Pandemien – ein globales Zukunftsproblem?
Interview mit Prof. Dr. Stephan Ludwig

I: Ja, herzlich willkommen zum neuen WWU-Podcast. Ich freue mich sehr, dass Sie wieder eingeschaltet haben. Wie geht es in Sachen Corona in Deutschland weiter? Einerseits macht sich ein gewisses Gefühl der Lockerheit breit, andererseits steigen die Infektionszahlen. Haben wir das Schlimmste wirklich überstanden oder kommt es noch dicker? Und ist die Corona-Pandemie eigentlich nur ein Vorbote, eine Art Testlauf, für noch üblere Seuchen, die auf uns warten? Für diese und viele weitere Fragen haben wir glücklicherweise DEN Experten an der WWU mit dem Direktor des Instituts für Molekulare Virologie, einen der führenden Virologen in Deutschland und zugleich den Leiter der Geschäftsstelle Münster, der sogenannten nationalen Forschungsplattform für Zoonosen. Bei Zoonosen handelt es sich bekanntermaßen um Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können, wie es beispielsweise beim Corona-Virus der Fall ist. Ich begrüße Sie sehr herzlich, guten Morgen Professor Doktor Stephan Ludwig. #00:01:06-0#

B: Guten Morgen. Danke für die Einführung. #00:01:09-0#

I: Herr Ludwig, die einen mahnen vor der zweiten Welle, die anderen sagen, wir sind schon mittendrin, wiederum andere protestieren gegen die Ihrer Auffassung nach noch immer viel zu harten Auflagen, die derzeit gelten. Ganz grundsätzlich, vielleicht mal am Anfang, wie schätzen Sie die aktuelle Lage in Deutschland ein? #00:01:24-0#

B: Also der Begriff zweite Welle, da kommt es ja immer darauf an, wie man das interpretiert. Und wahrscheinlich ist diese Diskussion darüber jeweils der Definition geschuldet. Mein Kollege Drosten beispielsweise interpretiert die zweite Welle als die Welle, die ausgelöst wird durch Infektionen innerhalb des Landes. Während damals die erste Welle ausgelöst wurde durch das, was nach Deutschland hereingetragen wurde. Der Kollege Streeck aus Bonn hat sich hier eine ganz neue Wortschöpfung ausgedacht, der redet von einer Dauer-Welle, der sagt quasi, wir kommen nicht irgendwie von der ersten in die zweite Welle, sondern wir haben dauerhaft mit diesem Virus zu tun und damit er steht er im Grunde auch nicht im Gegensatz zu Drosten, das ist tatsächlich der Fall. Wir haben immer gesagt und das bewahrheitet sich jetzt, dass dieses Virus einfach in der Welt ist, das ist unter uns. Wenn wir jetzt lockern, werden die Zahlen wieder hochgehen, das hat man auch gesagt. Die Situation in Deutschland würde ich so einschätzen, dass wir das Ganze noch extrem gut im Griff haben, auch wenn jetzt die Zahlen wieder steigen. Es ist allerdings auch wichtig, dass man jetzt nicht nachlässig wird und das Erreichte dadurch aufs Spiel setzt. #00:02:38-0#

I: Würden Sie denn sagen, dass die Politik oder der Staat aktuell härter gegen diejenigen einschreiten sollte, also einschreiten vielleicht in Anführungsstrichen, die die Corona-Regeln mehr oder weniger bewusst ignorieren, weil sie unser aller erstens Gesundheit gefährden und zweitens auch einen zweiten Lockdown, auch wenn der erste vielleicht nicht ein richtiger Lockdown war, aber doch zu viel härteren Restriktionen uns zwingen muss, worunter wir dann alle wieder leiden würden? Muss ein Staat da härter sein? #00:03:06-0#

B: Ich bin prinzipiell gegen diese Geschichten von Pflichten, also Pflichtimpfungen oder verpflichtende Dinge auch zu tun, aber in diesem Fall unterstütze ich das schon, weil, es sind ja hier zwei Punkte, es geht nicht um den Einzelnen, sondern wenn ein Einzelner sich gegen die Hygieneauflagen und gegen die Maskenpflicht und so weiter sträubt, dann gefährdet der andere, nicht nur sich selbst, sondern andere. Da hat man also hier nichts mehr mit dem individuellen Benefit zu tun, sondern das ist tatsächlich ein Schaden für die Allgemeinheit und blöderweise ist es so, dass, ja, der Aufruf sich an Dinge zu halten, also quasi freiwillig, oftmals nicht funktioniert. Und wir sehen, dass die Zahlen wieder hochgehen, wir haben eigentlich recht moderate Auflagen jetzt mit der Abstands-, Handhygiene- und Maskenpflicht. Maskenpflicht ist es ja nicht, das Benutzen von Masken und damit können wir eigentlich gut damit klarkommen, wenn sich alle daranhalten. Deswegen muss man das jetzt auch einfordern bevor die Zahlen wieder außer Kontrolle geraten. #00:04:07-0#

I: Das heißt, diese Freiwilligkeit ist ja so eine Sache. Anscheinend braucht der eine oder andere Mitbürger dann doch eine klare Ansage, eine klare Regel, weil er sich eben nicht nur um sich selbst zu kümmern hat, sondern auch andere gefährdet, oder? #00:04:20-0#

B: Ja, das hat sich auch aus meinem Gefühl heraus in den letzten Jahrzehnten auch irgendwie so ein bisschen gewandelt, diese „Unterm-Strich-zähle ich-Mentalität“. Ja, der eigene Benefit, die eigene persönliche Freiheit wird ganz oben angestellt und es wird gar nicht danach geschaut, was man anderen damit antut. Und, ja, also ich nehme auch mal die Impfungen hier als Beispiel, es wurden gegen alle möglichen Erkrankungen immer diese Impfaufrufe gemacht und die Impfakzeptanz ist doch in Deutschland sehr, sehr gering und das ist dann auch wieder der Punkt, ja, Nebenwirkungen nehme ich für mich selber nicht in Kauf, nur, wenn man durch die Impfungen auch dann andere schützt, weil man selber dann nicht infiziert wird und andere nicht anstecken kann, das ist was, das blenden viele Leute aus. Es ist auch dieses Ich-Bezogene, was unsere Gesellschaft dominiert, das verbreitet sich immer mehr. #00:05:19-0#

