• Menu
  • Menu

PJ in Newcastle upon Tyne – Eindrücke aus der Kardiologie

Ich befinde mich aktuell in der siebten von acht Wochen meines PJ-Tertials in der Inneren Medizin – genauer gesagt in der Kardiologie – in Newcastle upon Tyne. In den vergangenen Wochen habe ich bereits viele verschiedene Eindrücke gesammelt, die das britische Gesundheitssystem, die klinische Arbeit und die Rolle von Studierenden betreffen.Auch wenn ich mich mittlerweile gut orientieren kann, bleibt der Alltag hier weiterhin spannend – und in mancher Hinsicht auch herausfordernd. Zeit also, ein paar Gedanken und Erfahrungen festzuhalten.
Statt einer festen Station wurde ich einem Consultant als Supervisor zugeteilt. Man bekommt von Anfang an gesagt, dass man als Studierende*r überall hingehen könne – ein großer Vorteil, wenn man gezielt eigene Interessen verfolgen möchte. In der Praxis ist das jedoch nicht immer einfach: Es gibt viele andere Studierende, und es ist zunächst gar nicht klar, was „überall“ eigentlich konkret bedeutet. Diese fehlende Struktur erschwert den Einstieg.
Aufgaben für Studierende sind nicht klar definiert. Das hat zwei Seiten: Einerseits ist es schön, nicht an Routineaufgaben gebunden zu sein. Andererseits fehlt dadurch oft die Möglichkeit, praktisch mitzuarbeiten. Das Zuschauen überwiegt deutlich, und für ein praktisches Jahr ist das ernüchternd. Tätigkeiten wie Blutabnahmen, die in Deutschland fast selbstverständlich zum Alltag gehören, sind hier nicht vorgesehen – das übernehmen andere Berufsgruppen. Auch in den Sprechstunden führen ÄrztInnen die Gespräche und Untersuchungen allein durch, Studierende beobachten nur.
Die Lehrqualität hängt stark von den betreuenden ÄrztInnen ab. Es gibt einige, die sich viel Zeit nehmen, erklären, Fragen stellen und einen auch mal fordern. Es gibt aber genauso viele, die kaum etwas vermitteln.

Auf der Intensivstation fand ich die Arbeitsweise besonders interessant: Die PatientInnen werden dort oft eins zu eins vom Pflegepersonal betreut, was eine sehr intensive und individuelle Versorgung ermöglicht. Die Pflegekräfte sind hervorragend informiert, kennen den Zustand „ihrer“ PatientInnen genau und arbeiten eng mit den ÄrztInnen zusammen. Dort durfte ich unter Anleitung weniger komplexe PatientInnen selbst untersuchen und die Befunde später mit einer ÄrztIn besprechen – leider wurde das nicht immer umgesetzt, was schade war. Wenn man Glück hat, darf man bei der Visite auch mal selbst eine PatientIn präsentieren.
Was mich besonders positiv überrascht hat, ist die unglaublich flache Hierarchie im Krankenhaus. Auf dem Flur wird man direkt angesprochen, wenn man suchend schaut, und gefragt, ob man Hilfe braucht. Das gesamte Personal ist durchweg freundlich und hilfsbereit. Auch die Anrede ist informeller als in Deutschland: Sowohl PatientInnen als auch KollegInnen werden häufig mit dem Vornamen angesprochen.
Das Krankenhauspersonal ist sehr international, was spannende Gespräche über unterschiedliche Gesundheitssysteme und Ausbildungswege ermöglicht. Besonders interessant finde ich die sogenannten Care Practitioners, z. B. Intensive Care Practitioners. Diese Rolle gibt es so in Deutschland nicht – es handelt sich um nicht-ärztliche ExpertInnen mit spezieller Ausbildung, die eigenständig PatientInnen untersuchen, Behandlungspläne mitentwickeln und dokumentieren.
Die Stationsarbeit selbst ähnelt der in Deutschland – allerdings werden Studierende hier nach der Visite oft „freigestellt“, mit der Begründung, dass man danach nicht mehr viel lernen könne. Dafür wird empfohlen, sich in anderen Bereichen des Krankenhauses umzusehen.
Ein weiterer Unterschied: Das Arbeitstempo ist insgesamt entspannter, die Atmosphäre weniger gestresst. In den Sprechstunden nehmen sich ÄrztInnen mehr Zeit für Gespräche mit den PatientInnen. Gleichzeitig bedeutet das aber auch: mehr Warten zwischen Aufgaben und weniger Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden.
Was mir im Alltag mit am stärksten auffällt, ist der Unterschied im Umgang mit Hygiene, insbesondere bei der Händedesinfektion. Während in Deutschland nach jedem Patientenkontakt konsequent die Hände desinfiziert werden, ist hier das Händewaschen die vorherrschende Praxis – besonders in der Sprechstunde. Auch bei sterilen Tätigkeiten, etwa auf der Intensivstation oder im Katheterlabor, werden die Hände mit spezieller Seife gewaschen, anstatt – wie bei uns üblich – eine chirurgische Händedesinfektion durchzuführen. Für mich war das anfangs sehr ungewohnt. Ebenso wird in manchen Bereichen, zum Beispiel im Katheterlabor, deutlich seltener ein Mundschutz getragen, als ich es aus Deutschland kenne – auch das ist ein spürbarer Unterschied im klinischen Alltag.
Ein weiterer auffälliger Unterschied ist, dass häufig Ringe und Uhren getragen werden – auch bei klinischer Tätigkeit. Besonders Eheringe scheinen eine Ausnahme darzustellen: Sie werden zum Teil sogar unter sterilen Handschuhen belassen, was aus deutscher Sicht eher unüblich und aus hygienischer Sicht bedenklich wirkt.
Insgesamt ist mein PJ in Newcastle eine spannende Erfahrung, vor allem wegen der kulturellen Unterschiede, des freundlichen Teams und der neuen Einblicke in ein anderes Gesundheitssystem. Fachlich und praktisch gesehen hätte ich mir jedoch mehr aktive Einbindung gewünscht. Wer sich auf ein hohes Maß an Eigeninitiative einstellt und flexibel bleibt, kann hier aber durchaus viel mitnehmen – besonders in puncto Kommunikation, Teamarbeit und interdisziplinärer Zusammenarbeit.

Nina

Ich studiere Humanmedizin und absolviere 8 Wochen meines PJs in Newcastle upon Tyne in England.

Zeige alle Beiträge des Autors / der Autorin

Lassen Sie einen Kommentar da

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert