Habilitationsprojekt
Humanitäre Hilfe im Kalten Krieg – Die Unterstützung von Displaced Persons und Flüchtlingen durch die Tolstoy Foundation (1949-1989)
Der Ost-West-Konflikt war nicht zuletzt ein Wettstreit um die Herzen der Menschen: Westliche Staaten, allen voran die USA, investierten enorme Summen ins humanitäre Hilfswesen und zeigten damit, dass die „Freie Welt“ Verfolgte und Bedrängte nicht vergessen habe. Unabhängige Hilfsorganisationen spielten für die staatliche Politik eine entscheidende Rolle, ohne ihren Einsatz wäre die Bewältigung humanitärer Krisen kaum möglich gewesen. Bislang ungenügend beachtet wurde allerdings ihre Rolle als Vehikel des transnationalen Transfers von Personen, Gütern und Ideen. Mit ihrer grenzüberschreitenden Tätigkeit konnten sie binäre Ordnungen des Kalten Krieges sowohl herausfordern als auch stabilisieren. Ein solcher Akteur war die Tolstoy Foundation. Die russisch-amerikanische Stiftung war eine dezidiert antikommunistische Organisation mit engen Verbindungen zu politischen und religiösen Vereinigungen der russischen Diaspora. Zugleich war sie die Interessenvertretung von Menschen, die im „Westen“ als Fremde betrachtet wurden: Displaced Persons (DPs) – in ihrer Mehrheit ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter – sowie Geflüchtete aus fast sämtlichen staatssozialistisch regierten Ländern. Das Projekt untersucht die Versorgung dieser Menschen und ihre „lokale Integration“ in der Bundesrepublik im Zeitraum zwischen 1949 und 1989. Im Fokus stehen Aushandlungsprozesse um ökonomische und gesellschaftliche Teilhabe und ihre institutionellen, (geo-)politischen und kulturellen Bedingungen. Die Studie fragt nach dem Wissen, der Handlungsmacht und der Selbstrepräsentation (zwangs-)migrierter Personen und zeichnet die Rolle der Tolstoy Foundation als einer Form migrantischer Selbstorganisation mit transnationaler Wirkungsgeschichte nach.