas lockerer gehandhabt). Der Tag ist zudem einer der zwei katalanischen Nationalfeiertage (Festa Nacional de Catalunya). Im Zentrum Barcelonas (und allen anderen Städten Kataloniens) füllen sich die Straßen mit Ständen, an denen Rosen und/oder Bücher verkauft werden (weshalb der Tag für Floristen und Buchhändler so wichtig ist wie für andere Branchen Weihnachten). Auch Parteien, Vereine, Institutionen etc. sind mit Informationsständen präsent oder veranstalten einen Tag der offenen Tür. So kann man an diesem Tag auch umsonst und ohne Voranmeldung den Sitz der Regionalregierung (Palau de la Generalitat) und das Rathaus (Ajuntament) besichtigen (beide sehr sehenswert, da im Kern mittelalterlich). Es handelt sich also insgesamt um eine Art Mischung aus Valentinstag, Tag des Buches und katalanischem Nationalfeiertag, bei dem sich ganz Barcelona in einen Tumult aus Menschen, Rosen, Büchern und katalanischen Flaggen verwandelt. Wer zu dieser Zeit in Barcelona ist, sollte sich das auf keinen Fall entgehen lassen.

Vielleicht noch ein paar Worte zur Sprache: Das katalanische Bildungssystem ist darauf ausgerichtet, dass die Schüler im Moment ihres Abschlusses sowohl Spanisch als auch Katalanisch perfekt beherrschen; im Großen und Ganzen wird dieses Ziel auch erreicht. V. a. in den großen Städten mit ihrer starken Einwanderung wird auch im Alltag viel Spanisch gesprochen, während es in vielen ländlichen Gebieten durch fast völlige Abwesenheit glänzt. Doch auch Katalanen, die in einem praktisch ausschließlich katalanischsprachigem Umfeld leben, sprechen ein passables Spanisch, wenn auch oft mit breitem Akzent. Man kommt mit Spanisch also sehr weit (um das Englische steht es dagegen nur unwesentlich besser als im Rest Spaniens). Allerdings würde ich jedem, der sich länger in Katalonien aufhalten will, unbedingt empfehlen, zumindest ein wenig Katalanisch zu lernen. Nicht nur ist es die übliche Sprache für Schilder, Durchsagen etc., sondern man erhält auch einen ganz anderen Zugang zu dem Land und und seinen Bewohnern, von denen ca. ein Drittel Katalanisch als einzige Muttersprache spricht und die Hälfte es im Alltag bevorzugt verwendet. Nicht zuletzt gibt es kaum einen effektiveren Weg, zu zeigen, dass man wegen mehr gekommen ist als sangría und fiesta. Und wirklich schwer ist die Sprache sowieso nicht.

Fazit: Mein Praktikum habe ich insgesamt sehr genossen. Die Arbeit war interessant, die Kollegen nett, und ich hatte genug Zeit, das kulturelle, kulinarische und Freizeitangebot voll zu nutzen. Auch mein Katalanisch, v. a. was freies Sprechen und Hörverständnis angeht, hat sich deutlich verbessert. Barcelona ist eine schöne und vielseitige Stadt, wie es sie so wohl nur selten auf der Welt gibt, und bei der nächsten Gelegenheit komme ich auf jeden Fall wieder.

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