Afternoon Tea, Kathedrale und Uniform – mein Schulpraktikum in Norwich

Am 29. August 2017 war es endlich so weit: Mit zitternden Knien, klopfendem Herzen und – zugegebenermaßen – ein paar Tränen in den Augen stand ich am Flughafen in Dortmund, um mich von meiner Familie zu verabschieden und in mein knapp viermonatiges England-Abenteuer zu starten. Für einen Term sollte ich an einer Privatschule in Norwich arbeiten, einer mittelgroßen Universitätsstadt im Osten Englands, und zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine wirkliche Vorstellung davon, was mich eigentlich genau erwarten würde. Doch meine anfänglichen Sorgen und Zweifel zerstreuten sich schnell, als ich bei meiner Ankunft am Bahnhof direkt warmherzig von meiner „Landlady“ empfangen wurde, mit der und mit deren kleiner Tochter ich die nächsten Monate zusammenleben sollte.

Gleich am nächsten Tag lernte ich auch meine drei Kolleginnen aus der Schweiz, Chile und Frankreich kennen, die als Sprachassistentinnen für ein ganzes Jahr an der Norwich School arbeiten. Eine sehr nette Lehrerin der Schule führte uns in der Stadt und auf dem Schulgelände herum, so dass wir schon mal einen ersten Eindruck von unserem zukünftigen „Zuhause auf Zeit“ bekommen konnten.

Die Norwich School befindet sich auf dem weitläufigen Gelände der Norwich Cathedral, einer imposanten, reich verzierten und fast 1.000 Jahre alten Kathedrale. Fast genauso alt sind einige Gebäude der Norwich School und die vielen historischen Häuser rund um das Gelände der Kathedrale herum. Kein Wunder, dass man sich beim Durchschreiten des gigantischen Eingangsportals der Kathedrale, beim Stolpern über eine der schiefen Steinstufen eines uralten Treppenhauses oder beim Stöbern in der imposanten holzvertäfelten Bibliothek, in der riesige alte Ölporträts mit aufwendig verzierten Goldrahmen hängen, nicht selten so fühlt, als wäre man geradewegs nach Hogwarts gereist…

Der Kreuzgang der Norwich Cathedral

 

Auch der Rest der Altstadt von Norwich ist zu einem großen Teil sehr alt – aber gleichzeitig auch unglaublich lebendig. Überall findet man schmale Gassen mit gemütlichen kleinen Cafés und Pubs, die auf großen Aufstelltafeln vor der Eingangstür Livemusik für den Abend ankündigen, und hübsche kleine Läden. Auf dem Norwich Market, einem großen Platz mit vielen bunten Büdchen, kann man die verrücktesten Sachen erwerben – von Second-Hand-Büchern über Essen aus gefühlt jedem Land der Welt, Schmuck und Kisseninletts bis zu Staubsaugerzubehör und einem Fachstand ausschließlich für Flaschenöffner. Überthront wird das gesamte Stadtbild von einem monumentalen Hügel, auf dem sich das historische Norwich Castle mit einem darin befindlichen sehr interessanten Museum befindet.

Das Norwich Castle

 

Während der „Introduction Days“ für die neuen Mitglieder des Kollegiums der Schule sowie der „Staff Training Days“ haben wir dann auch unsere anderen Kolleginnen und Kollegen kennengelernt und wurden schon einmal ein wenig in das Schulleben eingeweiht. Von allen Seiten wurden wir sehr positiv und mit großem Interesse aufgenommen – ich glaube ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht so viel Small Talk gehalten wie an diesen ersten Tagen meines Praktikums.

Aber auch in den folgenden Wochen stellte sich heraus, dass eine wirklich gute Atmosphäre im Kollegium herrschte. Mehrmals wurden wir Praktikanten und Sprachassistenten von Lehrern dazu eingeladen, uns nach der Schule in ihren Lieblingspub zu begleiten und beim täglichen Lunch in der Mensa ist man immer wieder mit neuen Leuten ins Gespräch gekommen. Auch unsere Arbeit mit den Schülern – dazu demnächst mehr im nächsten Blogeintag – wurde von den Lehrern immer wieder wohlwollend anerkannt und geschätzt.

