Heiratsverhalten

Wie in meinem letzten Eintrag kurz erwähnt, findet man als Ausländer schnell neue Freunde in Usbekistan. Und das führte dazu, dass wir, wie ebenfalls kurz erwähnt, zu einer Hochzeit eines uns fast unbekannten, aber sehr netten Lehrstuhlmitarbeiters namens Sobir nach Schachrisabs eingeladen wurden.

Zu EINER Hochzeit? Ja, zu einer! Denn in Usbekistan feiert man nicht nur einmal, sondern mehrfach. An unterschiedlichen Orten, mit unterschiedlichen Kleidern (traditionell usbekisch vs. westliches Weiß) und unter unterschiedlichen Leuten. Ganz durchschauen können habe ich das Regelwerk dahinter nicht, mir wurden verschiedene Versionen berichtet und vermutlich verhält es sich auch von Region zu Region anders. Jedenfalls machten wir uns nach wenigen Stunden in Samarkand, wo wir das Grab von Amir Timur besichtigt hatten, mit dem Taxi auf die zweistündige Reise durch die Berge nach Schachrisabs, der Geburtsstadt von eben jenem. Dass die Hochzeit etwa fünf Stunden entfernt von Taschkent stattfindet, obwohl der Bräutigam an der Taschkenter Uni arbeitet, auch die Braut dort gerade erst ihren Abschluss gemacht hat und die Dame, die den beiden die Partie vorgeschlagen hat, sogar nicht teilnehmen kann, weil ihr die Reise zu lang und beschwerlich ist, liegt meinen Quellen zufolge daran, dass die Familien des Brautpaares aus der Region Kaschkadarior, in der Schachrisabs liegt, kommen.

Auch die Mädels, mit denen wir uns über ihre Hochzeitsvorstellungen unterhalten haben, sind sich einig, dass der Mann aus der gleichen Region (das sind z.B. Taschkent, Buchara, Choresmien, Andijon, Samarkand, insgesamt gibt es zwölf in Usbekistan) kommen muss wie man selbst, auch wenn man später woanders leben möchte. Denn dann ist es am wahrscheinlichsten, dass grundsätzliche Lebenseinstellungen ähnlich sind. Da die meisten usbekischen Ehen von den Eltern arrangiert werden, liegt es außerdem nahe, den Bräutigam aus dem meist räumlich näherstehenden Bekanntenkreis zu wählen. Was für unsere europäischen Ohren zunächst furchtbar klingt – eine arrangierte Ehe! -, erwarten zumindest die Mädchen aus unserem Dunstkreis mit Freude: „Wer wird er sein? Was macht er beruflich? Wie hübsch ist er? Wann stellen die Eltern ihn mir vor? Ist es endlich so weit, wenn ich das nächste Mal nach Hause fahre?“ Der Grundgedanke, dass die Eltern ja nur das Beste für ihr Kind wollen werden und dies auch bei der Auswahl des Ehepartners gilt, leuchtet uns ein. Aber wo – und das fragen wir laut – bleibt denn da die Liebe? Die Antwort einer 21-Jährigen erstaunt uns dann doch sehr: „Wenn sich Liebe entwickelt, ist das gut, aber wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Ich habe 21 Jahre gelebt, ohne einen Mann als Mann zu lieben, und nichts vermisst. Dann kann ich das auch weiterhin. Hauptsache, er liebt mich.“

Die Perspektive eines gleichaltrigen Jungen ist etwas romantischer. Er möchte erst heiraten, wenn er sich sicher ist, dass seine Auserwählte ihn genauso liebt wie er sie, auch wenn bis zum Eintreten dieser Gewissheit etwas Zeit ins Land gehen muss. Ernsthaft über das Heiraten nachdenken, kann er aber eh noch nicht: „Ich möchte erst studieren, damit ich einen guten Beruf vorweisen kann. Und ich muss ein Haus haben, bevor ich heiraten kann.“ Wie er sich dann sicher sein könne, dass die Erwählte wirklich an ihm und nicht nur an Haus und Status interessiert sei? – Das könnten ja immer noch seine Eltern besser einschätzen als er…

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