Guatemala, also a place.

„Ich komme aus der Nähe von Dortmund,
da wo der BVB herkommt.“

Das macht in Guatemala Eindruck. Kollegen, Bekannte und Taxifahrer freuen sich schon auf enthusiastisches Fußball-Fachsimpeln mit einem echten Deutschen, wenn ich hier in Guatemala-Stadt verkünde, dass ich vom Rand des Ruhrgebiets komme.

Guatemalteken lieben Fußball, obwohl die guatemaltektische Nationalmannschaft (Selección de fútbol de Guatemala) international kein besonders gutes Standing hat und sich bislang noch nie für eine Fußball-Weltmeisterschaft qualifizieren konnte. Weil mein Fußballwissen aber auch schon bei den Heimatstädten des BVB und Schalke 04 aufhört und sich die meisten Guatemalteken mit den deutschen und europäischen Profi-Fußballligen sehr viel besser auskennen als ich, mündet solcher Small-Talk dann doch häufig ins Leere.

Seit Anfang August wohne ich schon in der Haupstadt Guatemalas und absolviere im Rahmen meines Studiums an der WWU (Politikwissenschaft & Spanisch) mein Praktikum im Büro für Presse und Kommunikation des Zentralalamerikanischen Parlaments PARLACEN.

Zum Glück gibt es hier im Alltag mehr zu erleben als Fußball-Plausch mit losen Bekanntschaften; obwohl das Gewusel zentralamerikanischer Großstädte (im Großraum Guatemala-Stadt wohnen rund 3 Mio. Menschen) wohl die meisten Europäer mit großen blinkenden Fragezeichen über dem Kopf zurücklässt:

Das unübersichtliche Bussystem ohne zentrale Fahrpläne und Haltestellen ist auch für viele Locals nicht in Gänze zu erfassen. Die meisten Menschen kennen hauptsächlich diejenigen Buslinien, die sie zur Schule, Arbeit, zum Einkaufen oder nach Hause bringen. Umso lauter geht es daher an größeren Verkehrsknotenpunkten zu, wo die Busfahrtbegleiter und -kassierer lautstark die Stadtteile und Kreuzungen ausrufen, die ihre Linie passiert, um potentielle Fahrgäste über die angepeilte Route zu informieren und so von einer Fahrt mit dem eigenen Bus zu überzeugen.
Ruhiger geht es in den staatlich subventionierten Transurbano- und Transmetro-Linien zu, welche seit 2007 existieren und mit modernen Fahrzeugen und teilweise auf exklusiven Busspuren über die zentralen Verkehrsachsen die Stadtteile zuverlässig miteinander verbinden und so den Verkehrskollaps zur Rush Hour zumindest ein kleines bisschen entschärfen.

Die Einsicht, die sich nach relativ kurzer Zeit einstellt: Es wirkt chaotisch, aber es funktioniert ja alles irgendwie. Und das nicht nur im Nahverkehr, sondern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Daran, dass man bei Straßenquerungen seiner eigenen Vorsicht eher trauen sollte als den Ampelanlagen, gewöhnt man sich genausoschnell wie an die selbstverständliche Präsenz von schwer bewaffnetem Sicherheitspersonal im Straßenbild. Nicht nur sensible Gebäude wie Banken oder Polizeistationen, sondern auch Restaurants, kleine Geschäfte und Friseursalons werden von mit Schrotflinten ausgestatteten Wachen geschützt.

Man gewöhnt sich auch an die paradoxen Straßenbilder, die entstehen, wenn mittags Bankangestellte und Staatsbedienstete in Anzügen und Blazern zu den notdürftig zusammengenagelten Straßenbuden strömen um sich für ein Kleingeld ihr Mittagessen zu besorgen. An den Buden aus Plastikplanen und Wellblech essen Straßenkehrer neben Managern, aus gutem Grund: Pepián (deftiger traditioneller Eintopf mit Gemüse und Fleischeinlage), Kak’ik (Mayaische Truthahnsuppe mit Koriander und Achiote) oder Popusas (gebackene Maistortillas mit Bohnen, Käse und Schweinefleisch) sind köstlich. Generell sollte sich jeder Reisende trotz anfänglicher Skepsis ob der eigenen Magenverträglichkeit nie scheuen, die traditionelle Küche des Gastlandes kennenzulernen. In Guatemala gilt das genauso wie überall.

Ich bin schon knapp 6 Wochen in Guatemala und glaube, schon einiges vom Land gesehen zu haben, aber selbstverständlich gibt es für mich bis Ende November noch viel zu entdecken.

Eines habe ich wohl schon in den ersten Tagen nach meiner Ankunft festgestellt:
Guatemala ist mehr als ein Transitland für Drogen und Migranten in Richtung USA. Zwar darf man nicht ausblenden, dass das Land schwer mit Korruption, Gewalt und Armut zu kämpfen hat; gleichzeitig leben in den Städten junge Kreative und bieten Kaffee-Seminare an, üben sich in Fotografie, Video- und Musikproduktion und nutzen die grauen Betonmauern der Stadt als Leinwandände für Street-Art. So entsteht eine selbstbewusste, dynamische Jugendkultur, die Hoffnung für die Zukunft des Landes macht. Und auch für Touristen hat Guatemala viel mehr zu bieten als aktive Vulkane und die eindrucksvollen Ruinen der Mayastadt Tikal im guatemaltekischen Dschungel-Department Petén.
Aus diesem Grund möchte ich diesen ersten Blogbeitrag über meinen Auslandsaufenthalt in Guatemala-Stadt mit einem kurzen Video des guatemaltekischen Schauspielers Arturo Castro schließen, der die Unfähigkeit, das touristische Potential des Landes angemessen im Ausland zu kommunizieren, amüsant zu kommentieren weiß:

Guatemala, also a place.

3 Gedanken zu „Guatemala, also a place.

  1. Hey Leonhard,

    mir haben deine Blogeinträge sehr gefallen. Ich studiere Politikwissenschaft an der WWU und will ebenfalls ein Auslandspraktikum in Lateinamerika absolvieren. Dazu würde ich mich gerne mit dir in Verbindung setzen. Du hast bestimmt interessante Tipps für mich. Schreib mir doch bitte eine Mail. Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen.

    Beste Grüße aus Münster

    Lukas

    1. Hi Lukas!
      Ohmann, das tut mir ja total Leid, dass ich deinen Kommentar jetzt erst sehe, irgendwie kam da gar keine Benachrichtigung bei mir an.. 🙁

      Freut mich, dass dir meine kleinen Artikel gefallen haben, Du kannst dich gern bei mir melden!
      Schreib mir am besten eine Mail an leo.brandt[at]uni-muenster.de
      Dann können wir uns gern in Verbindung setzen 🙂
      Liebe Grüße!

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