Mein Sommer in Mexiko

Wer einmal die Reisewarnungen über Mexiko liest und anschließend die Gebiete in eine Karte einzeichnet, für die diese Warnungen ausgegeben wurden, wird feststellen, dass bis auf ein paar Gebiete im Süden inklusive der Yucatán-Halbinsel fast im ganzen Land zu erhöhter Aufmerksamkeit aufgerufen wird. Dass ich viel von der angespannten Sicherheitslage mitbekommen hätte, kann ich nicht behaupten.

Lediglich zweimal wurden die Reisepässe von meiner Reisebegleitung und mir durch Regierungsmitarbeiter im südlichen Bundesstaat Chiapas kontrolliert – natürlich ohne Konsequenzen.

Meine sechswöchige Famulatur eine Stunde nördlich von Mexiko-Stadt, in der Hauptstadt des Bundesstaats Hidalgos Pachuca de Soto, hingegen verlief völlig ohne Zwischenfälle. Ähnlich wie Münster hat Pachuca ca. 300.000 Einwohner, die zwar nur einen Bruchteil an Fahrrädern im Vergleich zu Münster besitzen, hingegen aber alles mit dem Tuzobus, einem modernen Linienbussystem mit bisher einer Route, Colectivos oder einem der unzähligen Taxis erreichen. Colectivos sind kleine Sprinterbusse, in denen die Sitze durch Holzbänke ersetzt wurden, damit mehr Menschen transportiert werden können. Durch Handzeichen hält man diese überall in den Städten verstreuten Kleinbusse an, um sich daraufhin für ca. acht Pesos, umgerechnet nicht einmal 50 Cent, begleitet von mexikanischer Volksmusik und für Europäer ungewohnter Nähe, in manchmal vielleicht etwas zu hohen Geschwindigkeiten durch Großstadtsmog und Stau zu kämpfen.

Während meiner Zeit in Pachuca habe ich in einer Wohnung eines Hauses für Studierende gewohnt, in dem ich mit ca. 20 Mexikanern zusammen meine sechs Wochen während meines Praktikums verbracht habe. Die Unterkunft lag in einer Seitenstraße, in der sich jeden Morgen regelmäßig Straßenhunde tummelten und zwischen Plastikmüll nach Essensresten suchten. Die Unmengen an Verpackungsresten und Plastiktüten fallen einem im ganzen Land auf. Dabei werden allen Kunden bei jedem Einkauf im Supermarkt oder den unzähligen Oxxos, ähnlich kleinen Tankstellenfilialen, ungefragt die Besorgungen nochmals in Plastiktüten eingepackt – kein Wunder, dass so ein riesiger Müllberg entsteht.

Ohnehin bin ich während meiner Zeit auch in Gesprächen mit Mexikanern eher auf ein geringes Umweltbewusstsein gestoßen. Das könnte vor allem daran liegen, dass die mexikanische Gesellschaft genug andere Probleme hat. Im Stadt- und Straßenbild wird die große Schere zwischen Arm und Reich deutlich: In jeder größeren Stadt gibt es in den Randbezirken von Kriminalität und Armut dominierte Viertel, in die sich nicht einmal die Mexikaner hineintrauen – aus Angst, nicht wieder lebend hinauszugehen. Darüber hinaus ist die Zahl der Bettler, Bauchladenverkäufer und Straßenkünstler ungleich höher als in Deutschland: An jeder Kreuzung führen Erwachsene und auch Kinder Jonglier-, Fußball- oder Feuerspeitricks auf, verkaufen einzelne Zigaretten, scharfe Süßigkeiten für Autofahrer oder Sonnenschutz für Taxischeiben und halten Bettler die Hand auf – alles in der Hoffnung, wenigstens ein paar Groschen für sich und die Familie zu verdienen. Andere Strategien verfolgen Leute mit Trillerpfeife, die etwa ungefragt beim Einparken vor dem Supermarkt helfen oder die Einkäufe in Plastiktüten verpacken, wobei anschließend die Hand für ein paar Pesos aufgehalten wird.

Aber Mexiko als Schwellenland mit unzähligen innerpolitischen und gesellschaftlichen Problemen abzustempeln, wäre zu einfach. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass es in diesem nordamerikanischen Land einige Dinge gibt, von denen wir uns als Deutsche ein paar Dinge abgucken sollten. Während das Leben hierzulande häufig in Häusern und geschlossenen Einrichtungen abläuft, tobt in mexikanischen Städten vor allem abends das pure Leben auf der Straße. Bei Spaziergängen durch das Zentrum Pachucas kommt einem sofort Reggaeton, populäre lateinamerikanische Tanzmusik, aus allen Geschäften entgegen, zu dem die Mexikaner ihre Hüften auch tagsüber kreisen lassen. Generell fällt auf, dass die Mexikaner ihre Lebensfreude wohl nie verlieren, was vor allem daran liegt, dass die Sicht auf viele Dinge gelassener und positiver scheint. Trotz einer nicht vergleichbaren wirtschaftlichen Lage findet man Mexiko beispielsweise beim World Happiness Report der Länder nur zehn Plätze hinter Deutschland auf Platz 25. Vielleicht liegt es auch daran, dass man Pünktlichkeit nicht ganz so genau nimmt wie in Deutschland. Was ich an Mexiko besonders geschätzt habe und wem ich auch in der Zukunft in Deutschland mehr Aufmerksamkeit widmen möchte, ist der Stellenwert von Freunden und Familie: Es gibt quasi keine Altenpfleger in Mexiko, weil es immer jemanden aus der Familie gibt, der sich um kranke, pflege- oder hilfsbedürftige Angehörige kümmern kann. Fast alle Studierenden fuhren am Wochenende zu den Häusern ihrer Eltern, um dort mit Großvätern und -müttern, Onkeln, Tanten und Cousins und Cousinen das Wochenende oder zumindest den Sonntag miteinander zu verbringen. Bei familiären Problemen hilft man sich ebenso schnell und gut, wie es geht. Ich denke, das ist eine Sache, die zumindest ab und zu in unserem westeuropäischen Denken vernachlässigt wird.

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