Britischer Ameisenhaufen im Krankenhaus

Ich bin an der Universitätsklinik in London. Wo sind die Doktoren?

Kommt man  auf eine Station in britischen Krankenhäusern, dann wundert man sich erstmal, wo denn der gestresste Assistenzarzt ist, der hastig versucht noch irgendwo einen Zugang zu legen oder Blut abzunehmen. Keiner da …

Aber dafür haufenweise andere Angestellte, die in der Geschäftigkeit eines Ameisenhaufens und mit derselben unerklärlichen Präzision wissen, was zu tun ist und was ihre Aufgabe ist. Es gibt Angestellte mit grüner Dienstkleidung, Angestellte mit blauer Dienstkleidung, Angestellte mit weißer Dienstkleidung und einen zentralen Sammelpunkt mit Computern. Aber wo sind die weißen Kittel? Um das Ganze zu entwirren, taucht dann auch mein Ausbildungsarzt auf … in Hemd und Anzughose, was hier typisch ist. Und? Ja, wir verlassen die Station erstmal.

Es gibt eine halbstündige Einführung und dann gehen wir zum Team Meeting, einem zentralen Punkt, um das geschäftige Treiben zu koordinieren. Denn hier treffen sich nicht nur Ärzte, nein, hier treffen sich Ärzte, Physiotherapeuten, Krankenpfleger und und und. Es wird 2 Stunden über die Patienten geredet und das Vorgehen abgestimmt UND es klingelt nur einmal das Telefon eines Arztes. Unvorstellbar! In Deutschland wäre jeder Arzt während des Meetings mindestens 10 Mal abberufen worden. Und hier? Gar nichts.

Das liegt ganz einfach daran, dass es fest vorgegebene Abläufe für häufige Erkrankungen gibt und jeder im Team auch ohne die Abstimmung mit dem Arzt weiß, was er wann zu tun hat. Es wird viel mehr – in Deutschland als „ärztliche Tätigkeit“ abgestempelte – Arbeit von den Schultern des Arztes genommen. Wer kennt es nicht, dass in Deutschland Schwester Bertha keine Lust hat Blut abzunehmen, weil es ja eine rein ärzliche Tätigkeit sei?

Hier wird einfach anders gedacht.  Man arbeitet als Team. Keiner nimmt es einem übel, wenn man sich 5 Minuten unterhält und Kaffee trinkt. Jeder im Team kann in seinem Beruf wichtige Beiträge bringen, um den Prozess voranzubringen. Der Arzt steht nicht ständig im Mittelpunkt und muss alles regeln, was nicht läuft. Er ist Teil des Prozesses, nicht Mädchen für Alles.

England kommt mit 30% weniger Ärzten sehr gut aus. Man ist in der Lage redundante, aber auch spezialisiertere Aufgaben, auszulagern und so dem Arzt Zeit für sein Kerngeschäft zu lassen.

Und es geht noch weiter. Donnerstags sitzt man mit den Ärzten und Professoren 2 Stunden zusammen im Hörsaal und fachsimpelt über schwierige Fälle. Wieder kein Telefon. Alle Größen der Uniklinik sind da, um teilzuhaben. Egal wie wichtig, jeder nimmt sich die Zeit.

Die Suche nach Erkenntnis und die Zeit zur Weiterbildung werden als hohes Gut angesehen. Ihnen wird einfach mehr Raum gegeben als in Deutschland.

Man muss bedenken, dass die Universitäten in England dafür belohnt werden, wenn sie gute Lehre machen. Sie machen sich attraktiver für Studenten und können dadurch höhere Studiengebühren einführen. Die gezahlten Studiengebühren werden erst nach dem Studium über eine Art Extrasteuer zurückgezahlt.

Man mag über Studiengebühren streiten, aber es ist ganz klar, dass der Anreiz gute Lehre zu machen doch größer ist, wenn die eigene Stelle davon abhängt. Jedes Seminar wird evaluiert und es gibt ein Team von 4 Leuten, das die Lehre für nur ein Krankenhaus koordinert, organisiert und verbessert. Besucher und Feedback jederzeit erwünscht.

Die Lehre wird zu einem interaktiven Prozess, der sich stetig fortenwickelt und in dem jeder weiß, was seine Aufgabe ist und versucht das Beste zu erreichen. Man fühlt das gemeinsame Interesse, den Willen etwas inhaltlich voranzubringen, und zwar zusammen. So wird die Universität zu einem Inkubator für neue Konzepte und Ideen. Dadurch, dass man auch die Professoren mindestens jeden Donnerstag sieht, bekommt die Universität fast eine familiäre Atmosphäre und es herrscht reger Austausch.

Eine einzigartige Atmosphäre…

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