Japan besteht aus fast 7.000 Inseln und wird häufig geographisch in die vier Hauptinseln Honshu, Hokkaido, Shikoku und Kyushu gegliedert. Mein dreimonatiges Praktikum in der Neurochirurgie an der Dokkyo Medical University fand dabei in Omochano-machi im Herzen der Präfektur Tochigi statt, was genau wie das zwei Stunden südlich gelegene Tokio zu der Kantoregion auf der Hauptinsel Honshu zählt.
Durch die seit nun mehr als zehn Jahren bestehende Partnerschaft mit der medizinischen Fakultät der WWU Münster hatte ich dabei die Möglichkeit, ein dreimonatiges Praktikum in der Neurochirurgie unter der Leitung des aktuellen Chairman Phyo Kim zu absolvieren. Während dieser Zeit konnte ich mietfrei im zwölften Stock des Sakura Dormitory auf dem Campusgelände unterkommen, das unter anderem auch als Unterkunft für angehende Assistenz- oder Gastärzte aus anderen Ländern dient. Ab und an konnte ich hier auch leichte Erdbeben wahrnehmen, da in Japan gleich vier tektonische Platten aufeinandertreffen: die eurasische, nordamerikanische, pazifische und philippinische. Allerdings sind vor allem in der Kantoregion, und somit auch das Sakura Dormitory, die meisten Gebäude erdbebengesichert.
Meine Tage in der Neurochirurgie begannen im Vergleich zu anderen Abteilungen im Krankenhaus recht früh um sieben Uhr morgens mit der Morgenbesprechung über die am Vortag abgeschlossenen und am jeweiligen Tag anstehenden Operationen. Dabei stellten in der Regel die Assistenzärzte und seltener Studenten die jeweiligen Fälle vor, die von Hirnblutungen über Wirbelbrüche zu seltenen Hirntumoren reichten, woraufhin im Team Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten abgesprochen wurden. Anschließend fand eine schnelle Chefarztvisite mit dem gesamten Team statt, wo vor allem die Assistenten ihre Einschätzungen bei vorher ausführlich durchgeführten Visiten schilderten.
Die Fälle wurden in der Regel auf Japanisch vorgestellt, allerdings übersetzten die in dieser Abteilung sehr gut Englisch sprechenden Ärzte mir stets die Informationen, die zum Verständnis der Fälle notwendig waren. Viele Neurochirurgen dieser Abteilung haben sowohl japanische als auch amerikanische Lizenzen und jahrelange Ausbildungen und Forschungsaufenthalte an renommierten amerikanischen Instituten wie z.B. der Mayo Clinic in Minnesota in den Vereinigten Staaten genossen. Insgesamt sind die Englischkenntnisse der Japaner im Schnitt aber erschreckend gering: Nicht einmal in Großstädten ist es selbstverständlich, dass Japaner ein für grundlegende Kommunikation ausreichendes Englischniveau besitzen, obwohl die Fremdsprache über fast die gesamte Schulzeit fest im Lehrplan verankert ist. Weil ich mich im Vorfeld mit Japanischkursen der Universität Münster auf meinen Aufenthalt vorbereitet hatte, fiel es mir trotz häufiger Verständnisschwierigkeiten sicherlich insgesamt leichter, mich mit Ärzten, Krankenschwestern und Patienten auszutauschen.
Anders als häufig in Deutschland wird in der Neurochirurgie an der Dokkyo Medical University nur an drei Tagen in der Woche operiert. Dabei hatte ich die Möglichkeit, bei verschiedenen Operationen in Bereichen wie der Wirbelsäulen- und Rückenmarkchirurgie, der Gefäßchirurgie mit einem Schwerpunkt auf der Therapie von Hirnarterienaneurysmen, d.h. Wandaussackungen in den das Gehirn mit Sauerstoff versorgenden Gehirngefäßen, und der Tumorchirurgie zu assistieren. Darüber hinaus fanden auch stereotaktische Radiochirurgie mittels Gamma-Knife, ein modernes und hochpräzises Gerät für die Strahlenbehandlung von Tumoren, Epilepsiechirurgie und kathetergestützte Therapien mittels Stents, kleine Gefäßprothesen, die Gefäßen bei Engpässen offen halten können, oder Coiling, statt, wodurch man leichter zugängliche Aneurysmen durch Einführung von kleinen Platinspiralen in die Gefäßerweiterungen versorgen kann. Jeden Donnerstag hatte ich die Möglichkeit, zusammen mit dem Chefarzt in seine Privatklinik für Wirbelsäulenchirurgie zu fahren, um dort bei Operationen am Rückenmark zu assistieren. Auf diese Weise konnte ich Einblicke in die universitäre und private Versorgung von neurochirurgischen Patienten in Japan gewinnen.
Nicht zuletzt durch die Teilnahme an verschiedenen neurochirurgischen Kongressen, darunter auch am landesweit größten The 39th Annual Meeting of The Japanese Congress of Neurological Surgeons in Yokohama, hatte ich durch meine Zeit an der Dokkyo Medical University die Möglichkeit, interessante Kontakte für meinen beruflichen Werdegang zu knüpfen. Durch viele spannende Operationen, bei denen ich assistieren, Haut nähen, Trepanationen und weitere einfache chirurgische Tätigkeiten unter Supervision durchführen durfte, habe ich ein breites Spektrum der Neurochirurgie kennenlernen können.