Stellungnahme zu den Plagiatsvorwürfen von Abdel-Hakim Ourghi
Dr. Thomas Amberg


Unlängst hat der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi gegen Prof. Dr. Mouhanad Khorchide den Vorwurf erhoben, dessen Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ plagiiere Gedanken und Werk des syrischen Reformdenkers Muhammad Shahrour.

Als promovierter Islamwissenschaftler der Universität Heidelberg widerspreche ich diesen Vorwürfen vehement. Im Jahr 2008 habe ich selbst über das Werk von Muhammad Shahrour an der Universität Heidelberg bei Prof. Dr. Susanne Enderwitz mit „summa cum laude“ promoviert (Auf dem Weg zu neuen Prinzipien islamischer Ethik. Muhammad Shahrour und die Suche nach religiöser Erneuerung in Syrien. Ergon 2008). Die Arbeit wurde mit dem Dissertationspreis 2009 der DAVO (Dt. Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient) ausgezeichnet. Ich sehe mich also als fachlich qualifiziert zu einer Apologie Khorchides.

Seit 2008 arbeite ich selbst als evangelisch-lutherischer Theologe im Dienst der ELKB (Evang.Luth. Kirche in Bayern). Ich habe das Buch von Mouhanad Khorchide aus dem Jahr 2012 genau gelesen und kann darin keinerlei Plagiat zu den Werken Shahrours erkennen. Zu den behaupteten inhaltlichen Überschneidungen zwischen beiden islamischen Denkern ist vor allem Folgendes festzuhalten:

Dass sich gewisse inhaltliche Gemeinsamkeiten in den Ansätzen zeitgenössischer Reformtheologen ergeben, liegt auf der Hand. Von literarischer Abhängigkeit zwischen beiden Autoren kann jedoch, wie behauptet, in keiner Weise gesprochen werden. Ein solcher Vorwurf ist mit Blick auf die diffusen und wenig überzeugenden Argumente des Freiburger Pädagogen Abdel-Hakim Ourghi nichts als böswillig zu nennen.

Inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen Khorchide und Shahrour liegen einzig darin begründet, dass deren Anliegen ähnliche sind. Beiden geht es um eine Neuformulierung dessen, was Islam heute als Religion bedeutet. Sie schreiben vor dem Hintergrund einer Anthropologie, die bestrebt ist, den Menschen in seiner Freiheit und gleichzeitig als ein verantwortliches Gegenüber Gottes zu bestimmen. Grundthemen, die es dabei islamisch aufzuarbeiten gilt, sind Fragen wie die nach den Menschenrechten, der Gleichheit der Geschlechter und der Religionsfreiheit. Der Begriff „Scharia“ wird vor diesem Hintergrund grundsätzlich neuinterpretiert. Es geht nicht mehr um einen Kanon von rechtlichen und rituellen Pflichten und Verboten, wie dies die traditionelle Schariawissenchaft, das sog. „Fiqh“ mit seinen verschiedenen Rechtsschulen tat. Die Scharia wird in Abgrenzung zum fundamentalistischen sunnitischen Diskurs als Summe ethischer Grundprinzipien wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit gedeutet. Die rechtlichen Deutungen des historischen Fiqh hingegen treten zurück oder werden gar für obsolet erklärt.

All dies tun Khorchide wie Shahrour auf ihre je eigene Weise ohne direkte literarische Abhängigkeit. Ja es kann sogar gesagt werden, dass der syrische Reformdenker Shahrour mit seinen teils recht komplexen Begriffsdifferenzierungen (z.B. zwischen al-kitab und al-qur'an, islam und iman, nabi und rassul) hermeneutisch ganz anders vorgeht als Khorchide, der die Gedanken seines Buches „Islam ist Barmherzigkeit“ ganz aus dem koranischen Gottesattributen „ar-rahman ar-rahim“ entwickelt.

Auch Shahrours "Theorie der Grenzen" (nazariyat al-hudud), die zentral ist für dessen Sharia-Theorie ist, findet bei Khorchide keinerlei Entsprechung.

Wenn es also ferne Ähnlichkeiten zwischen dem Werken Khorchides und Shahrours gibt, dann sind diese sicherlich nicht auf ein plagiierendes Abschreiben Khorchides zurückzuführen, sondern auf ihrem gemeinsamen Anliegen, den Islam für „Menschen des 21. Jahrhunderts“ zu deuten und aufzuschließen.

Berechtigte Kritik?

Das Buch von M. Khorchide ist gerade wegen seines flüssigen Schreibstils als gelungen zu bezeichnen. Khorchide ging es mit seinem Buch „Islam ist Barmherzigkeit“ darum, ein eingängig lesbares Buch vor allem für theologische Laien zu schreiben. Es ist ein sehr persönliches Buch mit vielen biographischen Bezügen. Zum Ziel der Verständlichkeit im Deutschen wagt Khorchide mitunter recht freie und sinngemäße eigene Koranübersetzungen. Diese „Niederschwelligkeit“ sehe ich als Stärke des Buches. In der Stellungnahme des Koordinationsrats der Muslime vom 17. Dezember 2013 wird versucht, M. Khorchide vermeintlicher Übersetzungsfehler zu überführen. Kritisiert wird, dass sich diese Übersetzungen teils ziemlich weit von einer wortwörtlichen „Übertragung“ des Koran entfernen. Dies ist in der Tat so. Aber, so frage ich, warum sollte eine solche frei Übersetzung nicht auch ihr Recht haben? Schließlich ist jede Übersetzung ja immer auch schon ein Stück Exegese.

