Meer und mehr

Du schmeckst Salz auf deinen Lippen. Deine Arme, dein Rücken, deine Beine, dein ganzer Körper ist entspannt. Du schließt die Augen und lässt dich langsam noch etwas tiefer in das badewannenwarme Meerwasser sinken. Als du die Augen wieder öffnest, blickst du in den dunklen Nachthimmel und leise rieseln dicke Schneeflocken auf dich herab. Du bist nicht überrascht, musst aber angesichts dieser paradoxen Wahrnehmungen doch grinsen, denn was sich für deinen Körper gerade fast wie ein Bad in einer Strandlagune irgendwo in der Karibik anfühlt, ist in Wahrheit das Zentrum des gesellschaftlichen Beisammenseins im spätwinterlichen Island – ein Hot Tub in einem der sechs städtischen Schwimmbäder Reykjavíks.

Black Sand Beach mit Blick auf Reynisdrangar

In diesen größtenteils im Freien angelegten und geothermal beheizten Becken findet das öffentliche Leben statt, auch wenn das Wetter die Menschen eher dazu zu bringen wollen scheint, sich allein zuhause unter einer warmen Decke zu verkriechen. Doch wer in Island lebt, trotzt diesem Drang und macht sich mindestens einmal pro Woche auf dem Weg ins Schwimmbad. Dort geht es weniger darum möglichst elegant möglichst viele Bahnen zu ziehen und dann noch ein paar Minuten zu plantschen, sondern vielmehr darum, sich mit Freunden und Verwandten oder auch allein im Hot Tub zu entspannen und einmal die gesamte aufgestaute Kälte der letzten Woche – die hier in Reykjavík teilweise durch Mark und Bein geht – einzuweichen und abzuschütteln. Auch wenn man allein unterwegs ist, kommt man hier schnell mit anderen ins Gespräch und sieht – wenn man regelmäßig geht – bald einige bekannte Gesichter.

Da in isländischen Schwimmbädern deutlich weniger Chlor genutzt wird als in Deutschland – was sehr angenehm ist für alle, die nach dem Baden nicht gerne riechen wie ein Unfall in einem Chemiekonzern -,  gibt es einige Regeln, die man beachten sollte. So ist es beispielsweise obligatorisch, sich vor dem Betreten des Schwimmbereichs komplett und ohne Badebekleidung zu duschen. (Und ja, es wird vom Schwimmbadpersonal überprüft – man gewöhnt sich daran.) Außerdem dürfen die Umkleiden nicht pitschnass betreten werden, so dass es ratsam ist, sein Handtuch bereits mit zu den Duschen zu nehmen. Es gibt dort Regale dafür. Der positive Nebeneffekt – man kann beim Umziehen seine Socken anziehen ohne sich direkt in die Schuhe stellen zu müssen, damit diese nicht nass werden. Und apropos Schuhe. Die bleiben draußen, was den Fußboden in den Umkleiden wunderbar sauber hält.

Wie man zwischen den Zeilen dieser ersten drei Abschnitte sicherlich herauslesen kann, ist der wöchentliche Schwimmbadbesuch zu einer meiner Lieblingsroutinen während meines Praktikumsaufenthalts in Island geworden und ich kann allen, die dieses Land besuchen, nur empfehlen es einmal auszuprobieren. Neben der Tatsache, dass es im isländischen Winter einfach unglaublich angenehm ist, sich selbst ein wenig im warmen Wasser ziehen zu lassen, ist es eine der Tätigkeiten, die im Vergleich zum deutschen Pendant durchaus preiswert ist. Für etwa 35€ kann man sich eine 10er Karte für alle städtischen Schwimmbäder aufladen. Obwohl es teilweise recht voll war, empfehle ich vor allem das Schwimmbad Laugardalslaug, weil es hier ein warmes Becken mit echtem Meerwasser gibt, was sich einfach super auf der Haut anfühlt.

