Während meines Praktikums an der Háskóli Íslands habe ich viele verschiedene Perspektiven des Arbeitslebens einer Hochschullehrkraft kennenlernen dürfen. Besonders positiv ist meiner Ansicht nach der hohe Grad an Selbstständigkeit, der mir hier, verglichen mit meinen früheren Praxisphasen an deutschen Schulen, zugestanden wurde.
So gab es zwar viele Stunden, die ich unterrichtet habe, während die Kurslehrkraft mit im Raum saß und mir anschließend Feedback geben konnte, aber etwa die Hälfte der von mir geplanten und durchgeführten Stunden durfte ich hier allein halten, was im Nachhinein gesehen entscheidend zur Entwicklung meiner Lehrerpersönlichkeit beigetragen hat. Wenn man Unterrichtsstunden in Kursen übernimmt, in denen man zuvor hospitiert hat, und die Kurslehrkraft dabei mit im Raum sitzt, habe ich häufig das Gefühl, den Unterricht möglichst so ausrichten zu müssen, dass er in das Konzept bzw. in den Stil der jeweiligen Lehrkraft passt, wodurch ich bisher selten die Gelegenheit hatte, meinen eigenen Unterrichtsstil „kennenzulernen“ und zu festigen. Diese Chance habe ich in diesem Praktikum bekommen. Außerdem habe ich mich hierdurch zum ersten Mal auch von den Lernenden als vollwertige Lehrkraft wahrgenommen gefühlt, sodass sie sich mit Fragen zum Stoff oder zu ihren anstehenden Prüfungen deutlich häufiger an mich wandten, als ich es aus anderen Praktika kenne. Und auch unter den Kolleginnen und Kollegen habe ich mich im Institut sehr wohl und ernst genommen gefühlt, man übertrug mir wichtige Aufgaben – nicht bloße Praktikantenjobs – und hat mich oft nach meiner Meinung oder Einschätzung gefragt – beispielsweise als ich in den mündlichen Prüfungen zu einem Kurs hospitieren durfte – was eine sehr lehrreiche Erfahrung für mich war.
Insgesamt hatte ich in den zwei Monaten meines Praktikums zwar stets recht viel zu tun, aber auf eine gute Art und Weise, so dass mir nicht langweilig wurde und ich mich wahrhaft gebraucht und gefordert gefühlt habe. Einen großen Teil der Arbeit konnte ich mir dabei selbst einteilen, sodass auch Zeit für Wochenendausflüge oder ähnliches blieb. Durch dieses Praktikum ist die Arbeit als Universitätslehrkraft für mich zu einer echten und spannenden Alternative zum Lehramt an Schulen geworden, was jedoch noch immer mein hauptsächliches Berufsziel ist.
An dieser neuen Perspektive gefallen mir aber zwei Dinge besonders: Einerseits die Arbeit mit Studierenden, die naturgemäß im Schnitt sehr viel interessierter an dem Fach sind, das sie studieren, als Schülerinnen und Schüler es oftmals sind. Und andererseits die Möglichkeit viel leichter auch mal einige Zeit im Ausland unterrichten zu können und so andere Länder und Kulturen kennenzulernen. So habe ich während meines Auslandsaufenthalts nicht nur die Arbeit an der HÍ genossen, sondern auch Land und Leute ins Herz geschlossen. Besonders beeindruckend war hierbei für mich, wie enorm sich dieses Land wandelt, sobald im Frühling die ersten Sonnenstrahlen rauskommen. Kein Spielplatz, kein Park und keine Sportanlage bleibt dann mehr ungenutzt und jeder scheint auf den Straßen der Stadt unterwegs zu sein. In Deutschland habe ich in den letzten drei Jahren nicht mehr so viele Kinder draußen spielen sehen, wie hier in den letzten zwei Wochen. Wahrscheinlich erwächst auch hieraus die Liebe, die viele Isländer für ihr Land und die Natur hier ausstrahlen und die sie gerne mit allen zu teilen scheinen, die dies zu schätzen wissen. Somit verlasse ich diesen Ort mit einem lachenden und einem weinenden Auge und drücke mir und uns allen auf meinem Heimweg die Daumen, dass der deutsche Frühling in diesem Jahr eine ähnlich positive Energie auszustrahlen vermag.