Workshop "Historische Bildforschung in der osteuropäischen Geschichte", Universität zu Köln
Andreas Renner / Alexander Kraus
Wenn der "pictorial" oder "iconic turn", den Kulturwissenschaftler seit den 1990er Jahren anmahnen, auch die Geschichtswissenschaft erfasst hat, dann handelt es sich um eine sanfte Wende. Bereitwillig wird konzidiert, was ohnehin nie umstritten war: dass visuelle Repräsentationen der Vergangenheit erkenntnistheoretisch gleichwertig mit schriftlichen Quellen zu behandeln sind und einzigartige Informationen vermitteln können. Unverkennbar finden in aktuellen Publikationen bildliche Quellen verstärkt Berücksichtigung und, dank des Internet und multimedialer Präsentationstechniken, auch in der universitären Lehre. Wozu also ein weiterer "Workshop" zu einem Thema, das, anders als etwa die Forderung nach einer "linguistischen Wende", kein Befremden und keinen Grundsatzstreit unter Fachhistorikern ausgelöst hat?
Die Begründung ist in der wissenschaftlichen Praxis zu suchen. Die Fürsprecher einer erneuerten historischen Bildforschung sehen bislang zwei Hauptmerkmale einer visuellen "Wende" nicht erfüllt. Zum einen gebe es noch immer keine historische Wissenschaft vom Bild, sondern nur eine Hilfswissenschaft für besondere Anlässe. Doch eigentlich müssten Bilder in allen Fächern der Geschichtswissenschaft und für eine Vielfalt von Fragestellungen herangezogen werden. Ebenso wie der Umgang mit schriftlichen Texten müsse die Analyse bildlicher Darstellungen nicht nur eine theoretische Möglichkeit, sondern eine alltägliche Praxis für alle Historiker sein. Diese Arbeitsweise dürfe nicht das Selbstverständnis nur einer Teildisziplin ausmachen. Zum anderen würden Bilder noch immer bevorzugt zur Illustration und didaktischen Aufbereitung von Forschungsergebnissen eingesetzt, die auf ganz anderem Material basieren. Dieses Vorgehen übersehe bestenfalls den tatsächlichen Informationsgehalt visueller Quellen und spreche ihnen schlimmstenfalls einen authentischen Einblick in die Vergangenheit zu. Doch gerade wegen ihrer größeren Prägnanz und ihres emotionalen Potenzials müssten Bilder mit der gleichen quellenkritischen Sorgfalt wie schriftliche Quellen behandelt werden. Bilder seien gleichwertige Repräsentationen und Deutungen von Geschichte und verdienten es, öfter im Zentrum von historischen Untersuchungen zu stehen.
Ausgehend von diesen beiden Kritikpunkten werden die Teilnehmer des Kölner "Workshop" am Beispiel eigener, laufender Forschungen diskutieren, welche neuen Antworten sich mit der systematischen Auswertung von Bildquellen auf alte Fragen geben lassen und welche neuen Fragestellungen sich für visuelle Analysen anbieten – beziehungsweise sich aus diesen Forschungen möglicherweise erst ergeben.
Programm
Freitag, 12. November 2010
Raum: Universität zu Köln, Philosophikum, Raum 038 (Dekanat Besprechungsraum), Albertus-Magnus-Platz, 50923 Köln
09:00 Uhr // Alexander Kraus, Münster/Köln; Andreas Renner, Köln/Tübingen: Begrüßung, Vorstellung und thematische Einführung
10:00 Uhr // Jens Jäger, Köln: Fotografien als historische Quelle
10:45 Uhr // Karola Fings, Köln: Kriegsfotografien eines Kölner Soldaten. Porträt einer Sammlung
Sektion 1: Fotografen
11:15 Uhr // Corinna Kuhr-Korolev, Bochum: Amateurfotografie und Fotoclubs in der Sowjetunion der 1960er und 1970er Jahre
11:45 Uhr // Ursula Schlude, Berlin: "Wir schämen uns, schlechte Fotos zu schicken". Die Austauschbeziehungen zwischen deutschen und sowjetischen Arbeiterfotografen 1926-1933
12:15 Uhr // Angela Rustemeyer, Wien: Kommentar // Zwischenbilanz und Diskussion
Fortsetzung von Sektion 1: Fotografen
14:00 Uhr // Regine Schiermeyer, Karlsruhe: Betriebsfotogruppen in der DDR. Das staatliche Programm und seine Umsetzung in den Betrieben 1959-1989
14:45 Uhr // Heidrun Hamersky, Bremen: Störbilder einer Diktatur. Zur subversiven fotografischen Praxis im Werk von Ivan Kyncl: Ein Beitrag zur Geschichte der Bürgerrechtsbewegung in der Tschechoslowakei der 1970er Jahre
15:45 Uhr // Angela Rustemeyer, Wien: Kommentar // Abschlussdiskussion zu Sektion 1
Samstag, 13. November 2010
09:00 Uhr // Gertrud Pickhan, Berlin: Lewitan und die historische Bildforschung
Sektion 2: Motive
10:00 Uhr // Anna Baumgartner, Berlin: Der polnische Schlachtenmaler Wojciech Kossak
10:45 Uhr // Silke Plate, Bremen: Das Motiv des Aufstands auf den Briefmarken der polnischen Untergrundpost in den 1980er Jahren
11:15 Uhr // Maike Sach, Kiel: "Die Zeichnungen von M. Le Prince sind das Beste an Eurem Buch." Zur Rolle von Buchillustrationen bei der Vermittlung mentaler Bilder am Beispiel der "Voyage en Sibérie" des Abbé Chappe d’Auteroche
11:45 Uhr // Katharina Kucher, Tübingen: Kommentar // Diskussion zu Sektion 2
Sektion 3: Medialisieren
13:30 Uhr // Marc Zivojinovic, Erfurt: Genossen im Bild – Zur Ikonographie kommunistischer Führerkulte
14:00 Uhr // Alexandra Köhring, Hamburg: Funktionales Bauen und Bildmedien der Architektur in der Nachkriegszeit. Sowjetische und westeuropäische Perspektiven
14:30 Uhr // Michael Wamposzyc, Berlin: Typographie und visuelle Darstellungsformen im Medium Zeitschrift. Operativität und Ästhetik der Titelblätter in Polen und Deutschland von 1945 bis heute
15:15 Uhr // Tanja Penter, Hamburg: Kommentar // Diskussion zu Sektion 3
16:00 Uhr // Alexander Kraus, Münster/Köln; Andreas Renner, Köln/Tübingen: Ergebnisse und Perspektiven