Mein Arbeitsalltag im Goethe-Institut Turin

Ich melde mich heute mal wieder aus Turin, nachdem ich tatsächlich schon 4 Wochen hier verbracht habe – unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Jeden Tag prasseln neue Reize und Erlebnisse auf mich ein, so dass ich kaum dazu komme, hier alles zu berichten. Zunächst soll nun aber mein Arbeitsalltag im Mittelpunkt stehen.

Die Arbeit im Goethe-Institut ist vielseitig, besteht für mich aber hauptsächlich aus Unterrichtshospitationen. Mein Praktikum beschränkt sich nämlich auf die Sprachabteilung, was meinem Wunsch, Erfahrung mit dem Unterricht von Deutsch als Fremdsprache zu sammeln, gerecht wird. Veranstaltungen der Programm- und Kulturabteilung bekomme ich so nur am Rande mit. Die Turiner Buchmesse Mitte Mai wird zum Beispiel von diesem Zweig des Goethe-Instituts mitorganisiert, da Deutschland in diesem Jahr Gastland ist und im Rahmen des Jahresprogramms „TORINOincontraBERLINO“ (Turin trifft Berlin) viele weitere Veranstaltungen aus deutsch-italienischer Zusammenarbeit stattfinden. So war letzte Woche zum Beispiel ein ehemaliger italienischer Partisan aus dem zweiten Weltkrieg im Goethe-Institut zur Lesung und Begegnung zu Gast. Es war sehr interessant, seinen Schilderungen auf Italienisch und Deutsch zu folgen und einem authentischen Zeitzeugen zu begegnen. Enrico Loewenthal wuchs als Kind eines deutschen Vaters und einer italienischen Mutter in Turin auf und besuchte bis 1934 die hiesige deutsche Schule, bis er diese aufgrund seiner jüdischen Herkunft verlassen musste. Ab diesem Zeitpunkt sprach er auch kein Deutsch mehr, bis er einige Jahre später auf deutsche Soldaten traf und diese mit „Hände hoch, bitte“ aufforderte, ihn nicht anzugreifen. Durch einige glückliche Zufälle überlebt er den Krieg, während Teile seiner Familie deportiert und ermordet wurden. Als Siebzehnjähriger schloss er sich den Partisanen an und kämpfte gegen den Faschismus und die deutsche Besatzung in Italien – ließ aber zwei deutsche Soldaten, die er gefangen genommen hatte, frei und verhalf ihnen sogar zur Flucht in die Schweiz. Auf unglaubliche Weise entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft zwischen den Männern. Einen Link zu seinem Buch „Mani in alto, bitte“ (italienisch)/“Hände hoch, bitte“ (deutsch) findet ihr hier:

http://www.hentrichhentrich.de/buch-haende-hoch-bitte.html?PHPSESSID=sotp2r04ksc3kqidoo5lus8lt0

Ein weiteres Stück Zeitgeschichte haben wir diese Woche mit unserem „Rentnerkurs“ besichtigt. Kurz vorweg: Dieser Kurs besteht aus Teilnehmern, die schon seit vielen Jahren Deutsch lernen und im normalen Kursangebot keine angemessene Stufe mehr finden. Die älteren Herrschaften besitzen alle einen unglaublichen kulturellen Hintergrund und kommen jede Woche mit Freude in ihren Kurs, um Konversation auf Deutsch zu führen. Mit diesen 14 Senioren haben wir ein Café auf der Piazza Emanuele Filiberto (ein sehr schönes Eckchen im Ausgehviertel Quadrilatero) besucht, in dem sich tatsächlich ein Stück der Berliner Mauer befindet. Der Besitzer, ein bekanntes Gesicht in der Turiner Kunstszene, hatte dieses 1992 erWP_20150428_011worben. Die Teilnehmer haben dann in verschiedenen Gruppen (die „Journalisten“, die „Historiker“ usw.) die Berliner Geschichte rund um die Mauer und ihren Fall behandelt und am Schluss jeweils eine Präsentation gehalten. Es war recht kühl, aber trotzdem ein außergewöhnliches Kurserlebnis!

 

