Laute Musik, große Lernmotivationen und eine andere Unterrichtskultur

Bereits in den ersten Schultagen, in denen wir im Deutsch- und Englischunterricht hospitierten und kleine Teile übernehmen durften, konnten wir Unterschiede in der Lernkultur feststellen. Obgleich die Schule autonomes und kritisches Denken fördern will, gestaltete sich der Unterricht nahezu immer frontal und mechanisch im Sinne eines pattern-drills – dies ist durchaus typisch für die tansanische Lehrkultur. Anstelle einer Output-Orientierung steht eher eine Input-Orientierung im Fokus, sodass mitunter nicht darauf geachtet wird, ob die Schüler:innen tatsächlich etwas lernen oder sich am Unterricht beteiligten. Je nach Fach- und Tagesform schliefen Schüler:innen im Unterricht.

Im Rahmen des Deutschunterrichts konnten wir dies durch aktivierende und bewegende Aufgaben verhindern. Unsere kooperativen Lernformen und Transferaufgaben fielen den Lernenden aller Altersstufen zwar zunächst noch sehr schwer, jedoch hatten sie besonders an spielerischen Lernformen große Freude. Mit der Zeit konnten wir kommunikative Elemente etablieren, um besonders das produktive Sprechen der Lernenden, welches im frontalen, lehrkraftzentrierten Fremdsprachenunterricht zu kurz kommt, zu fördern.

Überrascht waren wir zunächst über die große Altersheterogenität in den Klassen: Nach der sechsjährigen Grundschule können die Lernenden an der One World Secondary School in vier Jahren ihren Realschulabschluss erreichen (Form I bis Form IV), dazu können sie nach zwei weiteren Jahren (Form V und Form VI) das Abitur ablegen. Die Schulausbildung an der Privatschule erfolgt jedoch nicht altersabhängig, sondern auf Grundlage der finanziellen Möglichkeiten oder durch Sponsor:innen, sodass in der Form I beispielsweise Schüler:innen zwischen 12 und 20 Jahren zusammen lernen. Hier zeigte sich jedoch schnell ein bemerkenswerter Zusammenhalt der Lerngruppen, die rücksichtsvoll und unterstützend miteinander umgingen. Teilweise bringen die Kinder ebenfalls schwierige Biografien mit, die von gewalttätigen, übergriffigen, suchtgeprägten oder überhaupt nicht vorhandenen Familienstrukturen geprägt sind – umso beeindruckender ist ihre oft große Lernfreude.

Hinsichtlich der materiellen Ausstattung zeigte sich, dass ein Ungleichgewicht zwischen den Fachräumen bestand: Das Goethe-Institut hatte einen Deutschraum mit Fensterscheiben sowie Tischen, Stühlen, Beamer und sogar Smartboard (welches aufgrund der falschen Anschlusskabel bisher nicht genutzt werden kann) finanziert. Auch Lehrbücher, Papier, Plakate und Stifte wurden bezahlt. Die anderen Klassenräume hingegen hatten keine Fensterscheiben, sodass an den windigen Tagen die Sandkörner der roten Erde den Lernenden auf Tische, Hefte und in die Augen wehten. Außerdem gab es in den anderen Räumen weder genug Tische und Stühle für alle Schüler:innen, noch hatten diese ausreichend Schreibmaterial. Den Deutschraum teilten wir, so oft es ging, mit den anderen Lehrkräften und Schulfächern, doch wäre insgesamt natürlich eine bessere Ausstattung in allen Räumen erstrebenswert.

Der Deutschraum wird vom Goethe-Institut finanziert und ausgestattet.

Zweimal in der Woche begann der Morgen mit der „Parade“, in der die knapp 120 Schüler:innen nicht nur „Mungu ibariki Tanzania“ (Gott segne Tansania) sondern auch „Einigkeit und Recht und Freiheit“ sowie die Schulhymne laut über den Schulhof schallen lassen, die Schuluniformen kontrolliert werden sowie Ankündigungen für die Woche geschehen oder Kurzvorträge aus dem Unterricht erfolgen. Mit dem lauten Schlagen der Blechscheibe, die in einem Baum im Innenhof hängt, beginnt der Schultag. Manchmal brachten die Schüler:innen auch ihre Tasse mit „Uji“ noch mit in die erste Unterrichtsstunde, eine Art Porridge, der zum Frühstück getrunken wird. Am Vormittag erfolgte außerdem die „Chai“-Break, in der es (sehr) süßen Tee und frisches Brot aus dem Ofen sowie ab und an Früchte gab. Der Unterricht endete üblicherweise nach dem Mittagessen. Im Nachmittagsbereich standen „Study Times“, Freizeitaktivitäten sowie das Waschen der Schuluniformen und das Säubern der Schlafsäle auf dem Programm.