I: Bleibt uns das Ganze, wenn mal da mal so einen groben Strich drunter zieht, wahrscheinlich einfach so lange erhalten, diese Problematik, bis endlich, hoffentlich bald, ein Impfstoff gefunden ist, denn das scheint sich ja zu bewahrheiten, es gibt mal hier ein Auf, dann wieder ein Ab, dann wieder ein Auf, dann wieder ein Ab, aber dass wir wirklich durchatmen können, das wird doch wahrscheinlich erst dann der Fall sein, wenn ein Impfstoff da ist, der dann auch in Massen verteilt werden kann, oder? Bis dahin müssen wir wahrscheinlich mit diesen Aufs und Abs und auch den Restriktionen leben oder wie schätzen Sie das ein? #00:05:48-0#

B: Ich befürchte das mittlerweile. Also man hat ja immer Hoffnungen gehabt, ich habe beispielsweise gehofft, dass wir eine gewisse Saisonalität bei diesen Ausbrüchen haben. Wir kennen das ja von der Grippe, dass die Grippe hauptsächlich im Winter ihr Unwesen treibt und dann relativ schnell, wenn es warm wird im Frühjahr, verschwindet. Dann kommen im nächsten Jahr die neuen Varianten. Dieser Effekt ist bei Corona absolut nicht zu sehen und das ist wirklich ein bisschen erschreckend. Ich hätte gehofft, dass das tatsächlich bei Coronaviren auch so ein bisschen dann eintritt. Wir haben im Gegensatz hier die unterschiedliche Beobachtung, dass jetzt, wo die Leute wieder mehr rausgehen, dann auch im Freien oder irgendwo auch in geschlossenen Räumen feiern, dass wir dann wieder mehr Übertragungen haben. Und das zeigt eigentlich, dass wir, ja, das Virus noch nicht überwunden haben und dass uns das so lange begleiten wird, bis wir vernünftige Medikamente und hoffentlich dann auch einen guten Impfstoff haben. #00:06:51-0#

I: Sie haben es gerade schon angedeutet, es gab einmal eine Phase, wo man sagte, die Masken, das hilft nicht wirklich was. Dann gab es eine Phase, die auch aktuell noch gilt, Masken auf jeden Fall. Am Anfang hieß es, wir wissen nicht so richtig, was mit Kindern ist, Schulen auf, Schulen zu, KiTas auf, KiTas zu. Das heißt, die Virologen, auch Sie, lernen doch jeden Tag noch über dieses Virus etwas Neues. Ist das nicht in gewisser Weise beängstigend, in dem Sinne, dass wir immer noch nicht genau wissen, was ist das eigentlich für ein Virus und was treibt der noch so mit uns? Ist das immer noch der Stand der Dinge, dass Sie vor vielen Rätseln stehen? #00:07:24-0#

B: Das ist tatsächlich so, wir kennen dieses Virus also wirklich nur ungenügend. Man muss allerdings auch sagen, dass sich in den letzten Monaten unglaublich viel getan hat auf der gesamten Welt, was Forschungsaktivitäten anbetrifft. Es hat wahrscheinlich selten eine Gesundheitskrise gegeben, wo so intensiv in Forschung auch investiert wurde und geforscht wurde, sodass wir schon sehr, sehr viel gelernt haben über das Virus. In der Öffentlichkeit kommt das immer so ein bisschen an als würden die Virologen einmal so sagen, einmal so, aber das ist natürlich diesem Lernprozess geschuldet. Wir lernen immer mehr über das Virus dazu und das führt beispielsweise dann dazu, dass man auch hinsichtlich der Einschätzung, was Masken bewirken können, dann auch die Einsichten ändert. Die Masken, hatte man ja anfangs gesagt, schützen also nicht vor einer Infektion. Das ist immer noch so. Es ist nur so, dass, wenn eine größere Durchseuchung in der Bevölkerung ist, dann schützt man eben auch andere und das hat die Erfahrung gezeigt, dass beispielsweise Städte wie Jena, die sehr, sehr früh eine Maskenpflicht eingeführt haben, dass die ganz, ganz wenige Infektionen hatten. Und das ist dann eben auch ein Erfahrungswert, den muss man mitberücksichtigen. Und wir haben ja jetzt tatsächlich auch, das ist auch ein bisschen Trial and Error, wir haben ja gesehen, dass jetzt durch Maskenpflicht, Handhygiene, Abstandsregeln, das, was man in Deutschland eingeführt hat, dass wir dadurch das Virus sehr gut unter Kontrolle gebracht haben. Und das ist natürlich auch gewissermaßen so eine Erleichterung, dass man sieht, man hat es tatsächlich mit solchen Maßnahmen selber in der Hand, das Virus so auf einem Level zu halten, dass das keine großen Probleme im Gesundheitssystem macht. #00:09:03-0#

I: Bevor wir jetzt den Blick etwas weiten und über Zoonosen etwas allgemeiner sprechen, vielleicht zum Abschluss in gewisser Weise, was sind nach wie vor Ihrer Einschätzung nach, Stand heute, die wichtigsten Regeln? Sind das nach wie vor diese sogenannten AHA-Regeln, Abstand, Hygiene und Alltagsmaske? Ich frage das vor dem Hintergrund, dass man eben jeden Tag auch als Virologe neu dazulernt. Gibt es etwas, wo Sie sagen, nein, das gilt nicht mehr so stark, da müssten wir stärker drauf achten? Was sind so die zwei, drei Tipps, die Sie nach wie vor der Bevölkerung heute auch nahebringen würden? Oder sind das nach wie vor die drei gleichen, die ich gerade genannt habe? #00:09:38-0#

