• Menu
  • Menu

Tee, Birmingham und die verflixten Fenster

Ich bin mittlerweile seit acht Monaten in England und arbeite an einer Schule in Birmingham als Fremdsprachenassistenzkraft. Das heißt, ich helfe als Muttersprachler im Deutsch-Unterricht aus. Ich habe mich für die Stelle beim Pädagogischen Austauschdienst der Kultusministerkonferenz beworben. Die Schule wurde mir vom Programm zugewiesen. Durch meine Tätigkeit hatte ich die Möglichkeit, viele Erfahrungen zu sammeln: sowohl auf professioneller als auch auf persönlicher Ebene.

Das Britischste an mir: Ich habe angefangen Tee zu trinken (ich weiß, ein Klischee).

Das Deutscheste an mir: meine Liebe zum Brot und Lüften (ich weiß, auch ein Klischee).

Mein größter Erfolg: zu verstehen, was man auf „How are you?“ oder „You’re okay?“  antwortet (nicht so einfach wie man denkt).

Mein Endgegner: Fenster!

Wenn ich vor meiner Ankunft an England gedacht habe, dann habe ich an Tee, London, die königliche Familie und den Brexit (okay, das ist vielleicht der Politikstudent in mir) gedacht. Eines davon spielte in meinem englischen Leben bisher eine größere Rolle als erwartet, eines eine kleinere, eines war genauso nervig wie erwartet und zu einem bin ich deutlich gespaltener geworden.

Eine deutlich größere Rolle in meinen Leben hier spielt der Tee. Ich war noch nie ein Teetrinker und habe auch nicht erwartet damit anzufangen, aber die Engländer haben mich konvertiert. Vor meiner Ankunft dachte ich allerdings, dass die Engländer das Tee trinken zelebrieren. Tee involviert hier zwar oft eine Top-Ausstattung, aber keinen Pomp. Sie trinken es eher wie Wasser: ständig, aber ohne besondere Bedeutung. Fun Fact: Wenn man im Vereinigten Königreich einen Tee bestellt, dann bekommt in der Regel ohne Nachfrage einen Schwarztee. Wenn man was anderes möchte, muss man das sagen. Ich werde auf jeden Fall vermissen, dass man in England an jeder Ecke Tee kaufen kann.

Die königliche Familie dagegen spielt eigentlich überhaupt keine Rolle im alltäglichen Leben. Sie tauchen vor allem hin und wieder in den Nachrichten auf und sind in wirklich jedem Souvenirshop zu finden, aber das war’s eigentlich auch. Auch in jedem Souvenirshop zu finden: eine London-Abteilung.

Der Brexit hingegen ist so nervig wie erwartet. Egal was man politisch von ihm hält, er hat mir deutlich mehr Papierkram und Komplikationen beschert und das mag wirklich keiner. Ich möchte niemandem Angst vor einem Aufenthalt im Vereinigten Königreich machen, denn es ist durchaus eine überwindbare Hürde, aber man muss sich auf höhere Kosten und mehr Zeitaufwand einstellen als man das bei anderen europäischen Destinationen, die in der EU sind, muss.

Mein Verhältnis zu London ist durchwachsener geworden. London ist eine unglaublich tolle Stadt. Ich hätte dort meine ganzen neun Monate verbringen können und immer noch nicht alles gesehen! Zumindest zurzeit ist sie noch der Mittelpunkt des Landes und eine echte Weltmetropole. Allerdings ist London auch so teuer geworden, dass die meisten im Programm nicht dort landen wollten. Selbst als Tourist ist die Stadt sehr teuer und einfach auch sehr voll. Da Birmingham allerdings nur 2 Stunden per Zug von London entfernt ist, konnte ich die Stadt trotzdem mehrmals besuchen. Ich kann einen Besuch Londons zwar nur empfehlen, aber selbst ein Bett im Schlafsaal kostet schnell mal 45€ und mehr pro Nacht.

Fenster in England sind hingegen eine Kunst für sich. Vielleich kennen einige von euch diesen Internet-Witz, dass Deutsche sich im Urlaub über nicht-genormte Treppen beschweren. Bei den Fenstern in Großbritannien habe ich mich schon selbst dabei ertappt, wie ich mich gefragt habe, warum die nicht genormt sind. Allein meine Schule hat mindestens vier verschiedene Fensterarten und sie alle gehen anders auf und zu.

