London im Sommer 2019: Eine Stadt zwischen Brexit, Boris und Beefeatern

Hallo zusammen!

Ich bin Lukas, 21 Jahre, und studiere Biologie und Englisch im 2-Fach-Bachelor an der WWU. Nachdem ich mich im letzten Jahr dazu entschlossen hatte, in den Sommersemesterferien ein Auslandspraktikum zu machen, stand relativ schnell fest: Ich möchte gerne nach London gehen! Kurz darauf hatte ich auch schon eine interessante Praktikumsstelle im Süden Londons gefunden, einen deutschen Kindergarten. Der Kindergarten ist auf bilinguale Erziehung ausgerichtet und wird vor allem von zwei- bis mehrsprachigen Kindern besucht.

Wenn man an London denkt, fällt den meisten als erstes das London Eye, das Parlament oder der Buckingham Palace ein. Ich hatte während meines neunwöchigen Praktikums das Glück, London auch noch aus einer anderen Perspektive kennenzulernen. Natürlich habe ich mir auch die ganzen touristischen Sehenswürdigkeiten angeguckt, aber darüber hinaus hatte ich die Möglichkeit, viele Orte zu besuchen, für die man als „normaler Tourist“ eigentlich keine Zeit hat, oder die man einfach nicht kennt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle einige meiner persönlichen Favoriten vorstellen:

St. Katharine´s Docks

Obwohl der City-Yachthafen sehr zentral direkt neben der Tower Bridge gelegen ist, ist er doch sehr versteckt und sehr ruhig im Großstadttrubel. Es gibt drei Hafenbecken mit modernen Luxusyachten, alten Segelbooten und kleinen Hausbooten und viele kleine Brücken über die verschiedenen Becken. Ein sehr guter Ort für eine kleine Pause in der Hektik der Großstadt, vor allem weil man hier fast keine Touristen findet. 😉

 

Grand Union Canal, Regent´s Canal und Camden Locks
Narrowboat in einer Schleuse in Camden Town

Die beiden Kanäle, die sich von der Themse aus quer durch die Stadt erstrecken, sind eine gute Idee für einen Spaziergang, denn an einer Uferseite gibt es immer einen kleinen Weg. Auf der gesamten Strecke findet man die sogenannten Narrow Boats, lange und schmale Hausboote, die oft sehr bunt angemalt sind und mit Blumenkästen verziert sind. Ein Stück hinter dem Regent´s Park kommt man nach Little Venice, also Klein-Venedig, und man kann sich schon denken, woher der Ort seinen Namen bekommen hat. 😀 Sehr viele Hausboote, schöne alte Brücken und Touristen, die in Gondeln durch die Gegend gefahren werden. Ein Stück weiter gibt es ab und zu sogar schwimmende Streetfood-Märkte.  Am Paddington Basin, einem Nebenarm des Grand Union Canals,  findet sich sogar eine Brücke, die sich zu einem Kreis aufrollt, wenn sie geöffnet wird. Besonders spannend fand ich auch die Schleusen entlang des Kanals, von denen es einige gibt. Allein in Camden Town sind es drei, und sie sind komplett handbetrieben. Die Schleusentore werden per Hand aufgeschoben und mit einem speziellen Schlüssel kann man den Wasserstand in der Schleusenkammer regulieren.

 

Brixton
Pop Brixton

Dieser sehr multikulturelle und lebendige Stadtteil ist nur ungefähr zehn Minuten von meiner Praktikumsstelle entfernt und hat alles, was man sich für einen entspannten Freitagabend so wünschen kann. Im Pop Brixton, einem multinationalen Streetfood-Dorf aus Schiffscontainern, gibt es häufig Live-Musik und man sitzt in einem ausrangierten Gewächshaus, das abends schön beleuchtet ist. Ansonsten gibt es in Brixton einen sehr schönen überdachten Markt („Brixton Village“), in dem es viele kleine Geschäfte gibt. Dort kann man fast alles kaufen, was man sich so vorstellen kann, von Kunst über frischen Fisch, Fleisch, Delikatessen, Obst und Gemüse zu Partyzubehör und jeglicher Art von Kleidung. In Brixton befindet sich auch die Electric Avenue, die erste Marktstraße, die mit Elektrizität versorgt wurde. Heute befinden sich auf der Straße vor allem kleine Lebensmittelläden afrikanischer, karibischer, südamerikanischer und asiatischer Händler.