B: Es sind diese drei gleichen, allerdings kann man da noch was dazu addieren, sage ich mal, und zwar sieht man ja, dass hauptsächlich größere Menschenansammlungen, die dann irgendwann am Feiern sind, ja, dass es da zu Übertragungen kommt. Ich nenne mal Stichwort die Karnevalsveranstaltung in Heinsberg, das Starkbierfest da in der Oberpfalz oder jetzt also auch die Reisenden, die dann auf dem Ballermann dann auch wieder gefeiert haben ohne die Regeln zu beachten oder Großfamilienfeiern, Feierlichkeiten in religiösen Gemeinschaften, die dann sehr auf engem Raum, eben auch unter Nichteinhaltung der Regeln, also das zeigt, die Regeln sind wichtig, aber es gibt dann noch besondere Hotspots, die man dann auf jeden Fall vermeiden sollte. Und das ist dann, wenn man große Feiern hat, dann sollte man sich tatsächlich auch da an die Regeln halten, um solche Cluster, um solche Hotspots, zu vermeiden. #00:10:38-0#

I: Die Corona-Pandemie, Herr Ludwig, zeigt ja wie gefährlich Zoonosen sind, also Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können. Zu diesen sogenannten Zoonosen zählen beispielsweise aber auch Tollwut oder Borreliose, auch sehr unangenehme Sachen. Was ist an den Coronaviren eigentlich anders, vor allem gefährlicher als beispielsweise an den ja auch übel klingenden Tollwutviren? #00:11:01-0#
B: Der erste Punkt ist hier die Übertragbarkeit. Das sind eben respiratorisch übertragbare Viren, die also quasi über Aerosole, über Tröpfchen, über die Atemluft übertragen werden und da hat man dann eben eine viel unkontrolliertere Ausbreitung als wenn irgendwie was über Kontakt oder beispielsweise über den Stuhl oder so übertragen würde, das ist ein bisschen eingeschränkter. #00:11:26-0#

I: Also das Virus hat es praktisch leichter, sich fortzupflanzen und von Mensch zu Mensch zu springen. #00:11:33-0#

B: Genau. Es hat es leichter, sich damit auszubreiten. Und es ist eben nicht so leicht in den Griff zu bekommen, nicht so leicht zu kontrollieren. Das Virus selbst, da muss man ja auch sagen, da hat man ja jetzt noch Glück gehabt, also wir kennen ja Virusinfektionen oder auch bakterielle Infektionen, daran stirbt jeder zweite Infizierte. Die Spanische Grippe war ja so ein Fall, da hat man irgendwie mit fünfzig Millionen Toten weltweit gerechnet. Da sind wir jetzt ja glücklicherweise noch weit weg. Wir haben ja auch bei diesem Virus einen Großteil der Infizierten, die nur sehr leichte Symptome haben. Insofern ist das noch nicht eines der gefährlichsten Viren, was auf uns zukommen kann und wir haben im Grunde jetzt hier auch so eine Art Testfall eines noch nicht so super aggressiven Virus‘, mit dem man jetzt mal diese ganzen Maßnahmen dann auch austesten und durchprobieren kann. #00:12:23-0#

I: Das heißt, wir können, müssen uns möglicherweise auch wegen unseres Lebensstils auf noch viel mehr Zoonosen einstellen, das heißt, das dicke Ende kommt möglicherweise noch. Wir kennen es alle logischerweise nicht, weil es in der Zukunft liegt, aber die Gefahr oder die Wahrscheinlichkeit, dass wir es öfter in Zukunft mit Zoonosen zu tun haben werden steigt oder wie schätzen Sie das ein? #00:12:45-0#

B: Also im Grunde war das Risiko immer da, aber wir können hier schon von steigender Gefahr reden und das liegt daran, dass die Verbreitung so viel schneller funktioniert. Also dass sind dann so Dinge wie die Überbevölkerung der Welt, dadurch drängen die Menschen immer weiter in bisher unbewohnte Gebiete vor, kommen da mit Tieren in Kontakt, denen das Virus teilweise überhaupt nichts anhaben kann, aber der Mensch wird dann eben infiziert. Also bei Ebola ist das so ein Fall. Und wir haben dann immer noch diese Übertragungen über diese Großtiermärkte, also wo große Virusmengen entstehen, ja, also viele Tiere, viele Menschen an einem Ort sind, da sind dann die Übertragungen eben auch sehr leicht. Und dann kommt so ein Virus eben innerhalb von zwölf Stunden aus China zu uns und kann hier sein Unwesen treiben. #00:13:35-0#

I: Und wir merken es möglicherweise gar nicht //B: Man merkt es gar nicht//, weil jemand im Flieger sitzt, der das mitbringt und auch selber nicht weiß, dass er mit irgendetwas infiziert ist und schon geht es los. Das heißt, auch die, ich sage mal im weitesten Sinne, die Globalisierung begünstigt die Ausbreitung von Zoonosen. Kann man das so sagen? #00:13:51-0#

B: Absolut, absolut. Deswegen bin ich zwar noch kein Globalisierungsgegner, aber das ist eben ein Fakt, den man berücksichtigen muss, auf den man dann auch reagieren muss. Und da ist eben die Frage, wie kann man frühzeitig solche Dinge erkennen. Wenn wir beispielsweise sehr früh, in einem Frühwarnsystem in China solche Übersprungsereignisse von den Tieren auf den Menschen hätten detektieren können, wäre uns sehr, sehr viel erspart geblieben. #00:14:20-0#

I: Ich will, bevor ich auf China noch zu sprechen komme, noch mal eben kurz nachhaken: Wir sprachen schon die Globalisierung an, aber zählen auch so Dinge dazu wie beispielsweise die große Mobilität, die heutzutage für uns ja selbstverständlich ist, die veränderte Tierzucht, die Klimawandel, sind das alles Faktoren, die das begünstigen oder sind das andere Dinge, die die Verbreitung von Zoonosen wahrscheinlich verstärken werden? #00:14:43-0#

