Bittschreiben von Elisabeth Einstein

Ausschnitt aus dem Reisepass von Elisabeth Gerstmann (Mädchenname), verheiratete Einstein, ausgestellt am 30. September 1922.
Ausschnitt aus dem Reisepass von Elisabeth Gerstmann (Mädchenname), verheiratete Einstein, ausgestellt am 30. September 1922.
© Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Ludwigsburg F 215 Bü 69, fol. 004

Stuttgart, 27.5.40.

Rosenbergstraße 162.

Ich wurde im Jahre 1899 als Tochter von Herrn Geheimrat Prof. Dr. Gerstmann in Stuttgart geboren, und verheiratete mich 1922 mit Herrn Leo Einstein, hier. Wir haben drei Kinder im Alter von 17, 16 und 12 Jahren. Der Älteste ist Landwirt, der Zweite als Lehrling (Maurer) in einem Baugeschäft, und das Kleinste, ein Mädchen, geht noch zur Schule. Mein Mann, der 1914 als Kriegsfreiwilliger einrückte und den ganzen Feldzug 1914-1918 als Frontsoldat mitmachte, hatte bis 1938 ein eigenes Geschäft, das uns gut ernährte. Im Jahre 1938 war er durch die allgemeinen Verhältnisse gezwungen, dies zu liquidieren. Seither leben wir ausschließlich von unseren geringen Ersparnissen, dem kleinen Einkommen unserer Jungen, von Unterstützung und vom Verkauf aller entbehrlichen Einrichtungsgegenstände.

Mein Mann und meine drei Kinder sind Juden, und ich, da ich niemals einer Religion angehörte, nahm 1935 kath. Religions-Unterricht, und empfing 1936 zu St. Nikolaus in Stuttgart das Sakrament der Taufe. Die hl. Firmung wurde mir 1938 von Sr. Excellenz, H. Herrn J.B. Sproll, Bischof von Rottenburg, in St. Ottilien gespendet.

Wie bereits oben erwähnt ist mein Mann ohne Arbeit und Verdienstmöglichkeit. Dieses und die übrigen Umstände zwingen uns, baldmöglichst auszuwandern, und zwar nach U.S.A. – Wir betreiben unsere Auswanderung schon seit August 1938 und sind in allernächster Zeit beim amerikanischen Konsulat vorgeladen, um die Visa zu empfangen. Da seit dem Krieg die Passagen in ausländischer Währung bezahlt werden müssen, sind wir gezwungen, uns diese vom Ausland zu beschaffen. Eine Passage für mich kostet in der 3. Klasse 209 Dollar, die der "United States Lines" in Genua einzubezahlen wären. Diese Linie ist auch hier vertreten, und würde mir, sobald ich Nachricht habe, dass mir dort eine Passage einbezahlt wurde, hier eine solche auf einem beliebigen Dampfer zur Verfügung stellen.

Es ist natürlich unser ganzer Wunsch, so rasch als möglich auszuwandern, um uns wieder eine neue Existenz schaffen zu können.

Elisabeth Einstein-Gerstmann

Archivio Apostolico Vaticano, Segreteria di Stato, Commissione Soccorsi 292, fasc. 1, fol. 4r