Vor dem Schlafsaal der Mädchen trocknen Kleidung und Geschirr im Zaun.

Zu Beginn übernahmen wir einige Deutschstunden sowie außercurricularen Englischunterricht für verschiedene Kleingruppen. Dies war besonders notwendig, da auf den staatlichen Grundschulen, auf die die meisten Schüler:innen gegangen waren, nur ein sehr unzureichender oder gar kein Englischunterricht erfolgte. In allen Sekundarschulen wird jedoch die offizielle Landessprache Englisch als Unterrichtssprache vorgeschrieben, sodass viele Lernende enorme Sprachschwierigkeiten haben. Diese Diskrepanz kann gerade von Schüler:innen in ärmeren Verhältnissen ohne Lehrwerke oder Internetzugang nur schwer überbrückt werden, sodass wir hier sinnvoll unterstützen konnten. Zunächst noch mit Händen, Füßen, GoogleTranslate und ersten Kiswahili-Vokabeln, konnten wir schnell kleine Gespräche auf Englisch mit den Schüler:innen führen und sie in ihren Persönlichkeiten kennenlernen und fördern. Gerade die Tatsache, dass auch wir mit Kiswahili eine neue und strukturell sehr andere Fremdsprache lernten, schaffte eine Vertrauensbasis.

Zwei Wochen nach unserer Ankunft kündigte die Deutschlehrerin. Dies wirbelte unseren Unterrichtsplan noch einmal gehörig durcheinander, weil uns nun die gesamte Stelle der Lehrkraft zufiel. Da ansonsten niemand an der Schule Deutsch unterrichten konnte und die Lernenden für eine Sprachprüfung des Goethe-Zertifikats vorbereitet werden sollten, nahmen wir die Herausforderung an. Der Unterricht machte uns große Freude, obgleich die Vor- und Nachbereitung natürlich zeitintensiv war.

Wir versuchten, mit authentischen Materialien, etwa Zeitschriften und Prospekten von Supermärkten aus Deutschland oder Fotos aus unserem Alltag in Münster, nicht nur Wortschatz und Grammatik, sondern auch interkulturelles Lernen zu initiieren. Die Lernenden waren motiviert und löcherten uns mit Fragen. Insgesamt reflektierten wir, dass im Deutschunterricht eine besonders hohe Lernmotivation bestand, die wir aus Klassenzimmern in Deutschland nicht unbedingt kannten.

Zum Thema Einkaufen erstellten die Lernenden Lebensmittelplakate, bevor Situationen auf dem Markt nachgespielt wurden.

Schade war, dass wir, aufgrund des Weggangs der Deutschlehrerin, keine Möglichkeit hatten, Feedback für unseren Unterricht von anderen Fachkräften zu erhalten. Im Teamteaching oder in gegenseitigen Hospitationen reflektierten wir dennoch unsere gegenseitigen Beobachtungen und gaben uns Feedback.

Schnell erkannten wir, wie gewinnbringend das basale Erlernen von Kiswahili für unseren Unterricht war (so konnten wir beispielsweise Kontraste im Artikel- und Anrede- oder im Tempussystem zwischen Deutsch und Kiswahili feststellen und besser nachvollziehen, wo Schwierigkeiten für die Schüler:innen lagen). Erneut ist zu betonen, dass die Schüler:innen sich durch die Position, auch uns etwas beibringen zu können, in besonderem Maße wertgeschätzt fühlten.

Außerdem bemerkten wir in verschiedenen Situationen im Deutschunterricht, dass nicht nur für die Lernenden, sondern auch für uns interkulturelles Lernen stattfand: In einer Klasse arbeiteten wir zum Thema „Tiere“ und diskutierten angeregt die Relevanz von „Haustieren“, denn in Tansania haben Tiere vor allem einen Nutzwert, als Wachhund, als Nutztier für Eier, Fleisch oder Milch, sodass die Vorstellung, ein Tier wie ein Familienmitglied im Haus zu halten, zunächst auf Verwunderung stoß. Diese alltäglichen „rich points“ des interkulturellen Kontaktes waren beidseitig spannend und lehrreich.

Hinsichtlich der Unterrichtsführung hatten wir bald eine gewisse Voraussicht entwickelt, um größeren oder kleineren Herausforderungen zu begegnen. Etwa fiel regelmäßig der Strom aus (sowohl geplant als Sparmaßnahme der Regierung als auch ungeplant wegen Leitungsschäden bei Regenwetter oder Gewitter), sodass wir, wenn wir einmal ein Arbeitsblatt für die Schüler:innen drucken wollten, dies in der Regel in den frühen Morgenstunden erledigten. Den Unterricht planten wir stets so, dass wir ihn, je nach Stromversorgung, mit oder ohne digitale Hilfsmittel durchführen konnten.

Nachdem die Deutschlehrerin die Schule verlassen hatte, wurden wir in einem besonderen Maße zu Vertrauenspersonen der Schüler:innen. Da wir ebenfalls auf dem Schulgelände wohnten, klopften sie mit kleineren und größeren Problemen an unsere Tür: Geldsorgen, kaputte Schuluniformen, kleinere Verletzungen und Erkältungen, fehlende Periodenprodukte, Heimweh, Streit oder einfach nur der Bedarf nach einem offenen Ohr. Teilweise beschäftigten uns die Biographien der Schüler:innen sehr, doch waren wir froh um den Austausch im Kollegium.

Neben dem regulären Unterricht gestalteten wir auch die Freizeitaktivitäten der Schüler:innen mit. Denn, abgesehen von dem Fußballfeld, einem halbfertigen Netball-Feld (ähnlich zu Basketball) und einer kleinen Bibliothek, bestehen keine Freizeit- und Sportmöglichkeiten für die Lernenden auf dem Gelände. Das Schulgelände verlassen dürfen die Schüler:innen nur begleitet, sodass in der Freizeit teilweise Langeweile aufkommt.

So organisierten wir zweimal wöchentlich Zumba-Stunden zur sportlichen Betätigung oder veranstalteten Kreativ-Workshops, in denen wir malten, Perlenketten bastelten oder Makramee-Schlüsselanhänger knüpften. Nasha erteilte außerdem außercurricularen Spanischunterricht.

Basteln und Malen sind Aktivitiäten, die den Schüler:innen besonders viel Freude bereiteten.

Wenn unser Wochenende am Samstagmittag begann, standen üblicherweise zunächst ein wenig Hausputz, das Wäschewaschen in der Waschschüssel, kleinere Besorgungen in den Lädchen rund um die Schule oder abzuschließende Hausarbeiten für die Uni auf dem Plan. Ab und an gingen wir mit Schüler:innen oder einer Lehrkraft, die meist in der Nähe der Schule oder ebenfalls auf dem Gelände wohnten, joggen.

Sonntags begleiteten wir die Schüler:innen zu den verschiedenen Kirchen (katholisch, lutherisch, pfingstkirchlich) oder in die Moschee, wobei wir an unterschiedlichen Gottesdiensten teilnehmen durften.

Außerdem erledigten wir Besorgungen auf dem Markt, kauften Waschpulver und Früchte. Unsere Favoriten wurden bald „embe“ (Mango) und „takiti maji“ (Wassermelone). Außerdem genossen wir ab und an „Mandaze“ (kleine frittierte, sehr leckere Teigbällchen, die man üblicherweise am Sonntag isst).

Ein Highlight im Schulalltag war unter anderem ein Fußballturnier, das unter den Klassen ausgetragen wurde. Ein spannendes Finale, mit Cheerleading-Performances und Elfmeter-Schießen, durfte dabei auch nicht fehlen. Mit den Sieger:innen ging es schließlich, gemeinsam mit einer weiteren Lehrkraft, auf einen Ausflug zu einem nahegelegenen Fluss, an dem wir planschten, Musik hörten und Kartenspiele spielten. Eine Gruppe wanderte außerdem ein kleines Stück in die Berge, eine schweißtreibende Angelegenheit bei 33 Grad, die aber mit einer tollen Aussicht belohnt wurde. Am Flusslauf, der fast überall relativ flach war, übten wir mit den Schüler:innen schwimmen. Denn, obwohl einige in Städten am Meer oder am Victoria Lake gelebt hatten, konnten die wenigsten Jugendlichen schwimmen.

Beim spannenden Fußballturnier zeigten die Schüler:innen Cheerleading-Performances sowie Geschick mit dem Ball
Für die Gewinner:innen des Fußballturniers ging es an den nahgelegenen Fluss

An einem anderen Wochenende ging es für die ganze Schule auf einen Ausflug nach Tanga, einer Stadt an der Küste Tansanias. Dieser besondere Ausflug wurde unter anderem durch eine deutsche Partnerschule mitfinanziert, da viele Eltern unserer Schüler:innen eine solche Fahrt nie hätten bezahlen können.

So ging es, morgens früh um vier, auf die siebenstündige Anreise. Würden die meisten Deutschen bei einer solchen Anreise für einen Tagesausflug vermutlich den Kopf schütteln, waren diese Distanzen in dem fast dreimal so großen Tansania praktisch ein Katzensprung! Während der Fahrt wurden tansanische Musikvideos in Stadionlautstärke geschaut (ein durchaus typischer und wichtiger Teil des tansanischen Reisens, wie wir lernten) und lautstark mitgesungen: Schnell brachten uns die Schüler:innen die wichtigste und immer wieder vorkommende Liedzeile bei: „Ninakupenda“ (Ich liebe dich).

Gegen Mittag erreichten wir die Küstenstadt, wobei wir zunächst an den Amboni-Höhlen Halt machten. Die Höhlen mit einer riesigen Fläche von 234 km² entstanden vor 150 Millionen Jahren. Würde man vier Monate durch das gigantische Höhlensystem wandern, könnte man an kenianischer Seite herauskommen – geschweige denn, man verläuft sich in dem vielarmigen Höhlensystem nicht und hat außerdem genügend Vorräte dabei. Die Tansanier:innen erzählen sich Schreckensgeschichten von Personen, die in dem System verloren gegangen und gestorben sind. Von den insgesamt 12 Höhlen sind jedoch offiziell nur zwei für Tourist:innen betretbar; die übrigen sind gesperrt, da sich dort gefährliche Gase bilden.

Die Führung, die wir in den Höhlen erhielten, fiel etwas dürftig aus: Unsere Guides beschränkten sich, sehr zur Belustigung unserer Schüler:innen, darauf, die Stalaktiten und Stalakmiten mit Geschlechtsteilen zu vergleichen. Google ergänzte schließlich jedoch, dass sich in den Amboni-Caves unter anderem tansanische Freiheitskämpfer versteckt gehalten hatten. Das Höhlensystem wird heute von tausenden Fledermäusen bewohnt, welches für eine enorme Geräuschkulisse in den Räumen sorgt.

In Tanga besuchte die ganze Schule die Amboni-Höhlen
Das obligatorische Touri-Foto mit einigen Lehrkräften und Schüler:innen durfte natürlich auch nicht fehlen.

Mit Aussicht auf das Meer aßen wir zu Mittag: Kochbananen, Reis, Gemüse und Hähnchenfleisch – ein wahres Festmahl für unsere Schülerinnen, denn Fleisch gibt es nur selten (Immer wieder herrschte große Verwunderung, dass wir uns freiwillig vegetarisch ernährten. Fisch und Fleisch sind in Tansania ein „Statussymbol“ eines gewissen Lebensstandards, auf welchen man nicht freiwillig verzichten würde.)

Schließlich verbrachten wir den Nachmittag und Abend am Meer, wo wir an den flachen Stellen mit den Schüler:innen weiter das Brustschwimmen trainierten, ausgelassen im indischen Ozean plantschten und uns abkühlten, bevor es auf die Rückreise ging. Die Schüler:innen strahlten bis über beide Ohren als wir gegen vier Uhr morgens zurück am Schulgelände eintrafen.

Planschen im indischen Ozean und ein Festmahl zu Mittag: Die Schüler:innen genossen den Ausflug nach Tanga sehr

Insgesamt ist unser Schulalltag durch die lustigen, herzlichen, ehrlichen oder ernsten Interaktionen mit den Schüler:innen innerhalb und außerhalb des Unterrichts geprägt. So sind die Tage zwischen Unterrichtsvorbereitung, -durchführung, -nachbereitung, Klassenarbeiten, Freizeitprogramm und kleineren und größeren Anliegen der Schüler:innen zwar lang, jedoch auch sehr erfüllend.

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