B: Alle Dinge, die Sie genannt haben, spielen da eine Rolle, in der Tat. Auch der Klimawandel beispielsweise //I: warum// ja genau, wie funktioniert das? Viele dieser zoonotischen Erreger werden über sogenannte Zwischenwirte, also beispielsweise über Zecken oder über Mücken, übertragen und wenn wir durch die Klimaerwärmung dann plötzlich sehen, dass sich bestimmte Mückenarten, die solche Erreger übertragen, weiter nach Norden verschieben, nach Europa rein verschieben, die dann da vorkommen, dann haben wir auch die Möglichkeit, dass diese Tiere dann infiziert sein können und dann eben die Erkrankungen weitergeben. Deswegen ist diese Erforschung von Zoonosen eine absolut interdisziplinäre Aufgabe, also da müssen Ökologen mit rein, Geographen mit rein, dann Immunologen natürlich, Zellbiologen, dann auch die Leute, die sich mit den entsprechenden Tierspezies befassen, also das ist ein ganz, ganz hoch interdisziplinäres Feld, wo man eng zusammenarbeiten muss. #00:15:49-0#

I: So ein bisschen, wenn ich ganz ehrlich bin und Ihnen so zuhöre, macht einem das schon Angst, oder? Die Mücken kommen so langsam nach Norden, wie Sie so sagen, die Gefahr steigt. Können Sie das nachvollziehen, dass man da so ein bisschen Sorgen hat? #00:16:02-0#

B: Ja, das kann man, weil alles Unbekannte und alles Fremde, wo man nicht so leicht drauf reagieren kann, was man nicht so einschätzen kann, das macht immer erst mal Angst. Ich denke, die Infektionsmediziner haben es da ein bisschen einfacher, weil die sich mit diesen Erregern ein bisschen auskennen, also das ist jetzt auch so, dass mir Corona jetzt keine Angst macht, ja, also für viele ist das ja eine unglaubliche Bedrohung. Ich habe gestern gerade ein Essay gesehen, da hat man gerade gezeigt, was das für eine Auswirkung auf Kinder hat, dass die tatsächlich da total unter Ängsten stehen, weil sie das nicht verstehen können, was da genau passiert. Da haben wir als Wissenschaftler natürlich ein bisschen einen Vorsprung. Wir sehen halt, was da passiert und wie man das eindämmen kann. Aber die Gefahr ist ständig im Raum. Die war aber auch immer schon da. Also das wird einem nur jetzt viel bewusster. #00:16:57-0#

I: Also durch Corona steigt das Bewusstsein möglicherweise jetzt auch. Ich würde jetzt auf das zurückkommen, was Sie kurz vorher gesagt haben mit China, ein mögliches Frühwarnsystem. Wie muss man sich das vorstellen, wäre das wünschenswerterweise zumindest so eine Art globales Frühwarnsystem? Jeder sagt sofort: „Da haben wir einen Fall, Achtung liebe Welt, aufpassen, alle Alarmglocken an“, oder wie stellt man sich das im Idealfall zumindest vor? #00:17:23-0#

B: Das würde man sich im Idealfall tatsächlich so vorstellen, dass beispielsweise organisiert über die WHO oder die UN in solchen Ländern, wo diese Dinge gehäuft auftreten, Untersuchungsstationen sind, die dann auch ins Feld gehen, die auf Märkte gehen und da eben schauen, was da passiert oder in die entsprechenden Krankenhäuser. Interessanterweise weiß allerdings noch niemand so richtig, wie man das organisieren soll. Ich habe gerade gestern einen Artikel gelesen, der genau diese Einsichten, ja, dass man sehr früh da Untersuchungen machen muss, propagiert, das ist von einem Kollegen aus San Diego, aber wo genau, wie mir das jetzt geht, eben nicht definiert werden konnte, wie man das genau organisatorisch aufsetzt. Ein positives Beispiel, dass Dinge jetzt funktionieren, kann man vielleicht hinsichtlich von Grippeviren jetzt mal nennen. Das ist so ein bisschen untergegangen, aber vor ungefähr einem Monat wurde groß vermeldet, dass man in Schweinen neue Grippeviren gefunden hat, die das Potenzial haben auf den Menschen überzuspringen. Und jetzt weiß man natürlich, dass man da ein bisschen genauer gucken muss, wie da die Ausbreitungen aussähen und da muss man also dann spezifisch auf solche ersten Befunde reagieren und dann in solchen möglichen Ausbruchsclustern genauere Untersuchungen machen. Und in dem Fall hat die Frühwarnung geklappt, sage ich mal. #00:18:46-0#

I: Man, also zumindest ich als Laie, mir fehlt da so ein bisschen die Vorstellung, wie das konkret passieren soll, denn ich habe auch diesen Corona-Ausbruch noch so im Hinterkopf, etwa im Dezember letzten Jahres trat das offensichtlich, das weiß man ja mittlerweile, in China auf, im Februar oder März war es schon dann bei uns, also man weiß gar nicht, wie in diesen zwei, drei Monaten man das hätte verhindern sollen, wenn es dann ein solches Frühwarnsystem gegeben hätte oder hätte man es gar nicht verhindern können? #00:19:12-0#

B: Also als das in China so richtig losging, da konnte man nichts mehr verhindern, da war die Ausbreitung eigentlich schon klar. Also wenn man nicht ganz China abgeriegelt hätte und niemanden mehr da rausgelassen hätte, also so war das nicht mehr möglich. Man muss da viel früher rangehen, also man muss quasi Routineuntersuchungen auf solchen Lebendtiermärkten machen und muss dann schauen, ob es da Infektionen beim Menschen gibt und wenn so was gehäuft auftritt, dann sofort die Bremse reinhauen. Ich nehme mal wieder ein Beispiel, wo es gut funktioniert hat, das ist auch wieder Influenza, das ist mein Steckenpferd (lacht), deswegen nehme ich diese Beispiele sehr oft, hier ziehe ich die ran. Das war 1997 beim ersten Auftreten von H5N1-Grippeviren. Das hat man sehr früh detektiert, da gab es Infektionen, das waren am Ende 17 Leute in Hong Kong, die sich da infiziert haben, sechs davon sind gestorben und dann hat man sofort auf diesen Lebendtiermärkten irgendwie ich glaube drei Millionen Hühner geschlachtet und getötet, damit die Verbreitung nicht mehr weitergehen konnte. Und das hat funktioniert. Also das Virus hat sich dann zwar irgendwie gehalten und kam dann Anfang der Zweitausender wieder, aber in diesem ersten Fall hat diese sehr schnelle Reaktion und die dann auch sehr drastische Reaktion dann tatsächlich gewirkt. #00:20:29-0#