Das Vereinigte Königreich ist ein großartiges Land für einen Auslandsaufenthalt (auch wenn der Brexit einige Schwierigkeiten bereitet). Die Leute hier sind sehr höflich und hilfsbereit. Manchmal ist es als Ausländer schwierig zu verstehen, welche Freundlichkeit ernst gemeint und welche eher eine Höflichkeitsfloskel ist, aber es macht die Ankunft im Land einfacher. Sie haben viel Respekt dafür, dass man eine Fremdsprache spricht und sind deshalb auch geduldig, wenn man mal nach einem Wort sucht. Ein Nachteil ist, dass sie einen nie korrigieren. Neben den netten Menschen hat England an sich und das Vereinigte Königreich als Ganzes auch landschaftlich und urban sehr viel zu bieten. Große und mittlere Städte kann man problemlos per Zug und Fernbus erreichen, in den sehr ländlichen Regionen wird das schon schwieriger, aber ist meist durchaus möglich. Ich hatte Glück, dass eine andere Fremdsprachenassistenzkraft ein Auto mitgebracht hatte und auch bereit war links zu fahren. Wenn man die Möglichkeit hat, sollte man auf jeden Fall die Isle of Skye in Schottland und den Eryri National Park in Wales besuchen. Beide haben eine landschaftliche Schönheit, die nicht von dieser Welt scheint.

Eryri National Park, Wales
Isle of Skye

Bei den Städten findet man alles von Weltmetropole (London, Edinburgh) zu Industriestadt (Birmingham, Liverpool, Glasgow) zu historischen Städten (York, Bath, Oxford). Meine persönlichen Favoriten waren bisher York, Oxford, London und Edinburgh.

London bei Nacht
Edinburgh

Auch sonst hat das Vereinigte Königreich noch viele andere schöne Ecken und National Parks. Persönliche Highlights waren etwa auch die Yorkshire Dales und Cornwall.

Skipton in den Yorkshire Dales, eine typisch englische Kleinstadt
Strand in Cornwall

Birmingham ist ein super Ausgangspunkt zum Reisen, da es sehr zentral in England liegt und ein Eisenbahnknotenpunkt ist. Die Stadt hat 1,2 Millionen Einwohner und ist sehr divers, weil sie eine lange Einwanderungsgeschichte hat. Sie erinnert ein wenig an die Städte des Ruhrgebiets, denn sie ist ebenso in der Industrialisierung groß geworden. Die Stadt selbst hat für ihre Größe nicht so viel zu bieten. Es gibt einige kleine Museen, eine große Bibliothek und ein großes Einkaufszentrum, aber andere Städte wie Liverpool haben da bei ähnlicher Größe mehr zu bieten. Auch der Nahverkehr ist für eine Stadt dieser Größte schlecht ausgebaut. Birmingham ist auf Autos ausgelegt und das merkt man. Es gibt keine U-Bahn, eine Straßenbahnlinie und viele Busse. Leider kommt in der rush hour regelmäßig der Verkehr zum Erliegen und dann können auch die Busse nicht fahren. Es gibt keine durchgängigen Nachtbusse und man braucht ewig, wenn man von einem Ende der Stadt ans andere möchte, da die Stadt recht weitläufig ist. Das Fahrradnetz wird langsam ausgebaut, aber es läuft sehr schleppend, auch weil die Stadt pleite ist. Es gibt viele local trains, die die verschiedenen Bahnhöfe Birminghams verbinden, von denen es viele gibt. In der Nähe eines Bahnhofs zu leben, kann also wirklich vom Vorteil sein. Während meiner Zeit hier hat die Müllabfuhr für Monate gestreikt, was es sogar bis in die deutschen Nachrichten geschafft hat (viele WhatsApp-Nachrichten von besorgten Verwandten). Es gibt aber auch einige sehr schöne Nachbarschaften und in einen von denen lebe ich. In Moseley wie im Vereinigten Königreich als Ganzes gibt es deutlich mehr pubs als es in Deutschland Kneipen gibt, was ein großartiger (wenn auch nicht ganz billiger) Ort zum Leute treffen ist und in den vielen charity shops kann man immer preiswert und nachhaltig shoppen gehen. Generell hatten viele Städte eine tolle Auswahl an Geschäften.

Ich habe mich in diesem Land gut eingelebt und fühle mich hier wohl. Ich freue mich zwar schon wieder auf Deutschland, aber mein Auslandsaufenthalt war bisher ein voller Erfolg! Das Vereinigte Königreich ist trotz EU-Austritts noch immer ein guter Ort für einen Auslandsaufenthalt; für manche Sachen braucht man jetzt allerdings mehr Zeit, Nerven und Geld!

Sarah

Hallo! Mein Name ist Sarah und ich bin 24 Jahre alt. Ich studiere Geschichte und Sozialwissenschaften auf Lehramt und absolviere aktuell ein freiwilliges neunmonatiges Praktikum an einer Schule in Birmingham als Fremdsprachenassistenzkraft.

Zeige alle Beiträge des Autors / der Autorin

Lassen Sie einen Kommentar da

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert