6 Monate in Südengland: Teil 2 – Der erste Monat

Mittlerweile bin ich seit anderthalb Monaten in Southampton, Hampshire, Südengland, und deshalb wird es Zeit für meinen zweiten Bericht.

Ich mache ein Praktikum am German Department der University of Southampton und arbeite heute seit genau einem Monat an dem Aufbau einer Website, die zum Deutsch lernen und – studieren anregen und motivieren soll. Denn Deutsch ist leider auf dem sprichwörtlich absteigenden Ast, was Attraktivität betrifft. Das wollen wir nun versuchen zu ändern. Das Vertrauen, das mir hier entgegen gebracht wird, ist hoch, was schmeichelhaft ist, aber gleichzeitig einen ziemlichen Druck aufbauen kann. Ich kann gut recherchieren und schreiben, aber eine Website layouten und von Grund auf aufbauen – das ist komplettes Neuland für mich. Somit verbringe ich viel Zeit damit, mit WordPress zu experimentieren und nach der ein oder anderen Codiersprache zu googeln. Informatik habe ich damals in der Schule nicht einmal gewählt, was ich jetzt ein bisschen bedaure. Aber wie heißt es so schön: Man wächst mit seinen Aufgaben. Und das merke ich tatsächlich bereits jetzt, da eine Website wie bereits beschrieben, viel mehr ist als bloß Beiträge posten. Ich fange an, in Ordnern und Zwischenablagen zu denken und versuche mich sogar an Photoshop, einer Welt, die mir bisher wie exklusive Zauberei vorkam. Es geht also voran und ich bin erstaunt, wie viel möglich ist, wenn man sich erst einmal in die Programme hineingearbeitet hat. Vielleicht fahre ich nächsten Monat sogar auf einen offiziellen Empfang der Think German Initiative nach London,wo verschiedene Networks präsentiert werden, was definitiv eine großartige Erfahrung wäre.

Ich habe auch festgestellt, dass es gut tut, mal einige Zeit etwas anderes zu tun, als bloß zu lernen. Ich habe nach meinem Abitur direkt mein Studium angefangen und bin jetzt froh, ein Semester lang erste Arbeitserfahrungen sammeln zu können und einfach mal etwas Neues auszuprobieren. Für alle die, die das Gefühl haben, vor lauter Lernerei das Ziel nicht mehr zu sehen, ist so eine Erfahrung meiner Meinung nach absolut empfehlenswert.

Was ein kleiner Minuspunkt ist, ist, dass man keinen großen Kontakt zu anderen Studierende hat. Die Dozenten, für die ich arbeite, sind großartig und versuchen ständig, mich an verschiedene Gemeinschaften zu vermitteln, aber natürlich ist das nicht dasselbe. Man hat keinen richtigen Anschluss, da man sich außerhalb des Unialltags befindet. Was meiner Meinung dagegen hilft? Nur ein Wort: Ausflüge. Auf der Seite eventbrite.co.uk kann man verschieden Studenten-Trips buchen, die einigermaßen günstig sind und bei denen man mit anderen Studenten in Kontakt kommt. Ich habe mit einer Freundin einen solchen Ausflug nach Stonehenge mitgemacht und verschiedene Studenten aus allen möglichen Ländern kennengelernt. Einige von denen hatten den Trip nur für sich alleine gebucht und waren quasi auf der Suche nach neuen Kontakten. Sowas erfordert eine gewisse Portion Mut und Offenheit, aber auch das kann man lernen- und wenn nicht hier, wo dann?

Auch in Southampton an sich habe ich mich mittlerweile gut eingelebt. Ich habe herausgefunden, wo ich am günstigsten einkaufen kann (Asda ist teilweise noch günstiger als Tesco, aber auch Lidl ist nicht zu verachten), wo man ein dickes English Breakfast für 3,99Pfund bekommt (Die Wetherspoon-Pubs sind genial! Schöner englischer Charme, gutes Essen und Getränke und das alles noch erschwinglich. www.jdwetherspoon.co.uk) und wann ich auch mal wo ausgehen kann, ohne danach mit einer Flaute im Portemonnaie nach Hause zu gehen.

Es lässt sich allerdings immer noch nicht leugnen – England ist teuer. Man muss schon Abstriche machen, was den eigenen Lebensstil betrifft. Es lohnt sich aber nicht, immer alles in Euro umzurechnen – denn ob das Brot, das eigentlich nur ein besseres Toastbrot ist, nun 2,20 Euro kostet oder nicht, bringt einen kaum weiter, man muss schließlich etwas essen. Es bietet sich daher an, nicht alles ständig unter die Lupe zu nehmen, sondern lieber etwas bewusster einzukaufen. Und da gibt es allerhand Möglichkeiten, da grade Tesco und Asda oft Angebote à la „3 für 2Pfund“ haben, wenn ein Artikel bereits 1,20 kosten würde. Und: Aufmerksam alles immer vergleichen. Poundland ist für manches großartig, für anderes allerdings eine Falle, da auch Sachen, die in allen anderen Märkten für weniger verkauft werden, hier 1 Pfund kosten.

