Der Süden, den wir lieben

Es ist meine 21. Woche in Nizza an der Côte d’Azur und ich muss unverändert sagen: Es gefällt mir und es lässt sich gut leben hier. Es ist eigentlich wie Urlaub, der Strand keine 15 Minuten entfernt, das Mittelmeer inzwischen angenehm-erfrischend und dazu sieben Tage die Woche Sonnenschein bei mindestens 25 Grad.

Es war eine gute Entscheidung herzukommen und ein Semester in dieser wunderschönen Stadt zu verbringen. Es ist viel passiert, da wäre beispielsweise die EM, wo sämtliche Nationen/Kulturen in Frankreich zusammengekommen sind. Es war ein tolles Fußballfest, bei dem die Fans einen Monat lang die Städte mit Leben gefüllt haben. Es wurde schnell klar, dass Frankreich ein hervorragender Gastgeber ist, der den vielen Gästen neben der Sicherheit vor allem unvergessliche Momente und Begegnungen schenken möchte, die Begeisterung für das Land, die Leute und den Fußball. Es war auch mir eine große Freude, Spiele in Paris, Nizza und Marseille anzuschauen und mitzuerleben, was der Sport auslösen kann, selbst wenn letztendlich weder Frankreich noch Deutschland die EM gewonnen haben. Es ist zum Glück friedlich geblieben, zumindest während des Turniers.

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Es ist der Süden, den wir alle lieben. Eigentlich wollte ich schwärmen von Frankreich, von der EM, von Nizza und überhaupt von meinem Auslandssemester, in dem ich mich unglaublich wohlfühle. Vor zwei Wochen war Neumond und wir sind am späten Abend hoch nach Levens gefahren, eine gute Dreiviertelstunde von Nizza entfernt, ein kleines Bergdorf, wie man es auch in Süddeutschland oder Österreich finden könnte. Dort am höchsten Punkt des Dorfes steht eine kleine Burgruine, wo man im Süden die Mittelmeerküste und im Norden die Ausläufer der Alpen mit einigen 3000er Bergen sehen kann. Auch der Blick nach oben war absolut lohnenswert, denn die Nacht war wolkenlos und der Sternenhimmel traumhaft schön! Das Freibad nebenan hatte leider schon geschlossen, es brannte aber noch Licht und man erlaubte uns einen Sprung ins kalte Nass („Wir haben nichts gesehen“). Unglaublich entspannte und offene Leute, Freibad-Temperaturen bis spät in die Nacht, der klare Sternenhimmel über einem urigen Dorf – das ist der Süden, den wir alle lieben.

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Frankreich hat nicht nur während der EM gezeigt, was dieses Land kann – es ist ein Land, das zusammenhält, was man spätestens bei den Anschlägen in Paris im vergangenen Jahr gesehen hat. Man ist stolz darauf, Franzose zu sein. Beim Halbfinale in Marseille zwischen Deutschland und Frankreich habe ich das erste Mal im Stadion bei beiden Nationalhymnen mitgesungen. Die Euphorie war ansteckend, schon vor dem Stadion, schon in der Innenstadt am Hafen, wo die Fans sich und ihr Land schon Stunden vor dem Anpfiff gefeiert haben. Und nach der deutschen Niederlage habe ich meinem Sitz-Nachbarn freundlich gratuliert und wir haben unsere Fahnen getauscht. So war ich zumindest für das Finale ausgestattet, das die Franzosen bekanntlich leider verloren haben. Doch selbst nach der EM blieben die Fahnen hängen, am Nationalfeiertag sah man überall Frankreichs Blau-Weiß-Rot, das Negresco war in den Farben der Tricolore angestrahlt und einer der ersten Schüsse beim großen Feuerwerk projizierte die französische Flagge auf den Nachthimmel über dem Meer. Mit einigen Arbeitskollegen hatten wir uns zum Picknick am Strand verabredet, um den besten Blick auf das 15-minütige Feuerwerk zu haben. Bei Baguette, Käse und anderen Knabbereien hielt sogar das Wetter gut durch und auch das ist der Süden, den wir alle lieben, Frankreich von seiner schönsten Seite, locker, freundlich, genießerisch, kulinarisch, patriotisch.

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Schließlich kamen mit dem Ende des Feuerwerks die ersten Regentropfen runter, ein LKW fuhr über die Promenade und tötete mindestens 84 Menschen. Es ist ein Ereignis, das man normalerweise nur aus den Medien kennt, das da plötzlich in Sichtweite stattfindet und alles verändert. Es ist schwer in Worte zu fassen – die Franzosen wollen stark bleiben und sich nicht einschüchtern lassen und doch ist die Stimmung gedrückt und der Alltag kehrt nur sehr langsam wieder nach Nizza zurück. Es ist im Moment unvorstellbar, dass es wieder so ist wie vorher – vor allem auf der Promenade ist es ungewohnt still und wir alle werden noch ein bisschen Zeit brauchen, das Erlebte zu realisieren und  zu verarbeiten.

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