Mir macht es immer besonders viel Spaß, nach und nach in die Geschichte eines Ortes einzutauchen und schrittweise zu verstehen, was diesen Ort zu dem gemacht hat, was er heute ist. Ein Ort, der für mich wie kaum ein anderer die britische und Londoner Geschichte widerspiegelt, ist der Tower of London, ein großer Festungskomplex am Nordufer der Themse, direkt neben der Tower Bridge. Erbaut von Wilhelm dem Eroberer um 1070, wurde der Komplex in den folgenden Jahrhunderten immer wieder um- und ausgebaut. Dabei haben die Gebäude sehr viele verschiedene Funktionen erfüllt, so war der Tower einerseits Festung und Zollstelle, andererseits Gefängnis, aber auch Königspalast für knapp unter der Hälfte aller britischen Könige. Außerdem diente der Tower als Münzprägeanstalt, Royal Observatory, Waffenlager, Kaserne, Staatsarchiv, Lagerungsort der Kronjuwelen und Landvermessungsamt. Weiterhin war hier die königliche Menagerie untergebracht. Bis 1832 wurden auf dem Towergelände unter sicherlich nicht besonders tierfreundlichen Bedingungen Schlangen, mehrere Löwen, ein Elefant, Affen, Stachelschweine und ein Eisbär gehalten. Der Eisbär bekam einfach ein langes Seil an den Fuß gebunden und konnte dann in der Themse jagen gehen…

 

Tower of London

Der Elefant war ein Geschenk aus Indien für den König, und er starb relativ schnell, weil niemand so recht wusste, was Elefanten normalerweise fressen, weshalb man es aufgrund seines Status als „königlicher Elefant“ dann erstmal mit Bier und Kuchen versucht hat… Bewacht wird der Tower von den Yeoman Warders, auch Beefeater genannt (woher dieser Name kommt weiß keiner so genau :D). Der Tower spiegelt auch einen Teil des britischen Nationalgefühls wieder. Die Festung ist in ihrer fast 1.000-jährigen Geschichte unbesiegt geblieben, auch mehrere Bombenangriffe im ersten und zweiten Weltkrieg haben dem Gelände keinen größeren Schaden zugefügt. Auch ist der Tower immer noch ein bedeutender Ort für die Monarchie, denn die wichtigsten Insignien und Kronjuwelen werden hier gelagert und zu bestimmten Anlässen, wie z.B. der Parlamentseröffnung, herausgeholt.

 

Gesprächsthema Nummer 1: Der Brexit

Ein sehr beherrschendes Thema meiner Zeit in London war Großbritanniens EU-Austritt. Die meisten Wähler in London haben beim Referendum 2016 für „Remain“ gestimmt, entsprechend groß ist jetzt die Frustration. Ich habe mit einigen Briten über das Thema gesprochen und alle waren ziemlich enttäuscht über die britische Politik und die Perspektive eines No-deal-Brexits. Als das größte Problem wurde mir beschrieben, dass man überhaupt nicht weiß, was passieren wird. In den Verhandlungen gibt es keinen Fortschritt. Und ob das Land auf ein No-deal-Szenario auch nur annähernd so gut vorbereitet ist wie Premierminister Johnson das behauptet, wird von vielen in Frage gestellt. Viele sind zermürbt von der ewig langen Debatte, der Brexit ist seit drei Jahren Thema Nummer 1 in allen Zeitungen und Nachrichtensendungen, auch wenn es gar keinen wirklichen Fortschritt gibt. Was mir in mehreren Gesprächen zum Brexit beschrieben wurde, ist ein doppeltes Gefälle in Großbritannien, nämlich zum einen zwischen der älteren und der jüngeren Generation und zwischen Stadt und Land. Während die Älteren und die Landbevölkerung häufig für den Brexit gestimmt haben, sind die jüngeren Menschen und multikulturelle Stadtbevölkerungen häufig dagegen, was gerade in diesen unklaren Zeiten einige Spannungen auslöst.

Woran ich mich auch immer noch nicht gewöhnen kann, ist – ganz banal – der Linksverkehr hier! Ich bekomme immer noch Panik, wenn die Person auf dem Fahrersitz beim Fahren plötzlich beide Hände hochnimmt, um sich einen Zopf zu binden, bis ich wieder feststelle, dass der Fahrer hier ja rechts sitzt. 😉 Ansonsten ist mein Aufenthalt hier aber sehr entspannt und ich freue mich schon auf die nächsten Wochen!

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