Sofort aufgefallen ist mir in der Schule auch, dass sowohl die Lehrer als auch die Schüler sich viel stärker der Schulgemeinschaft zugehörig fühlen und sich mit der Schule identifizieren als in Deutschland. Dies liegt vermutlich zu einem nicht unwesentlichen Teil daran, dass die Schüler an der Norwich School ihre Hobbys nicht, wie in Deutschland üblich, in privaten Sportvereinen und Kursen ausüben, sondern alles innerhalb der Schule. Somit verbringen die Kinder einen Großteil des Tages an der Schule und verbinden die Schule nicht nur mit Frust und Lernen, sondern auch mit angenehmen Dingen und Freizeitaktivitäten. Die Schule bietet ein riesiges Angebot an Sportarten an, von Hockey über Rugby und Cricket bis hin zu Segeln. Die Schulmannschaften treten am Wochenende regelmäßig gegen die Mannschaften anderer Schulen an, und diese Spiele sind immer ein richtiges Event, bei dem selbst der Schulleiter mit seiner Familie regelmäßig zuschaut. Auch eine eigene Musikschule ist an die Norwich School vorhanden, in der die Schüler eine große Auswahl an Instrumenten erlernen und in verschiedenen Ensembles, Bands, Chören und Orchestern mitwirken können. Hinzu kommt eine riesige Auswahl an sonstigen After-School-Clubs, an denen die Schüler teilnehmen können: Von Schach über Töpfern bis zu Theater spielen, Gärtnern und Roboter bauen ist alles dabei.

Aber neben der ganzen Schwärmerei möchte ich auch nicht verschweigen, dass mir auch einige Aspekte des englischen Schullebens  negativ aufgefallen sind. So ist mir bereits von Anfang an klar geworden, dass die Norwich School extrem auf die Noten der Schülerinnen und Schüler fixiert ist. In England herrscht ein „marktwirtschaftliches“ Schulsystem – das heißt, je höher die Schülerzahlen einer Schule sind, desto stärker wird sie finanziell gefördert. Die Schulen konkurrieren sehr stark um Anmeldungen, unter anderem mit Werbung im öffentlichen Raum und der Veröffentlichung der Statistiken über die Prüfungsergebnisse der Schülerinnen und Schüler. Die Messung der Güte einer Schule anhand der Noten der Schüler finde ich sehr problematisch – denn ich habe im Schulleben und im Unterricht beobachtet, dass das Lernen eigentlich in erster Linie darauf angelegt ist, die Schüler möglichst gut auf die Tests und Prüfungen vorzubereiten, damit sie dort gut abschneiden, und nicht darauf, dass sie möglichst viel „fürs Leben“ lernen. Dies geschieht zum Beispiel, indem die Aufgaben, die im Unterricht geübt werden, fast genau die gleichen wie in der Prüfung sind. Oder indem die Schüler die Fragen, die ihnen bei ihrer mündlichen Prüfung in Deutsch gestellt werden, schon vorher bekommen, so dass sie ihre Antworten vorschreiben und vom Lehrer korrigieren lassen können und diese sprachlich perfekten Antworten für die  Prüfung dann nur noch auswendiglernen müssen…

Auffallend ist außerdem, dass die Norwich School sehr traditionell ist: Dies fängt schon bei der ziemlich strengen Uniform an, und auch die Kleidung der Lehrer ist deutlich schicker als bei uns üblich: Für die Männer sind Anzug und Krawatte Pflicht, und auch wenn die Kleiderauswahl der Frauen ein bisschen mehr Spielraum lässt, ist sie doch eher schick. Morgens, während der täglichen „Assembly“ in der in Kathedrale, mit der alle Schüler und Lehrer in den Tag starten und während der über die aktuellen Ereignisse in der Schulgemeinschaft gesprochen wird und gemeinsam gesungen wird, tragen die Lehrer alle einen so genannten „Gown“, eine Art traditionellen Umhang, der in Großbritannien oft zu akademischen Anlässen, beispielsweise bei der Verleihung des Universitätsabschlusses, getragen wird.

