„My Soul Seoul“ – Erste Eindrücke aus der Hauptstadt Südkoreas

안녕하세요! Mein Name ist Romy und ich studiere an der WWU derzeit den MA Politikwissenschaft und den MA Kulturpoetik der Literatur und Medien. Auf den verschiedenen Umwegen und Abstechern, die ich im Laufe meines Studiums machte, nahm mein Interesse an der Menschenrechtsarbeit in den letzten Jahren mal klarere, mal verschwommenere Konturen an. Nun jedoch sitze ich in einem kleinen Café in einer Seitenstraße Gangnams, Seoul, Südkorea vor dem offenen Fenster, genieße meinen Iced Américano (um ehrlich zu sein ist es ein Café Latte, aber um den ultimativen Seoul-Vibe zu transportieren, tausche ich die zwei Kaffeegetränke vor eurem inneren Auge aus) und schreibe diesen Blogeintrag. Seit zwei Monaten mache ich in Seoul bei einer kleinen Human-Rights-NGO ein Praktikum und habe zwei weitere Monate vor mir. Ich freue mich darüber, meine ersten Eindrücke vom Leben in Seoul nun mit euch teilen zu können!

Größer! Heller! Lauter!

Im Voraus möchte ich aufklären, dass ich nie in einer wirklich großen Stadt gelebt habe – ich komme aus einem kleinen Kurort und Münster ist aus dieser Perspektive eine wahre Metropole. Abgesehen von den vereinzelten Städtetrips war ich daher nie Teil des Lebens in einer wahren Millionenstadt. Mein Fazit nach den ersten Tagen inmitten der südkoreanischen Hauptstadt also: Seoul ist unfassbar riesig, laut und bunt. Alles hier schreit Reizüberflutung. Bunte Leuchtreklamen in allen Himmelsrichtungen, Lichter und Musik, die laut aus den Norae Bangs und Geschäften schallt, das Klirren von Geschirr und das Gewirr von Stimmen an jeder Straßenecke. Hupen und Sirenen und das Dröhnen der Mopeds, die wie betriebsame Bienen Delivery-Food vom Restaurant zu den wartenden Grüppchen am Han-River liefern. Musik, Verkehr und Menschen verschmelzen zusammen zu einer Symphonie, der nur auf einem der vielen Berge im Seouler Stadtgebiet entflohen werden kann. Vor allem aber auch ist Seoul lebendig: Während die Straßen morgens noch leergefegt sind, pulsiert hier bis tief in die Nacht das Leben; Körper drängen sich in den Cafés, Restaurants und Gassen. Auch nach zwei Monaten scheint die Gewalt der Eindrücke kein Ende zu nehmen. In jeder noch so kleinen Nische gibt es etwas Neues zu entdecken und zu probieren. Ich frage mich, ob es mir jemals gelingen wird, diese Stadt zu erfassen.

Ich lebte erst in der Nähe von Sinchon und Hongdae, wo viele Studierende und Menschen aus verschiedenen Ländern durch die Straßen laufen, dann in der Nähe von Yeouido, dem Finanzdistrikt, in dem Menschen in schicker Bürobekleidung zwischen den Hochhäusern wimmeln. Schließlich befinde ich mich nun in Sinsa, Gangnam, was ebenfalls sehr großstädtisch ist und wo ich auf meinen Spaziergängen an einer Vielzahl von Plastic-Surgery-Kliniken vorbeilaufe. Erst ist Kirschblüten-, dann Tulpenzeit. Vor kurzem waren die Rosen an der Reihe, die in den vielen hübsch angelegten Parks erblühten. Es ist sonnig und warm, aber alle warnen mich, dass es bald drückend heiß und regnerisch sein wird. Während sich im Stadtbild verschiedene Räume auftun, zeigt sich bei den Menschen ein überwiegend homogenes Bild. Es ist nur zu deutlich, welche Trends vorherrschen. Koreaner:innen lieben zum Beispiel Hüte und Kappen, athletische Kleidung oder den Office-Chic-Look. Schultern sind hier nicht gerne gesehen. Kleidet man sich anders oder sieht anders aus, folgen einem die Blicke der Ajummas und Ajeossis in der U-Bahn oder an der Straßenecke (beim Schreiben fällt mir auf, dass Straßenecken hier eine ganz andere Relevanz zu haben scheinen…). Was sich in Unterhaltungen mit anderen „Foreigners“ als geteilte Erfahrung herauskristallisiert, ist das Gefühl, aufzufallen.

