Santa Margherita, 26. Januar 39
XVII [Anno 17 der Faschistischen Ära]
Eminenz,
Ich wage es, mich an Eure Ehrwürdigste Eminenz zu wenden, um meinen sehr bedauernswerten Fall zu schildern. Am 12. April 1933 wurde ich in Benevent von Euer Ehrwürdigsten Eminenz getauft, gefirmt und empfing die heilige Kommunion. Leider entstamme ich einer Familie, die so wenig jüdisch ist, dass ich nicht einmal wusste, dass ich zu etwas gehöre, das heutzutage als „jüdische Rasse“ bezeichnet wird. Meine Mama ist katholisch (sie gilt aber als der Rasse zugehörig), mein Vater gehört keiner Religion an. Ich wurde von meinem Vater religionslos erzogen, mir stand aber frei, die Religion zu wählen, die mir zusagte. Und Eure Ehrwürdigste Eminenz weiß sehr wohl, dass ich die christliche Religion aus freiem Willen und tiefer Überzeugung angenommen habe, ganz ohne politische Absichten. Fünf Mitglieder meiner Familie, die seit Jahrhunderten in Italien ansässig ist, kämpften im Ersten Weltkrieg, einer davon wurde verwundet, ein anderer kehrte mit Hirnschäden zurück und ist nun in Pension. Ich selbst war stets ein loyaler Faschist und ein guter Italiener. Wenn es darum ging, [105v] wahren Patriotismus zu zeigen und meinen Schülern ein pflichtbewusstes Beispiel zu geben, habe ich meine Pflicht getan. Ich meldete mich als Freiwilliger und ging für 14 Monate nach Italienisch Ostafrika. Als ich nach dem Äthiopienkrieg nach Italien zurückkehrte, nahm ich meinen staatlichen Posten wieder auf und habe mir in keiner Weise etwas auf den geleisteten Dienst eingebildet. In meinem ganzen Leben und im Unterricht habe ich stets versucht, Gutes zu tun und die mir anvertrauten jungen Menschen christlich zu erziehen. Ich habe eine christliche (und arische) Frau geheiratet, deren Gesundheitszustand wegen einer chirurgischen Operation kritisch war. Ich habe ihr in ihrer Krankheit geholfen und sie arm geheiratet. Niemals habe ich meinen Vorgesetzten in Gesellschaft oder Militär Anlass zu Vorwürfen gegeben.
Ich glaubte, mit all dem zumindest ein Recht auf Leben und auf die Wahrung der Bürgerrechte zu haben. Stattdessen wurde ich heute mit sofortiger Wirkung aus dem Staatsdienst entlassen, ohne Anspruch auf Rente; ich wurde aus der Armee und der Faschistischen Partei ausgeschlossen, der ich so treu gedient hatte, und dann, wiederum aufgrund der Gesetze zur „Verteidigung der Rasse“, gedemütigt und lebe nun in erbärmlichen Verhältnissen, da ich mich noch nicht einmal ins Berufsregister eintragen kann. Die „discriminazione” verschafft mir keine Rechte, weil ich arm bin und nichts habe.
Mit großer Freude und dem Gefühl wahren Trostes habe ich die Predigt gelesen, die Eure Ehrwürdigste Eminenz [106r] in Venedig gehalten hat, und Ihr Wort ging mir direkt zu Herzen, so als hätte ich es selbst aus Ihrem Munde gehört.
Ich habe es gewagt, dieses Schreiben an Eure Ehrwürdigste Eminenz zu richten, um Ihnen zu zeigen, wie viele Ungerechtigkeiten wegen einer „Rasse“ begangen werden, die es in Italien in ihrer reinsten Form möglicherweise gar nicht gibt. Könnte man nicht diejenigen, die ihrem Land gedient haben und gute Christen sind, ohne Herabwürdigungen leben lassen, auch wenn sie jener vermeintlichen „Rasse“ angehören, die das Regime heute nicht sehen will, während es sie bis vor kurzem zu Staatsdienern machte?
Ich bitte Eure Ehrwürdigste Eminenz um Verzeihung, dass ich es gewagt habe, Ihnen meine bedauerlichen Umstände, in denen sich auch viele andere Menschen befinden, auf so chaotische Weise zu offenbaren. Vielleicht kann Ihr Wort dazu beitragen, viele Dinge zum Besseren zu verändern!
Ich wage es, Ihre Hand in großer Ehrfurcht zu küssen und um Ihren Segen zu bitten.
Untertänigster Pietro Bonaventura
Früherer Chemielehrer an der Königlichen Handelsschule in Santa Margherita Ligure (Genua)
Sta Margherita Via Favale 8
Archivio Storico della Segreteria di Stato, Pio XII, la parte, Ebrei 14, fol. 105r-106r