Aber auch außerhalb des täglichen Schulalltags habe ich schon viel erlebt. Ich bin in den Schulchor eingetreten, habe beim Tag der offenen Tür geholfen und mit meinen Kolleginnen Ausflüge nach Great Yarmouth und in die Broadlands, ein wunderschönes Seengebiet nur wenige Zugminuten von Norwich entfernt, gemacht. Außerdem durfte ich eine Gruppe Austauschschüler aus Liechtenstein sowie deren Lehrerin bei ihrem Ausflug nach Cromer, einem hübsches Küstenstädtchen im Norden Norfolks, und nach Cambridge begleiten.

   Das King’s College und die Mathematical Bridge in Cambridge

Wenn man ein anderes Land besucht, darf man natürlich auch das Kulinarische nicht vergessen… Deshalb haben wir uns am Wochenende auch immer reichlich Zeit genommen, uns quer durch die englische Küche zu probieren.

Mein absoluter Favorit der englischen Esskultur ist der Afternoon Tea. In der Altstadt von Norwich reiht sich ein traditioneller Tearoom an den anderen, und diese sind nachmittags, insbesondere am Wochenende, meistens gnadenlos voll. Wenn man es dann erst einmal geschafft hat, einen Tisch zu ergattern, kann man eine ganze Etagere voll mit kleinen Köstlichkeiten genießen: Kleine Sandwiches mit kreativen Füllungen, die meistens mindestens eine süße und eine salzige Komponente enthalten, kleine Kuchen und Kuchenstücke und natürlich die original englischen Scones, kleine Brötchen, die mit Clotted Cream, einer Art sehr dicker Sahne und Marmelade gegessen werden. Dazu gibt es dann natürlich viel schwarzen Tee mit einem guten Schluck Milch.

  Afternoon Tea

Überzeugt hat mich auch das reichhaltige englische Frühstück, das in vielen Pubs in Norwich angeboten wird (wobei ich das immer eher als Mittagessen, anstatt als Frühstück angesehen habe): Es besteht traditionell aus Würstchen, Speck, Spiegeleiern, Baked Beans, gebratenen Tomaten und Pilzen, manchmal auch Blutwurst und Kartoffelecken, sowie aus Toast und Butter. Viele Pubs zum Glück aber auch vegetarische Alternativen an.

Sonntags treffen sich viele Leute in den Pubs um den Sunday Roast, den traditionellen Sonntagsbraten mit Kartoffeln, Gemüse, reichlich Soße und Yorkshire Pudding, einem lockeren Gebäck.

Weniger begeistert war ich von Fish and Chips – der panierte Fisch mit Pommes, die in England meistens eher matschig sind, ist mir einfach zu fettig und ich werde wohl niemals verstehen, wie man das ganze dann auch noch mit Essig übergießen kann…

Auch den Mushy Peas, zerstampften und nach meinem Geschmack deutlich zu wenig gesalzenen Erbsen kann ich nicht besonders viel abgewinnen, auch wenn es diese in der Schule ständig zum Essen dazu gibt. Dass sie auch noch mit Minze gewürzt sind, macht das ganze nicht unbedingt besser… Allgemein scheinen die Engländer sehr gerne mit Minze zu würzen, auch Gerichte, bei denen sie für uns völlig fehl am Platze erscheint.

Das war’s jetzt erst mal mit meinem ersten Blogeintrag – beim nächsten Mal erzähle ich euch mehr von meinem täglichen Arbeitseintrag hier!

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