I: Aber für so etwas haben Sie oder würden Sie immer Unterstützung auch äußern, auch, wenn es drastisch ist, ich meine, auch die Chinesen haben ja, zumindest nachdem es bekannt war, haben drastisch reagiert, haben Wuhan abgeriegelt, eine Millionenstadt und so weiter. Das muss dann aber auch so sein Ihrer Einschätzung nach, wenn so etwas auftritt, dann sofort aber richtig in die Bremse, oder? #00:20:49-0#

B: Je mehr man auf die Bremse tritt, umso mehr verhindert man, was dann nach hinten raus passiert, was wir ja jetzt sehen. Also da haben die Chinesen natürlich drastisch reagiert, aber aus meiner Sicht auch richtig reagiert und nur so kann man das dann eindämmen. #00:21:05-0#

I: Auf der anderen Seite, wir haben schon über die Überbevölkerung gesprochen, die Globalisierung, auch da, bleibe ich dabei, mir fehlt so ein bisschen so die Fantasie, wie das funktionieren soll in Großstädten wie Bombay oder so, so unkontrollierbare Städte, wenn da irgendwo was passiert oder wenn da irgendwo ein Virus überspringt. Wer soll das mitbekommen, vor allem, wer soll das stoppen? #00:21:26-0#

B: Also wir kennen ja so gewisse, da würde ich mal sagen Schlüsselevents. Und das sind eben Übertragungen auf Lebendtiermärkten. Und dann kann man ja ganz fokussiert da vorgehen und da quasi eine Überwachung machen, ein Monitoring und schauen, was da passiert. Man kann natürlich nicht irgendwie Untersuchungen in der Bevölkerung, von einer Stadtbevölkerung von fünf Millionen machen, wenn man da jeden testet und guckt, ob einer den anderen mit irgendwas angesteckt hat, das geht nicht. Aber man hat ja Kenntnis über die Quellen der Übertragung ungefähr und wie sich das dann weiter auf den Mensch überträgt und da wissen wir, dass gerade bei zoonotischen Erkrankungen die Populationsdichten, sage ich jetzt mal so wissenschaftlich, von Mensch und Tier ganz wichtig sind. Der einzelinfizierte Vogel, der macht noch nicht viel aus, auch nicht der einzelinfizierte Mensch, aber wo Cluster entstehen, wo die Übertragung sehr, sehr schnell vonstattengehen kann bei eben vielen Individuen, vielen Tieren, vielen Menschen, da hat man dann sehr schnell das Problem und wenn man da spezifisch schaut, was dort vor sich geht an Infektionsszenarien, dann kann man das eigentlich ganz gut (unv.) #00:22:39-0#

I: Das heißt, auch Sie würden das unterstützen, es gibt ja tatsächlich Stimmen, die sagen, das Verbot von sogenannten Wildtiermärkten, Sie sprechen immer von Lebendtiermärkten, ist die wichtigste Möglichkeit, Zoonosen zu verhindern. Das klingt so einfach, wir machen jetzt einfach die Wildtiermärkte zu und schon haben wir das Problem gelöst. So einfach wird es aber nicht sein, oder? #00:22:56-0#

B: So einfach ist das nicht, weil, solche Dinge gehören natürlich auch zum kulturellen Leben einer Nation. Also wir hier in Europa, wo wir so etwas nicht mehr haben, ja, wir können jetzt ja schlecht den Chinesen vorschreiben, wie sie ihre Märkte zu gestalten haben. Das ist dann auch ganz schwierig und man muss vielleicht dann auch mal an die Wurzeln gehen und fragen, warum gibt es denn diese Wild- und Lebendtiermärkte. Also Wildtiermärkte natürlich erst mal, weil man das Fleisch irgendwo herbekommen muss und Leute ihr Geld verdienen müssen und die jagen dann eben im Wilden. Das andere ist aber, die Tiere werden dort ja lebend verkauft, weil man zu wenig Konservierungsmöglichkeiten hat. Also vielleicht wäre es tatsächlich mal dann angeraten, in die etwas weniger entwickelten Regionen in China irgendwie mehr Gefriertruhen hinzubringen, ja, dass man einfach Fleisch auch einfrieren kann und konservieren kann. Man benutzt die ja als lebende Tiere, um einfach zu sehen, ja, denen geht es gut, also das ist nicht Fleisch, was irgendwie schon angegammelt ist, sondern das Tier lebt noch, also ist das dann, ja, irgendwie nicht kontagiös, was dann leider oft nicht der Fall ist, weil die Tiere dann auch infiziert sein können. #00:24:11-0#

I: Haben Sie denn den Eindruck, dass aktuell, ich nenne es mal etwas profan, die Welt über solche Lösungen nachdenkt, dass man versucht, Lehren daraus zu ziehen, dass man sagt, noch sind wir in der Pandemie, aber wir müssen uns jetzt schon Gedanken darüber machen, was für Lehren ziehen wir eigentlich daraus und beispielsweise, wie Sie sagen, mehr Konservierungsmöglichkeiten. Gibt es schon solche Überlegungen oder ist das noch zu weit weg, weil wir im Moment noch arg damit beschäftigt sind die Infektionszahlen im Rahmen zu halten? #00:24:37-0#

