こんにちは “Konnichiwa”
Liebe Grüße aus Japan,
nachdem nun die ersten Tage an der Dokkyo Medical University vergangen sind, möchte ich euch berichten, wie der Arbeitsalltag in einem japanischen Krankenhaus abläuft und wie mein Leben um die Klinik herum ausschaut.
Eingesetzt bin ich zur Zeit in der Neurochirurgie. Jeden Morgen um sieben (sehr früh, aber auch in Deutschland muss man so früh in der Klinik sein), findet im Konferenzsaal der Neurochirurgie eine Besprechung statt. Hier werden neue Patienten sowie die heutigen Operationsfälle vorgestellt, zunächst auf Englisch, dann auf Japanisch. Es folgt eine Präsentation der gestrigen OP mit der Verlaufsschilderung des Patienten. Mit mir sind auch drei japanische Studenten mit auf der Station, jedoch immer nur für eine Woche, dann wird rotiert. Häufig stellen die Professoren und Oberärzte uns Fragen zu den einzelnen Patienten, CT-Bildern, Laborergebnissen sowie Operationstechniken. Wenn man etwas nicht weiß, ist dies kein Untergang, freundlich wird einem die Antwort erklärt. Aber man merkt schnell, dass es den japanischen Studenten sehr unangenehm ist, wenn sie einen Fehler machen. Ich denke hier spiegelt sich die japanische Mentalität deutlich wieder, nie das Gesicht zu verlieren.
Nach der Besprechung folgt ähnlich wie in Deutschland die Visite. Hier geht der Chefarzt kurz in jedes einzelne Patientenzimmer und fragt, wie es den Patienten geht. Direkt im Schlepptau die Studenten, die anderen Ärzte warten meist vor dem Zimmer, damit es am Patientenbett nicht zu voll wird. Meist fällt das Gespräch eher kurz aus, der Chefarzt vergewissert sich eher, wie es seinen Patienten geht um selbst einen Eindruck zu bekommen. Die eigentlichen Anamnesegespräche werden von den Stationsärzten im Laufe des Tages geführt. Danach haben wir Studenten meist eine halbe Stunde Pause, in der wir einen Kaffee trinken gehen oder frühstücken. Allerdings kann ich mich mit dem japanischen Frühstück nicht so richtig anfreunden, sodass es bei mir eher beim Kaffee bleibt. Japaner essen morgens (wie eigentlich zu jeder Uhrzeit) warm. Meist gibt es Miso-Suppe sowie Reis und Fisch oder Ei. Miso-Suppe ist ein japanisches Nationalgericht, dass aus Fischsud sowie einer Sojabohnenpaste hergestellt wird. Da ich als Deutsche eher süßes Frühstück gewöhnt bin (und Nutella sehr vermisse), esse ich meist schon vor Arbeitsstart ein Müsli und trinke meinen Tee (Cornflakes gibt es anscheinend überall auf der Welt, ähnlich wie McDonalds). Nach der Pause gibt es für mich eine private Unterrichtsstunde in Neuroanatomie beim Chefarzt. Manchmal kommen die japanischen Studenten mit, manchmal ist es Einzelunterricht. In Münster lernt man Neuroanatomie im dritten Semester, sodass dieser Unterricht für mich Wiederholung darstellt. Allerdings ist diese wirklich nötig, da der Aufbau unseres Nervensystems sehr komplex ist und man Vieles schnell vergisst bzw. durcheinander bringt. Um jedoch die hochkomplexen Krankheitsbilder der Neurologie und Neurochirurgie zu verstehen, ist es wichtig einen Überblick über den gesunden Zustand des Gehirns und Rückenmarks zu haben.
Operiert wird hier immer montags, mittwochs und freitags. Dies ist ein großer Unterschied zu Deutschland, denn bei uns gibt es quasi keinen Tag, den ein Neurochirurg nicht im Operationssaal verbringt. Dienstags und Donnerstags ist Angiografie-Tag, wobei der Dienstag zur Diagnosestellung und der Donnerstag dann zur Behandlung dient. Bei der Angiografie stellt man die Gefäßversorgung des Gehirns dar. Hierfür benutzt man einen Katheter, den man in die Arterie der Leistengegend einführt und mit Hilfe eines Führungsdrahtes in der Aorta vorschiebt, bis man zum Abgang der Gefäße kommt, die den Kopf und das Gehirn versorgen. Wenn man hier angelangt ist, kann man über den Katheter ein Kontrastmittel laufen lassen und das Röntgenbild zeigt dann den Verlauf der Gefäße. Ähnlich wie in Deutschland sind ein hoher Blutdruck sowie Blutcholisterinspiegel in Japan zunehmend verbreitet. So ist eine häufige Diagnose der Angiografie Artheriosklerose mit einer Minderversorgung des Gehirns mit Blut zur Folge. Dies wird dann am folgenden Donnerstag behandelt, indem man auch über ein Katheterverfahren einen Stent in das betroffene Gefäß einbringt um es wieder zu öffnen und eine ausreichende Durchblutung sicherzustellen.