Aber nicht nur im Schwimmbad kommen Menschen, die es ans Wasser zieht in Island auf ihre Kosten. Das Leben auf Island ist durch und durch mit dem Meer verbunden. Das fängt dabei an, dass das wechselhafte und dennoch vergleichsweise milde Klima Reykjavíks fast ausschließlich vom Meer beeinflusst wird und führt dahin, dass noch immer ein großer Prozentsatz des Bruttoinlandsproduktes Islands durch die Fischerei erwirtschaftet wird und die bloße Existenz einiger kleinerer Dörfer vom Meer und dem Fischfang abhängt. Dabei ist diese Insel im Nordatlantik natürlich nicht mit den typischen Urlaubsorten zu vergleichen, die auf Postern im Reisebüro beworben werden, auf denen die zahme kristallblaue See vor klarem hellblauem Himmel schüchtern an schneeweißen Stränden leckt. Gerade zu dieser Jahreszeit ist die See oft graugrün, herb und rau, ähnlich der deutschen Nordsee, und die Strände bestehen aufgrund des Lavagesteins aus pechschwarzem Sand. Lediglich in den Fjorden ist das Wasser meist ruhig und von einem intensiven Blau geprägt, das in der sonst zurzeit eher gräulich trüben Umgebung fast schon surreal wirkt und sich in seiner Intensität kaum fotografisch festhalten lässt.

Blick von Reykjavík über den Kollafjörður auf den Berg Esja (ca. 10km nördlich).

Wie in meinem ersten Beitrag bereits erwähnt, war der Reynisfjara Black Sand Beach für mich ein absolutes Highlight. Natürlich ist er, vor allem nachdem bekannt wurde, dass einige Szenen der Serie „Game of Thrones“ hier gedreht wurden – was aufgrund dieser unglaublichen Kulisse nicht verwundert – zu einem der Touristen-Hotspots des isländischen Südens geworden und ist daher besonders im vorderen Strandabschnitt von Menschen mit Kameras aller Art überlaufen. Aber der Anblick der berühmten Reynisdrangar Basaltfelssäulen zwischen den tosenden Wellen des Atlantiks entschädigt diesen Aspekt alle Male und lässt einen die 100 anderen Leute schnell vergessen. Allen, die diesen Ort besuchen wollen, sollte jedoch unbedingt klar sein, dass die Warnschilder am Parkplatz, die einen auf die Gefahr durch die Wellen hinweisen, nicht umsonst dort stehen und man stets einen gewissen Sicherheitsabstand zum Meer einhalten sollte. Um diesen Ort zu besuchen würde ich dennoch fast sagen, dass man sogar Glück hat, wenn das Wetter am jeweiligen Tag rau und stürmisch ist, da der Strand dann einerseits weniger bevölkert ist und man ihn, wenn man etwas in Richtung der felsigen Halbinsel Dyrhólaey geht, schon fast für sich allein hat und andererseits, weil man so die unwirkliche Atmosphäre der schwarzen Felsen und des Strandes unter der Wucht der vom Sturm aufgepeitschten Wellen noch intensiver auf sich wirken lassen kann. Die Wellen nehmen dabei so unwirkliche und spannende Formen an, dass ich den ganzen Tag hier verbringen könnte ohne mich je zu langweilen!

Insgesamt hat es mir in den zwei Monaten in Reykjavík unheimlich gut getan, wieder einmal am Meer zu leben und beispielsweise am Ende eines Arbeitstages, sobald das Wetter es zuließ den „long way home“ zu nehmen, welcher mich nicht direkt zur nächsten Bushaltestelle, sondern am zwei bis drei Gehminuten entfernten Strand entlang führte. Der Blick aufs Meer wird auch hier nie langweilig, weil es jeden Tag völlig anders aussieht, je nachdem welche Lichtverhältnisse herrschen, ob die Wellen sanft oder rau sind, oder welche Wolkenformationen sich darüber auftürmen. Was jedoch täglich gleich bleibt, ist der wunderbare Duft nach Meer, in den einen der Wind bei jedem Spaziergang hier hüllt. Manch einer würde sagen, es rieche nach verrottenden Algen, aber diese Art von Negativität sollte niemand in sein Leben lassen.

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