B: Also hinsichtlich einer besseren Überwachung gibt es tatsächlich schon genaue Vorstellungen. Es gab jetzt ja auch eine Gruppe der WHO, eine internationale Wissenschaftlergruppe, die nach China gereist ist, um dann eben mal genauer zu schauen, wie das Ganze vonstattengehen kann und da wird man dann natürlich auch Handlungsempfehlungen ableiten. Diese Geschichte mit man stellt Kühltruhen in die chinesische Provinz, das ist eher so vom Reißbrett noch, also man greift da ja ganz massiv in die Hoheiten von Nationen ein und das kann man natürlich so einfach nicht machen. Da ist im Vorfeld wahrscheinlich eine sehr lange Diskussion dann nötig, um am Ende vielleicht da Möglichkeiten zu finden. #00:25:24-0#

I: Und haben Sie denn den Eindruck, dass es auch den politischen Willen gibt, das war ja in Zusammenhang mit China eine viel und heftig diskutierte Frage auch, gibt es den politischen Willen sofort zu sagen, bei uns im Land gibt es eine Infektion, wir haben ein Problem, wir melden das sofort. Manche Staaten, ich will jetzt gar keine Namen nennen, haben ja vielleicht eher die Neigung zu sagen, bei uns ist alles in Ordnung, wir kennen keine Infektionen, wir haben keine Arbeitslosigkeit, Kriminalität sowieso nicht, aber auch keine Infektion. Also dieser politische Wille, der muss ja auch da sein, sonst hilft das ja alles nichts, oder? #00:25:57-0#

B: Das ist ganz richtig und da hat sich China in der Vergangenheit nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert, ja, sage ich mal. Da hat man versucht, sehr oft Dinge unter der Decke zu halten und hat im Grunde erst dann die Meldung rausgegeben als es fast schon zu spät war. Ich darf aber sagen, dass es jetzt hinsichtlich des Corona-Ausbruchs schon sehr, sehr viel besser war. Also vielleicht noch nicht optimal, aber die Chinesen haben sehr, sehr schnell international bekanntgegeben, dass sie da ein Problem haben und dann konnte man entsprechend da auch drauf reagieren. Und ja, man würde sich wünschen, dass das noch ein bisschen eher funktioniert und dann vielleicht auch, ja, noch ein bisschen freier in der Kommunikation, aber man ist da, denke ich, schon auf einem guten Weg, dass auch einfach in solchen Nationen, die sehr restriktiv mit Informationen umgehen, die Einsicht da ist, dass man in einem solchen Fall einfach nur über die internationale Kommunikation und internationale Reaktion auf diese Dinge dann agieren kann. #00:26:56-0#

I: Ich will auf keinen Fall mit etwas Dramatischem nachher unseren Podcast beenden, also kommen noch ein paar in Anführungsstrichen positive Fragen. Ich will Ihnen dennoch mal ein Zitat eines amerikanischen Evolutionsbiologen vorlesen, der hat gesagt: „Es gibt keinen biologischen Grund, warum zukünftige Epidemien nicht mehrere Hundertmillionen Menschen töten und den Planeten in eine jahrzehntelange Depression stürzen könnten.“ Das klingt schon arg heftig. Ist das für Sie reiner Alarmismus oder ist das tatsächlich eine Gefahr, wenn wir uns nicht jetzt tatsächlich eines Besseren besinnen, ein Frühwarnsystem aufbauen, unsere Gesundheitssysteme vorbereiten? Ist das, wenn wir das nicht machen würden, tatsächlich eine reale Gefahr, ein solch katastrophales Szenario? #00:27:40-0#

B: Die Chance, dass so was passiert, die Gefahr, dass so was passiert, ist absolut da, ja, vielleicht zu einem sehr, sehr geringen Prozentsatz. Es gibt aber auch die Gefahr, dass uns ein Meteor trifft auf der Erde, also diese Gefahr ist auch real und besteht. Ich sage mal, diese mal wirklich ganz hoch aggressiven Erreger, das kam ja in der Vergangenheit auch nur sehr, sehr selten vor, ich sage mal, die Pest war jetzt so was oder auch eben die Spanische Grippe und wenn man mal die Abstände da anguckt, die sind schon sehr, sehr groß. Also die gute Nachricht ist, dass es zwar häufiger Übertragungen von Tieren auf den Menschen gibt, einzelne Übertragungen, aber der zweite Schritt, dass sich so ein Erreger frei von Mensch zu Mensch verbreitet, das scheint nicht besonders häufig vorzukommen. #00:28:29-0#

I: Wenn ich da einhaken darf, Pest und Spanische Grippe, die lagen aber weit vor der gerade schon als Gefahr beschriebenen Globalisierung, das ist ja nun heute erst dazu, das heißt, diese Übertragungsmöglichkeit, auch die Geschwindigkeit ist natürlich im Vergleich zu vor hundert Jahren wesentlich größer, nicht? #00:28:45-0#

B: Das ist richtig. Vielleicht wäre sogar dieses neue Corona-Virus jetzt vor zweihundert, dreihundert Jahren überhaupt kein Problem gewesen, weil es sich lokal in China verhalten hätte, weil es diesen Austausch noch nicht so extrem gab. Ist jetzt reine Spekulation, aber diese ganzen Dinge, die im Zuge der Globalisierung hinzukommen, also sehr große Mobilität, sehr schnelles Reisen von A nach B, große Menschenansammlungen in Städten, das ist natürlich alles, was so einen Ausbruch vorantreibt. Und da müssen wir einfach hoffen, dass sämtliche Überwachungsmaßnahmen, die jetzt schon gemacht werden und dann in der Zukunft vielleicht noch intensiviert werden, dass die uns helfen auch dann aggressivere Erreger einfach frühzeitig zu erkennen. #00:29:35-0#

I: Wir haben ja alle mittlerweile begonnen, Herr Ludwig, auch darüber nachzudenken, welche Lehren wir aus dieser aktuellen Pandemie ziehen sollen. Ich will das mal auf drei, vier Gruppen einschränken und würde Sie da um eine Einschätzung bitten. Was sollten beispielsweise Politiker aus dieser Pandemie für eine Lehre ziehen? Nur Politiker, was kann man politisch gesehen besser machen, anders machen bei einer nächsten Pandemie? #00:29:58-0#

B: Ich finde, da sieht man sehr schön einfach, also um diese Antwort abzuleiten, sehr schön, wenn man auf verschiedene Länder schaut, wie Politiker damit umgegangen sind. Interessanterweise sind ja alle Populisten und Despoten irgendwie grandios gescheitert, was die Bewältigung der Krise anbetrifft. Also da können wir eigentlich fast schon sagen, man sollte sich so verhalten, wie man sich in Deutschland verhalten hat und tatsächlich dann auch mal parteipolitisches Kalkül, irgendwie Wählerschaften hier zu rekrutieren, das mal hinten anstellen, sondern wirklich einfach mal sagen, wir müssen alle gemeinsam an einem Strang ziehen und dann da erst mal die Krise bewältigen bevor wir uns hier gegenseitig wieder in Parteien bekämpfen. Also es gab natürlich diese oder jene Stilblüte in Deutschland, wo jetzt auch im Hinblick auf die Wahl jetzt schon so Positionierungen stattgefunden haben, aber im Großen und Ganzen haben wir doch ein sehr einheitliches Bild abgegeben und das sollte man für die Zukunft dann eben auch so beherzigen, dass es in dem Moment erst mal auf die Bewältigung der Krise ankommt, die muss man gemeinsam bewältigen und die muss man auch mit beherzten Maßnahmen bewältigen. Also Zaudern ist hier absolut fehl am Platze. #00:31:20-0#

I: Kommen wir auf die zweite Gruppe zu sprechen: Was könnte, sollte die Wirtschaft vielleicht aus dieser Pandemie für eine Lehre ziehen? #00:31:27-0#

B: Da ist im Grunde zu sagen, dass unsere globalwirtschaftlichen Verflechtungen, die ja als großer Segen gepriesen wurden, ja, oder solche Dinge wie Just-in-Time-Logistik, dass man quasi die Lager auf die Straße verlegt und erst dann Dinge, Ausgangsprodukte anliefern lässt, wenn man sie wirklich braucht. Damit haben viele Beratungsfirmen einen Haufen Geld verdient und haben sich auf die Schulter klopfen lassen. Man hat gesehen, dass das in dieser Situation absolut sträflich ist und dass wir jetzt dann durch diese ganzen Abhängigkeiten in einer Situation sitzen, dass die Wirtschaft tatsächlich da leidet. Also da sollte man insbesondere darauf achten, dass man für essentielle Dinge des täglichen Gebrauchs, aber auch zum Beispiel bei Schutzausrüstungen und solchen Dingen, dass man da zumindest einen Plan B hat, ja, oder sich dann eben auch besinnt darauf, dass man nicht unbedingt zu Billiglohntarifen in Bangladesch produzieren lassen muss, sondern dass wahrscheinlich der Bürger auch bereit wäre, für hohe Qualität auch ein bisschen mehr zu bezahlen. #00:32:35-0#

I: Aber auch eine bessere Bevorratung? Denn es gab ja zum Teil Engpässe, denken wir an die Masken, vielleicht in Krankenhäusern noch andere Dinge, das weiß ich nicht genau. Aber eine bessere Bevorratung, das wäre auch Ihr Plädoyer? #00:32:47-0#

B: Genau. Das geht ja so ein bisschen hin mit dieser Just-In-Time-Logistik. Man hat ja immer geglaubt, ja, wir brauchen uns da ein bisschen was auf das Lager zu legen, weil, wir können ja nächste Woche schon wieder neue bestellen. Das hat jetzt eben nicht mehr funktioniert, also da, gerade bei Schutzausrüstungen, muss man ein bisschen mehr bevorraten. Man darf es natürlich auch nicht übertreiben, das ist ähnlich wie mit dem Vorhalten beispielsweise von Intensivbetten in Kliniken. Wenn man sich auf das Worst-Case-Szenario vorbereiten wollte und dann hunderte von Intensivbetten vorhalten wollte, das ist natürlich nicht finanzierbar. Also hier muss man auch ein gewisses Maß finden und man muss dann einfach in dieses Risiko auch reingehen, dass es dann auch mal schlimmer kommen kann und dann muss man die entsprechenden Notfallpläne haben. #00:33:32-0#

I: Was können, um die letzte Gruppe zu nennen, wir Bürger, wir einfachen Bürger aus dieser Pandemie für eine Lehre ziehen oder mehrere vielleicht? Was können wir, jeder einzelne, beim nächsten Mal vielleicht anders oder besser machen? #00:33:43-0#

B: Also ich muss mal sagen, so ist ja Moment erst die Beobachtung, dass das Einhalten von Regeln und so, so ein bisschen bröckelt. Ja, der schöne Sommer und jetzt muss man da immer so eine Maske aufhaben und so. Es war aber lange Zeit wirklich so, dass sich alle sehr akkurat an Auflagen gehalten haben und das sollte man wahrscheinlich auch für die Zukunft erwarten, dass das so ist, dass der Bürger dann auch weiß, okay, unser Leben, wie wir es hatten, das ist nicht selbstgegeben, sondern das kann sich von einem Tag auf den anderen ändern und sobald man auch als Bürger da was tun kann, dann müssen wir alle mit an einem Strang ziehen. Und da war eine gute Solidarität, auch eine gute Einsicht da, dass wir alle gemeinsam hier was tun müssen. Das hat mir eigentlich ganz gut gefallen. Und wenn man mal so schaut, ich sage mal, die Gegner und Verschwörungstheoretiker, das ist ja wirklich eine kleine Anzahl an Leuten, die dem nachläuft. Das wird in den Medien immer so ein bisschen überhöht, weil, wenn da mal zwanzigtausend demonstrieren, das sind bei achtzig Millionen Menschen, sind das ja schon eher vernachlässigbare Zahlen. Nur die, die am lautesten schreien, die hört man. Also diese Solidarität, dass würde ich denken, dass man das gelernt hat und dass man das auch für die Zukunft wahrscheinlich so weitersieht. Eine andere Sache ist, wieder dieses ein bisschen bescheidener werden, und ich glaube, damit werden wir auch in unserer Wachstumsgesellschaft noch ein Problem bekommen, also Problem jetzt hinsichtlich immer steigender Wachstumsraten, weil sich viele jetzt wahrscheinlich darauf besonnen haben, ja, also ich brauche nicht irgendwie jedes Jahr ein neues Auto und ich muss nicht jedes Jahr nach Übersee in Urlaub fliegen, also im Sauerland ist es auch ganz schön. Also da glaube ich, hat es einige Einsichten gegeben und dass man eben irgendwie nicht mehr ständig konsumieren muss und nicht mehr alles braucht. Und ich finde das eigentlich eine gute Entwicklung, aber es kann uns natürlich wirtschaftlich dann auch eher wieder schaden. #00:35:49-0#

I: Und die Frage ist, wie dauerhaft das ist, ob das nicht in zehn Jahren dann doch wieder vorbei ist, auch dieses Bewusstsein, ja, klar, stimmt schon mit dem Sauerland, aber Taiwan ist eben auch toll und dann fliegen halt doch wieder alle quer durch die Welt und auch für Dienstreisen für einen Tag mal eben ganz kurz hierhin jetten. Aber das ist natürlich spekulativ. Ich will zum Schluss vielleicht auf einen anderen Punkt hinauskommen: Wir haben ja jetzt alle gelernt, dass Hygiene, mal ganz unabhängig von einer, wir sind ja in einer Pandemie, oder nicht, prinzipiell immer sehr, sehr wichtig ist. Glauben Sie, dass das wenigstens dauerhaft Bestand haben wird, dass wir beispielsweise beim Händewaschen möglicherweise jetzt auch dauerhaft ein schärferes Bewusstsein gewonnen haben, das tut einfach gut und es ist sinnvoll sich immer öfter die Hände zu waschen? #00:36:34-0#

B: Also ich hoffe, dass das ein bisschen/ //I: Das wäre auch Ihr Wunsch als Virologe?// Das wäre mein absoluter Wunsch, weil das ist ja natürlich auch, wenn man sich mal alte Plakate vom Robert-Koch-Institut vergegenwärtigt, da war das also im Winter für die grippalen Infekte oder die Grippe war das auch schon immer gefordert, eine bessere Handhygiene und so etwas. Also ich würde mir wünschen, dass das ein bisschen Bestand hat. Leider ist es so, dass oftmals aus den Augen aus dem Sinn. Wenn die Krise vorbei ist, fällt man sehr oft wieder in alte Schemata zurück. Da setze ich so ein bisschen auf die Kinder und auf die Jugend, für die ist das jetzt so ein bisschen in Fleisch und Blut übergegangen, dass man sich immer gut die Hände waschen muss und die denken dann wahrscheinlich in Zukunft gar nicht mehr darüber nach, sondern die machen das einfach. Und das ist ja unsere nachwachsende Generation, sodass man vielleicht die Hoffnung wirklich haben kann, dass sich dieses Bewusstsein einer besseren Hygiene und einer besseren Handhygiene dann ein bisschen hält. #00:37:32-0#

I: Sie haben auch schon von einem Kulturgut gesprochen in Zusammenhang mit den Wildtiermärkten in Asien. Eines unserer Kulturgüter, wenn man es so bezeichnen will, ist ja das Händeschütteln. Würden Sie sagen, naja, das wäre schon gut, wenn wir da langfristig drauf verzichten würden, wir müssen es vielleicht dann wie die Japaner machen, wir verbeugen uns einfach voreinander und gut ist? Oder glauben Sie auch, dass das Händeschütteln irgendwann wieder ganz normal sein wird, obwohl es vielleicht nicht ideal ist? #00:37:55-0#
B: Ja, da bin ich tatsächlich absolut zwiegespalten. Ja, also jetzt epidemiologisch, infektionsmedizinisch, wäre es natürlich gut aufs Händeschütteln zu verzichten, aber das ist tatsächlich ja ein essentieller Teil unserer Kultur und ich merke das jetzt schon, dass, wenn man in Gruppen ist, irgendwie hat man das Gefühl, man gibt seinem Gegenüber nicht mehr die entsprechende Aufmerksamkeit und das ist schon komisch jetzt. (unv.) #00:38:24-0#

I: Aber vielleicht ist das nur in der Übergangsphase so, jetzt ist es komisch, aber vielleicht ist es in zwei Jahren, wenn wir uns alle voreinander verbeugen, ist es dann wieder normal, oder? #00:38:32-0#

B: Ja, es mag sein, man muss schauen. Wir werden ja jetzt auch sehen wie lange wir noch auf Händeschütteln verzichten werden müssen, solange das Virus noch in der Welt ist. Je länger man sich dann an eine neue Situation gewöhnt, desto mehr geht das dann auch irgendwo in Fleisch und Blut über. Aber ich sehe das tatsächlich als ein bisschen problematisch im Moment noch, für mich ist das noch komisch und ich finde es im Umgang mit Menschen, in der Wertschätzung gegenüber anderen, das ist eben so ein kulturell festgelegtes Zeremoniell, das hätte man gar nicht gedacht, dass es einem irgendwie so seltsam vorkommt, aber das ist dann tatsächlich so. #00:39:15-0#

I: Ja, meine Damen und Herren, wir haben heute viel gelernt und gehört. Es ist natürlich noch nicht vorbei, das merken wir alle und möglicherweise stehen uns auch in Zukunft noch üblere Krankheiten und Pandemien bevor, die Zoonosen breiten sich aus, die Globalisierung ist da ein Faktor, der das Ganze entsprechend befördert. Aber es gibt auch durchaus Hoffnung, weil es Frühwarnsysteme gibt, weil die Wissenschaft dazulernt, weil Regierungen auch bereit sind, möglicherweise schnell die Welt zu warnen, insofern ein dann im Endeffekt doch relativ optimistischer Ausguck und dafür bedanke ich mich heute beim Direktor des Instituts für Molekulare Virologie an der Universität Münster, Professor Doktor Stephan Ludwig. Danke Ihnen sehr. #00:39:58-0#

B: Ich danke auch, vielen Dank für das Gespräch, hat viel Spaß gemacht. #00:40:01-0#