Dass das Schreiben für Laientheologen anderen Regeln folgt als eine Dissertation, sollte auch allen klar sein. Die Vorwürfe des KRM vom 17. Dezember 2013 sehe ich also vor allem als einen ebenso gezielten Versuch, den Autor und Islamwissenschaftler fachlich zu diskreditieren.

Konservativer Islam gegen Reformdenker? Ein Kulturkampf auf deutschem, akademischem Terrain?

Abschließend erlauben Sie mir eine weiterführende Bemerkung:

Khorchide wie auch andere, in den letzten Jahren berufene Lehrstuhlinhaber der neuen Fachdisziplin Islamische Theologie in Deutschland zeichnet erkennbar eine theologische Tendenz aus, die sich (mit Thomas Hildebrandt) als Neo-Mu´tazila bezeichnen lässt. Dazu gehören neben Khorchide auch andere islamische Theologen wie z.B. die Erlanger Professoren Hajatpour und el-Qaisy-Friemuth. Diese neue, islamische Theologie verbindet in ihren Grundzügen ein Denken, dass inhaltlich an Traditionen der rationalistischen Denkschule der Mu’tazila im 8./9. anknüpft. Die neue Betonung der menschlichen Entscheidungsfreiheit steht gegen den sunnitischen Mehrheitsdiskurs, der seit al-Ash’ari die Prädestination und Determination des Menschen betonte. Mit der historischen Mu’tazila findet sich bei den neuen Reformtheologen die „Erschaffenheit“ des Korans betont oder zumindest die Zeitbedingtheit koranischer Aussagen hervorgehoben (Trennung zwischen Mekkanischen und Medinensischen Suren).

Diesem liberalen Islam der neuen Fakultäten gegenüber stehen die großen muslimischen Verbände in Deutschland. Mehrheitlich stehen diese für einen konservativen, sunnitischen Islam. Die Verbände sprechen dabei nicht nur für sich und die ihnen zugehörigen Moscheegemeinden in Deutschland; sie stehen zum Teil auch unter politischem Einfluss z.B. der Türkei oder anderer Regierungen im Nahen Osten.

Neuinterpretationen des Islam wie jene Khorchides sind diesen konservativen sunnitischen Kräften eine Herausforderung. Im Interesse eines „deutschen Islam“ aber ist zu betonen, dass gerade diese „Herausforderungen“ unumgänglich sind für eine Neuinterpretation des Islam im pluralen Kontext Europas.

So bleibt zu konstatieren, dass es bei dem Plagiatsvorwurf gegen Mouhanad Khorchide kaum um die Sache an sich, sondern letztlich vor allem um einen Machtkampf geht. Es geht um die Deutungshoheit darüber, welcher Islam in Deutschland gelehrt und gelebt werden darf.

Der Islamische Religionsunterricht als neuer Teil des Bildungskanons an unseren Schulen ist dabei ein Schlüssel, der in ganz neuer Weise große Teile der jungen Generation deutscher Muslime erreichen wird. Es geht also im Kern um die Frage, wer diese jungen Muslime mit „welchem Islam“ prägen wird.

Konservativen, sunnitischen Theologen steht dabei unbenommen das Recht zu, inhaltliche Anfragen an die theologischen Deutungen und Thesen Khorchides richten. Lehren wie die „Allversöhnlichunglehre“, die Khorchide (in Kap.2.4 f.) entwickelt, sind vor dem Hintergrund der traditionellen islamischen Theologie in der Tat gewagt. Solchen Aussagen darf widersprochen werden! Ein solcher Widerspruch aber muss innerhalb der Regeln des akademischen Diskurses mit angemessenen Mitteln geführt werden. Es darf nicht salonfähig werden, berufene Professoren islamischer Lehrstühle des „Unglaubens“ (kufr) zu bezichtigen oder mit fadenscheinigen Plagiatsvorwürfen zu schädigen. Die Art und Weise, wie die Kritik an M. Khorchide vorgebracht wird, ist indiskutabel und diffamierend. Ich erinnere dann, dass Muhammad Sven Kalisch, mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert, 2010 von seinem Münsteraner Pädagogiklehrstuhl zurücktrat.

Das gegenwärtige Beiratsmodell, wie es auch in Münster praktiziert wird, hat hier erkennbare Schwachstellen. M. Khorchide darf dabei nicht zum „Bauernopfer“ der ungeklärten Kontroverse um den Einfluss der konservativen Verbände auf die Pädagogischen Lehrstühle der Islamischen Fakultäten werden. Es geht bei diesem scheinbaren Einzelfall um nicht mehr und nicht weniger als um die Stellung und die Akzeptanz der noch jungen Islamischen Theologie an deutschen Universitäten. Es steht also viel auf dem Spiel.

Hochachtungsvoll
Dr. Thomas Amberg