Über Berg und Tal

Das Gelände, auf dem Seoul gebaut ist, ist der schiere Wahnsinn. Es ist für mich nahezu unbegreiflich, dass eine derartig große Stadt auf solch einem hügeligen Boden errichtet wurde. Berg auf – Berg ab – Barrierefreiheit ist nun wirklich etwas anderes. In den unerwartetesten Ecken und Winkeln fällt der Boden plötzlich weg oder kleine Treppchen erleichtern einem den steilen Auf- und Abstieg. Es ist erkenntlich, dass Seoul eine Stadt ist, die in immenser Geschwindigkeit aus dem Boden gestampft wurde. Jeder Spaziergang ist ein Abenteuer. Das Ziel ist nur 250 Meter von hier entfernt? „Ein Klacks!“, sage ich und biege in eine Seitenstraße ab, um die „langweilige“ Hauptstraße zu umgehen. Gefühlt im rechten Winkel und vollkommen unerwartet tun sich die nächsten 250 Meter vor mir auf. Puh. Der Lieblingssatz meiner Bekanntschaften hier, während wir uns die Steigung mühselig hinaufschleppen, ist: „Koreaner müssen echt fit sein!“

Ansonsten schwimme ich, wie vom Sog der Wellen umhergewirbelt, im Verkehr und versuche, im Idealfall nicht zu sterben (ich übertreibe). Besonders die Mopedfahrer kennen nichts – vor allem nicht den Unterschied zwischen Gehweg und Straße. Ich kann nicht behaupten, den Rhythmus des Verkehrs in Seoul vollkommen zu verstehen, aber meine erste Hypothese über seine Funktionsweise ist: „Der (Willens-)Stärkere gewinnt“. Dass Autos nur sehr widerwillig für Fußgänger:innen anhalten, musste ich an meinem ersten Tag in der Freiheit schnell lernen. Bei der Masse an Verkehr auf den zwölfspurigen Straßen und in den kleinen Gässchen ist es jedoch kein Wunder, dass jeder Teilnehmende eine gewisse Bissigkeit an den Tag legen muss, um von der Stelle zu kommen.

CU, I love you <3

Dicht an dicht drängen sich Cafés und Essensgelegenheiten soweit das Auge reicht. Lege ich den Kopf in den Nacken, sehe ich erst die vielen Schilder der ganzen Läden, die sich in den höheren Stockwerken befinden. Und überall: Menschen in lachenden Gruppen. „Jinjja?!“, ruft ein Mädchen und ihre Freundinnen kichern hinter vorgehaltener Hand, bevor sie Fotos von den kleinen Earl-Grey-Madeleines auf ihren Tellern machen. Übervolle Korean-Barbecue-Läden und Speisekarten voller Gerichte, die es sich noch zu probieren lohnt. Die Farbe der meisten Gerichte: rot. Der Geschmack: scharf. Dazu muss gesagt werden, dass ich Schärfe nicht besonders gut abkann und deshalb wegen eines Chili-Symbols in zaghaftem Koreanisch fragen muss: „Igeo manhi maeweoyo?“ Die Bedienung versichert mir: „Jogeumman maeweoyo“ – es sei nur ein bisschen scharf. Hm. Was ich aus diesem Urteil mache, bleibt wie so vieles ein Spiel mit dem Risiko. Ich lerne, den Schmerz zu lieben.

Überkommt einen plötzlich der Heißhunger auf Ramyeon, Kimbab, Backwaren oder Milchprodukte um 7 Uhr morgens, 16 Uhr nachmittags oder um 3 Uhr in der Nacht, reicht ein kurzer Trip zum nächsten CU, GS25 oder 7Eleven, um sich an einer breiten Auswahl leckerer Produkte zu bedienen und dank der vielen 2+1-Angebote mit voll beladenen Armen und dem befriedigenden Gefühl, ein Schnäppchen gemacht zu haben, die 25 Meter nach Hause zu laufen. Korea liebt die Annehmlichkeit und ich war noch nie an einem Ort, der Gemütlichkeit und Praktikabilität in diesem Maße gewährleistet. Abgesehen von der Sprachbarriere, die mir vor allem zu Beginn einige Schwierigkeiten bereitete, wird einem hier das meiste extrem einfach gemacht. Das unbegreifliche Angebot und die Varietät von Essen und Trinken, welche einem hier mit geringstem Aufwand und zu jeder denkbaren Uhrzeit zugänglich ist, werde ich in Deutschland definitiv vermissen. Wenn eines klar ist, dann dass Seoul weiß, wie man Essen und Gesellschaft genießt.

어떻게 말해? Sprach- und andere Abenteuer 

Bereits vor meiner Anreise begann ich, mir selbst Koreanisch beizubringen, was innerhalb der vier Wände meines Studierendenwohnheimzimmers verhältnismäßig erfolgreich zu sein schien. Als ich jedoch herkam: Schock! In der Welt gibt es so viele Wörter und an einem guten Tag verfügt mein Vokabular gefühlt über 4,5 von ihnen. Nach anfänglichen Verständigungsproblemen und einer abenteuerlichen Quarantäne-Erfahrung wurde der Strom an Wörtern und Zeichen jedoch mit jedem Tag verständlicher. Allein mit Englisch kommt man hier jedoch wirklich nicht weit. Hangul lesen und schreiben zu können sowie die grundlegenden Alltagssätze zu beherrschen ist klar von Vorteil, wenn man zurechtkommen möchte. Viele Koreaner:innen sprechen kein oder nur gebrochenes Englisch, auch am Flughafen oder im Immigration Office. Die besten Chancen, englischsprachige Services in Anspruch zu nehmen, hat man in internationalen, jungen und studentischen Vierteln, wie etwa Itaewon oder Hongdae.

Auch muss man sich erstmal daran gewöhnen, in welchen Läden man hier was findet. Ampelphasen sind erschreckend lang und man sollte einige Minuten früher losgehen, wenn man nicht den Bus verpassen möchte, denn steht man einmal an einer roten Ampel, muss man einige Zeit warten. Korrekte Mülltrennung ist ein Unterfangen, das in den ersten Wochen einige Nervosität auslöst. Auch wenn ein Wandel beobachtbar ist, herrschen in Deutschland und Südkorea grundsätzlich unterschiedliche Vorstellungen davon, was in die Kategorie „Tierprodukt“ fällt und was nicht  – Vegetarier- oder Veganer:innen müssen sich leider darauf einstellen, einen flexibleren Ernährungsstil zu übernehmen oder schlichtweg nicht viel essen zu können. Milchersatzprodukte, oder fleisch- und eifreie Gerichte zu finden, gestaltet sich nicht einfach und auch wenn man konkret darum bittet, finden tierische Produkte meist ihren Weg in das Gericht. Die Liste an Beobachtungen wird mit jedem Tag länger und ich könnte ewig weiterschreiben. Das Leben und der Alltag in Seoul sind auf überraschende Weisen unterschiedlich von dem, was in Deutschland als selbstverständlich empfunden wird. Erst mit der Zeit versteht man die unausgesprochenen Regeln, die das Miteinander hier formen und deren Befolgen bzw. Missachten zu bösen Blicken oder wohlwollenden Begegnungen führen.

Fazit nach zwei Monaten Seoul

Auch wenn man in Südkorea gelegentlich Erfahrungen der Fremdheit und unverhohlener Ausgrenzung macht, denen man innerhalb der eigenen Gesellschaft mit mehr Empörung begegnet wäre und über die ich nicht hinweg spielen möchten, fühle ich mich sehr wohl hier und habe das Gefühl, dass ich mich immer besser in dem veränderten Lebensstil zurechtfinde. Bereits jetzt aber habe ich das Gefühl, dass die Zeit viel zu schnell vergeht und ich eigentlich viele Monate mehr bräuchte, um der Stadt auch nur ansatzweise gerecht werden zu können. Seoul ermöglicht eine breite Varietät an Erfahrungen – von einem Spaziergang zwischen Wolkenkratzern kann man mit der U-Bahn schnell zu einem der vielen Berge gelangen und dort durch den Wald klettern. Von den traditionellen Palästen aus reichen nur wenige Fußschritte, bis man sich wieder inmitten der Luxus-Kaufhäuser befindet. Man bräuchte eine Ewigkeit, um herumzufahren und die vielen verschiedenen, mit eigenem Charme versehenen Viertel und Spazierwege vollends zu erkunden und die vielen Angebote, die eine derartig große Stadt hervorbringt, auszuschöpfen. Allein aus diesem Grund kann ich einen Aufenthalt in Seoul definitiv empfehlen. Vieles hier ist anders auf eine Art und Weise, die jeden Tag spannend und bereichernd macht und sowohl das Leben hier als auch das Leben zu Hause in Deutschland mit seinen spezifischen Eigenarten noch einmal bunter erscheinen lässt.