Ein Wort noch zu den Engländern: Ich war selten so positiv beeindruckt von einer Nation wie von dieser. Egal, wohin ich gehe, ich habe noch nie eine negative Erfahrung mit den Menschen hier gemacht. Jeder ist freundlich, was bei dem nun anhaltenden, trist-nieseligen Herbstwetter teilweise wirklich erstaunlich ist. Und deshalb möchte ich meinen heutigen Bericht mit einer Geschichte schließen, die mir letzte Woche im Supermarkt passiert ist:

Samstag am frühen Abend beschloss ich, noch schnell ein paar Sachen für das Abendessen bei Asda einzukaufen. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass sich der Supermarkt in einem Ausnahmezustand befand, den man in Deutschland vom Vorabend eines Feiertages mit anschließendem Wochenende kennt. Ich habe mal gehört, dass man sich an der Kasse am besten dort anstellt, wo wenige Leute mit vielen Artikeln stehen, weil das angeblich schneller geht. Gesagt, getan. Ich stellte mich an einer Kasse an, wo vor mir zwei Leute standen. leider hatte ich die Situation unterschätzt. Der vor mir hatte nur eine Packung Küchenrolle und zwei Computerspiele, aber der davor hatte 3 (!) Einkaufswagen vollgepackt mit Lebensmitteln. Ich frage mich heute noch, wie er diese überhaupt alleine dorthin bekommen hatte und was um Himmels Willen er damit vorhatte. Nachdem ich bereits über 10 Minuten anstand und er seinen ersten Einkaufswagen noch immer nicht vollständig entladen hatte, drehte sich mein Vordermann plötzlich zu mir um und sagte mit fassungslosem Grinsen: „Haben wir was verpasst? Ist hier heute alles für einen Pfund? Dann geh ich nochmal zurück und pack mir auch drei Wagen voll.“ Ich musste lachen und zuckte die Achseln, was meinen Leidensgenossen veranlasste, Geschichten zu spinnen, warum der Laden so proppenvoll war und warum dieser Mensch offensichtlich beschlossen hatte, das Lager aufzukaufen. Er tippte auf einen Börsensturz mit anschließendem Ehrungseinbruch und Inflation, während ich eine Zombieapokalypse vorschlug. Begeistert stimmte er zu und befand, dass es dann aber eher dumm sei, überhaupt noch für die Einkäufe zu bezahlen. Er holte sein Handy heraus und fotografierte die Menge, um, wie er mir sagte, das Foto seiner Freundin zu schicken, die ihn dazu verdammt hatte, nochmal einkaufen zu gehen. Nach circa einer halben Stunde in der Schlange war der Mann grade bei seinem dritten Wagen angelangt. Nicht zu vergessen, mussten alle Einkäufe in Tüten verpackt werden. Wir gaben auf, stellten uns woanders an. Mein Leidensgenosse war unfassbar entspannt, wir tauschten Geschichten aus, ich erzählte, ich sei Deutsche und er rief begeistert die drei Wörter und Sätze, die er auf Deutsch konnte „Wie gehts?“, „Genau, Genau“ und „Weihnachtsmarkt mit Glühwein“. Wir kamen endlich bei der Kassieren an, die angemessen erschöpft aussah. Mein neuer Freund sprach sie unverzüglich an, wie es ihr ginge und wann sie denn endlich Feierabend hätte. Er entschuldigte sich dann lauthals bei allen anderen Kunden, die warten mussten, weil seine Computerspiele erst noch aus dem Lager geholt werden mussten. Man konnte ihm nicht böse sein. Die Kassiererin taute auf, erzählte uns aus ihrem Leben. Nachdem er endlich zahlen konnte, drehte sich mein neuer Freund zu mir um: „Thank you very much. My name is Joe, it was lovely with you tonight. See you around here.“

Ich habe insgesamt 45 Minuten in zwei Schlangen an der Kasse verbracht und war in meinem Leben noch nie so entspannt dabei gewesen.

English Breakfast
English Breakfast
Highfield Park
Highfield Park
Stonehenge
Stonehenge
Stonehenge
Stonehenge
Bath
Bath
Bath Circus
Bath Circus

Über Anna Louisa

Hallo, ich bin Anna Louisa, 22 Jahre jung und Studentin für Germanistik/Anglistik an der Uni Münster. Von September 2015 bis März 2016 mache ich ein Auslandspraktikum am deutschen Institut der University Of Southampton, Südengland.

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