Ein häufiges Krankheitsbild, dass hier operiert wird, sind Hirnaneurysmen. Hier zeigt eine Hirnarterie eine Erweiterung, die besonders anfällig ist, zu ruptuieren und zu bluten. Da eine Hirnblutung schwerwiegende Folgen, wie Bewusstseinseintrübung, Koma oder gar den Tod haben kann, versucht man dem zuvorzukommen und verschließt die Ausbuchtung, indem man einen Clip auf das Gefäß setzt. Die Neurochirurgie der Dokkyo Medical University ist innerhalb von Japan für diese Art von Operation sehr bekannt, daher kommen Patienten aus ganz Japan, um sich hier operieren zu lassen. Ich darf bei solchen Operationen meist assistieren. Das bedeutet, dass ich dafür sorgen muss, dass das Operationsfeld gut übersichtlich bleibt, indem ich das Blut entweder absauge oder tupfe, Haken halte, mit der Pinzette bestimmte Strukturen markiere oder beiseite halte. Meine besonderen Highlights sind das Aufbohren des Schädels sowie das Zunähen und Zuknoten am Ende der Operation. Japaner verwenden eine andere Knotentechnik als wir Deutschen, sodass ich mein Repertoire an chirurgischen Handgriffen erweitern konnte. Ein großer Teil der Operation erfolgt dann über das Mikroskop. Hier wird das Bild für uns Studenten dann auf einen Monitor übertragen, damit wir die weitere Operation mitverfolgen können. Es gibt sogar 3D-Monitore, die einem ein besseres räumliches Verständnis des Operationsfeldes vermitteln sollen.
Nach der ersten Operation haben wir Studenten meist eine Mittagspause. Hier in der Klinik gibt es eine japanische Mensa sowie ein italienisches Restaurant, das unter den Studenten sehr beliebt ist, da Spagetti mit Tomatensauce für sie eine Abwechslung zum normalen japanischen Essen darstellt. Auch wenn ich in meinem Leben selten ein Gericht so häufig gegessen habe wie Nudeln, bin ich doch froh, dass ich hier wenigstens erkennen kann, was sich auf meinem Teller befindet, sodass ich gerne mit in das italienische Restaurant gehe. Dies soll nicht bedeuten, dass ich nicht gerne japanisches Essen probiere, nur gehe ich hierfür meistens mit den Studenten am Wochenende oder abends in ein Restaurant, das genau dieses japanische Essen als Spezialität führt. Mein bisheriges Highlight: Gyoza. Utsunomiya, der nächst größeren Stadt von Mibu aus, ist sehr bekannt für dieses Gericht. Gyoza sind kleine Teigtaschen, gefüllt mit Fleisch, Gemüse und sehr viel Knoblauch und Zwiebeln. Man tunkt diese in Sojasauce gemischt mit Weißweinessig und isst als Beilage (wie immer) Reis dazu. Man bekommt die Gyoza entweder gekocht, gebacken oder frittiert, wobei ich die gebackene Variante bevorzuge. Besonders berühmt für diese Spezialität ist das Restaurant Min-min Gyoza (4-2-3 Babadori, Utsunomiya, Tochigi Prefecture 320-0026). Es erinnert an ein Schnellimbus-Restaurant und sieht auf den ersten Blick nicht besonders aus, aber die lange Schlange vor dem Restaurant verrät, dass es sehr beliebt ist. Ich kann jedem, der mal in der Nähe von Utsunomiya ist nur empfehlen, vorbeizuschauen 🙂
Nachmittags geht es dann wieder in den Operationssaal, falls noch eine weitere OP ansteht. Ansonsten haben wir Studenten frei. Die japanischen Studenten müssen häufig einen Vortrag in der morgendlichen Konferenz halten und ich helfe ihnen, diesen in Englisch zu übersetzen. Manchmal gehen wir danach noch aus. Sehr beliebt bei Japanern sind Spielhallen. Man kann diese sehr gut mit einer riesigen Indoor-Kirmes vergleichen. Es ist sehr laut und bunt in diesen Hallen. Überall gibt es Automaten, an denen man gegen kleines Geld so gut wie jedes Spiel, das es für Konsolen gibt, spielen kann. Mein absoluter Favorit ist Mario Kart. Sehr beliebt sind hier auch die großen Fotoboxen, in denen man Gruppenbilder machen kann, die man dann hinterher bearbeitet und lustige Filter sowie Sticker hinzufügt. Ich persönlich nenne sie “Snapchat-Box”, da der Stil mit den riesigen Augen und irgendwelchen Tierohren doch sehr an die beliebte Handy-App erinnert. Ein absolutes Highlight für Japaner sind die Karaoke-Stationen. Ich muss zugeben, dass es mich doch etwas Überwindung kostet, einfach so loszusingen, aber da Karaoke hier quasi Volkssport ist und für Japaner eine absolute Alternative zur Kneipe oder Club darstellt, muss man da halt durch. Egal ob man gerne singt oder nicht.
Ich hoffe ich konnte euch einen gutes Eindruck vermitteln, wie mein Alltag hier in Japan abläuft. Ich werde euch natürlich auf dem Laufenden halten, wenn ich ein neues Restaurant ausprobiert habe, oder es einen spannenden medizinischen Fall gab.
Bis dahin,
さようなら, またね „Sayonara, Matane“
Viele Grüße und bis bald,
eure Anna
Hallo Anna, es ist echt spannend mal in den Alltag eines Arztes zu blicken. Ich finde, die Neurochirurgie ist so ein verantwortungsvoller Aufgabenbereich, ich persönlich hätte sehr große Angst etwas falsch zu machen. Aber umso besser, dass es Leute, wie dich gibt, die sich so lange (fort-)bilden, bis sie so ein hochkomplexes Gebiet beherrschen! Mein alter Freund geht jetzt auch in diesen Bereich.