Im normalen Kursbetrieb freilich sind solche Exkursionen die Ausnahme. Die Kursteilnehmer auf niedrigerem Sprachniveau beschäftigen sich hauptsächlich mit Grammatik, Wortschatzarbeit und ein wenig deutscher Landeskunde. Bei den Hospitationen gebe ich dann Hilfestellungen bei Gruppenarbeiten, beobachte die Umsetzung der Unterrichtsplanung und erledige kleine Aufgaben für die Lehrkräfte. Das Angebot am Goethe-Institut reicht von den üblichen Sprachstufen A1 (Anfänger) bis C2 (Muttersprachlerniveau); darüber hinaus gibt es aber auch einen Literaturkurs, Konversationskurse zu bestimmten Themen und den oben erwähnten Seniorenkurs. Erwachsene Lerner sind meiner Erfahrung nach ziemlich anspruchsvoll, die Kurse kosten schließlich auch eine Stange Geld. Man sollte zudem beachten, dass der Durchschnittslohn in Italien nur etwa die Hälfte dessen in Deutschland beträgt. Letzte Woche habe ich zum ersten Mal eigenständig Aufgaben in einem Kurs angeleitet und ein neues Grammatikthema in einem anderen eingeführt. Schwieriger als gedacht! Man kann sich noch so viele Gedanken über den Unterricht vorher machen, wenn man – wie ich – unerfahren mit Deutsch als Fremdsprache ist, tauchen in der Praxis dann ganz andere Probleme auf. Unterrichtssprache ist am Goethe-Institut grundsätzlich Deutsch, aber wie macht man Deutschlernern eines A1.1 Niveaus deutlich, dass sie sich in zwei Kreisen aufstellen sollen, ohne aufs Italienische zurückzugreifen? Die Muttersprache soll zwar auf den niedrigeren Sprachstufen einbezogen werden, wenn es etwa darum geht, Assoziationen zu Bildern zu äußern, für die die aktuelle Lernstufe noch nicht ausreicht, Übersetzungen sind jedoch nicht gefragt. Es handelt sich also stets um einen Drahtseilakt aus Synonymen und Erklärungen, dem Lerner unbekannte Vokabeln und Strukturen zu verdeutlichen. Die Lehrkräfte handhaben dieses Problem auf unterschiedliche Art. Gerade konkrete Arbeitsaufträge werden von einigen nochmal auf Italienisch wiederholt, während andere ihr Pensum komplett auf Deutsch durchziehen. Über 10 Jahre Erfahrung im Unterrichten helfen da natürlich 🙂 Der handlungsorientierte Ansatz im Goethe-Institut ist in jeder Unterrichtsstunde spürbar. Da im klassischen Frontalunterricht jeder Schüler auf eine durchschnittliche Redezeit von zwei Minuten kommt, heißt handlungsorientiert soviel, dass möglichst oft die Sozialform gewechselt und viel an die Lernenden selbst abgegeben werden soll. Die Lehrkraft agiert somit eher moderierend und helfend auf einer Ebene mit den Schülern statt aus einer erhöhten Position heraus Anweisungen zu erteilen. Die Umsetzung dieses Konzepts hat mich von Anfang an begeistert. Die interaktive Tafel in jedem Klassenraum unterstützt die Lerngruppe dabei ebenfalls.

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Eine Auszeit am Ufer des Pos oder im Valentino Park muss auch mal sein

Gestern habe ich gemeinsam mit der anderen Praktikantin die erste komplett eigenverantwortliche Stunde zum Thema Redewendungen in unserem lieben Rentnerkurs halten. Die eigentliche Lehrkraft war verhindert und so haben wir eigenständig eine tolle Stunde gestaltet. Schon die Vorbereitung war zwar zeitintensiv, aber sehr lehrreich, schließlich mussten wir uns alle Materialien selbst zusammensuchen, Arbeitsblätter erstellen und die Präsentation für die Tafel vorbereiten. Die Stunde selbst (120 Minuten) verging dann wie im Flug, einige Übungen liefen hervorragend, während andere noch gezielte Hilfestellung unsererseits erforderten. Ich selbst habe auch etwas über italienische Redewendungen dazugelernt 😉

Neben den Unterrichtshospitationen und eigenem Unterricht helfen wir häufig an der Rezeption aus, übernehmen die Aufsicht bei der Vorbereitung zu mündlichen Prüfungen und gestalten den Facebook-Auftritt des Goethe-Instituts mit. Ich bin sehr froh, dass ich viel von der eigentlich Sprachkursarbeit mitbekomme und auch die kulturellen Angebote, die das Goethe-Institut anbietet wahrnehmen kann. Jede Woche erstelle ich mir einen Hospitationsplan und spreche ab, wann ich die Prüfungsaufsicht übernehmen muss, so dass meine Arbeitszeiten sehr flexibel sind. Dies hängt auch damit zusammen, dass der Großteil der Kurse abends von 18.00-19.40 und von 19.50-21.30 Uhr stattfindet. Die andere, allerdings weniger gefragte Kurszeit ist von 10.00-13.30 Uhr. Ich habe somit mittlerweile einige feste Kurse, in die ich jede Woche gehe, und andere, die ich mir ab und zu mal anschaue. Hinzu kommen Veranstaltungen wie Konzerte, Filmabende und Lesungen. Wenn ich dann noch die Nachmittage im Goethe verbringe, um Stunden vorzubereiten o.Ä., kommen so manchmal sehr lange Tage zusammen. Andererseits hat man auch mal einen Tag frei oder arbeitet nur abends, ich kann mich also nicht beklagen.

Genug von der Arbeit, ich möchte zum Abschluss noch ein paar Touristentipps weitergeben 😉 Wer an Glückbringer glaubt, sollte sich unbedingt auf dem Geschlechtsteil des in den Boden eingelassenen Messingstieres vor dem Caffè Torino auf der Piazza San Carlo einmal auf dem Absatz um sich selbst drehen. Kein Mensch weiß warum, aber angeblich soll das Glück bringen (und eventuell auch Fruchtbarkeit)! Witzigerweise  befindet sich das Caffé Torino direkt unter dem Goethe-Institut. Wenn ich zur Pause runtergehe, sehe ich schonmal so manchen eine Drehung vollziehen. Das momentane Highlight der Stadt ist aber die dreimonatige Ausstellung (April bis Ende Juni) der „Sindone“, des heiligen Grabtuchs, welches sich zwar immer im Turiner Dom befindet, jedoch nicht ständig dort ausgestellt wird. Ganze Polizeiabteilungen werden nur zu dessen Schutz abgestellt! Zuletzt sei der wunderschöne Ausblick vom Monte dei Cappuccini erwähnt. Wenige Minuten von der Gran Madre entfernt ist dies ein Hügel, von dem aus man Turin tagsüber oder auch vor allem nachts in seinem Lichtermeer bewundern kann.

Ciao, ci sentiamo presto

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La bella Gran Madre

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