Von Europa, Frankreich und Nizza

Quo vadis, Europa? Brexit. Das Wort der Stunde. Mein Mitbewohner, ein Engländer, hat die gesamte Nacht von Donnerstag auf Freitag den BBC-Livestream geschaut, während ich entweder halb geschlafen, oder im Halbschlaf den Zwischenstand abgefragt habe. Er selbst hat nicht abgestimmt und sagt einfach, es ließe sich wohl erst in zehn Jahren sagen, ob es eine gute oder schlechte Entscheidung war. Natürlich geht damit keine Welt unter, aber ich weiß es doch sehr zu schätzen, seit nunmehr vier Monaten an der Côte d’Azur im Rahmen meines Französisch-Studiums ein Praktikum machen zu dürfen und dabei von der EU (Erasmus+) unterstützt zu werden!

Konkret habe ich hier einen Bürojob, ich telefoniere und schreibe E-Mails (auf Französisch, Englisch und Deutsch) und pflege so den Kontakt zu denjenigen, die für eine Sprachreise an die französische Mittelmeerküste kommen wollen. Das sind oftmals Anfragen, wie teuer ein Sprachkurs ist, zu welchen Zeiten wir welche unterschiedlichen Kursformen anbieten oder welche Unterkünfte verfügbar sind. Interessant finde ich dabei, dass Anfragen und dementsprechend dann auch Sprachschüler aus allen Teilen der Welt kommen. Hier vor Ort stehe ich dann auch als Ansprechpartner zur Verfügung, da das Büro unmittelbar an die Sprachschule angegliedert ist: So kommen Schüler, die irgendwelche Fragen oder Probleme haben, zu uns an den Empfang und wir versuchen so gut wie möglich weiterzuhelfen. Wir, das sind eine Kollegin und ich, die direkt vorne an der Rezeption sitzen, und uns hauptsächlich um individuelle Buchungen kümmern, im Gegensatz zu meinen weiteren Kollegen, die entweder die Reservierungen über unsere Partnerorganisationen betreuen oder mit (Schul-)Gruppen zusammenarbeiten und die Gastfamilien vermitteln. Und während ich das hier schreibe, fällt mir auf, dass ich noch keine Fotos, keine Selfies mit meinen Kollegen gemacht habe, aber versprochen: das wird nachgereicht!

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Nach einem heißen Tag, wenn man mit seinen Kleidern schon an den Ledersesseln im Büro klebt, lohnt sich immer noch ein Sprung ins Meer, unter 20 Grad fallen die Temperaturen hier auch nachts nicht mehr – hoffentlich funktioniert die Klimaanlage bald mal in meinem Zimmer…

Der zweite Teil meiner Arbeit ist, unser eigenes Wohnheim, die Residenz „Campus Central“, welche auch direkt an die Schule angegliedert ist, zu „überwachen“, d.h. als erstes bin ich bei der Ankunft für die Schlüsselübergabe zuständig. Ich versuche bei kleineren Problemen weiterzuhelfen, wenn im Zimmer irgendetwas nicht in Ordnung ist, jemand seinen Schlüssel verloren hat oder es Beschwerden über andere gibt, die zu laut, zu unordentlich etc. sind – so habe ich auch allgemein darauf zu achten, dass die Regeln hier ordentlich eingehalten werden (keine lautstarken Parties am späten Abend, kein Besuch). Insgesamt würde ich meine Arbeit als abwechslungsreich bezeichnen, dadurch dass es den Büro- und den „Hausmeister“-Job gibt, komme ich mit sehr vielen Sprachschülern, unseren „Kunden“, in direkten Kontakt und darunter sind zwar viele Deutsch-Sprachige, aber da sie ja auch Französisch lernen wollen, kann ich immer guten Gewissens Französisch sprechen und meine deutsche Herkunft zu verstecken versuchen 😉 Zwar merke ich mal wieder, dass das Lehramtsstudium das richtige für mich ist, weil ich eher nicht der Typ bin, um (fast) den ganzen Tag am Schreibtisch vor dem Computer zu verbringen, aber für ein halbes Jahr ist das durchaus eine schöne Sache. Und zuletzt tragen meine Arbeitskollegen auch noch ihren Teil dazu bei, dass ich mich hier sehr wohlfühle, einfach wegen des angenehmen Arbeitsklimas, das ich in einem Wort als südländisch beschreiben würde, was auch die weniger interessanten Arbeitstage retten kann.

Und so verbringe ich hier meinen Alltag zwischen Arbeit und Urlaubsgefühlen, zwischen Büro, Residenz und Mittelmeer, zwischen Franzosen, Spaniern, Schweizern und Engländern, zwischen Kursanfragen, Preisaufstellungen und Visum-Einladungsbriefen. Und als uns in den letzten Wochen Anfragen von Engländern für Sprachkurse vorlagen, habe ich immer schon gescherzt, sie sollten sich doch auch schonmal um ein Visum kümmern. Dass die Briten tatsächlich für „Leave“ gestimmt haben, hat uns dann durchaus überrascht, zwar nicht mit sofortiger Wirkung, aber all die Engländer, die jetzt zum Achtelfinale in Nizza gelandet sind, wissen hoffentlich die letzte Europameisterschaft in Freiheit zu schätzen.

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Gerade bei der EM ist hier momentan eine tolle Stimmung – egal ob Polen, Nordiren, Schweden, Belgier oder Isländer die Stadt belagert haben, ich habe stets eine angenehme, weltoffene und respektvolle Atmosphäre erlebt, denn diese gemeinsame Begeisterung für Fußball hat etwas Verbindendes, wenn Fans aus allen möglichen Ländern zusammenkommen, gemeinsam singen und feiern, egal wer gewinnt. Dass die (Nord-)Iren das besonders gut können, ist wohl auch in Deutschland angekommen – ach, überhaupt, wäre es nicht schade, wenn wir die große britische Fußballnation in der EU verlieren würden..?!

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