Digitale Methoden & Tools, Forschung

„Die Steine umdrehen, um zu sehen, ob die Ameisen darunter immer noch so laufen…“

Ludger Hiepel (li.) und Prof. Dr. Johannes Schnocks (re.) forschen zum Ijobbuch

Das SCDH arbeitet mit vielen verschiedenen Forschungsprojekten eng zusammen; einige davon stellen wir auf der DH-Website im Projektschaufenster vor. Um mehr über diese Projekte und ihre Hintergründe zu erfahren, werden wir in loser Folge Interviews mit den Projektverantwortlichen führen. Den Auftakt macht das Projekt zum Ijobbuch des Instituts für Biblische Exegese und Theologie (IBET).

Redaktion: Herr Hiepel, Prof. Dr. Schnocks, Sie treiben gerade das Projekt „Textzeugen des Ijobbuches“ voran. Worum geht es?

Prof. Dr. Schnocks: Das Ijobbuch ist ein biblisches Buch, in dem es um den Umgang mit menschlichem Leid geht. Das ist ein – damals wie heute – schwieriges Thema, und das merkt man dem Buch auch an, in seinen verschiedenen Überlieferungen in den verschiedenen Sprachen. Die wichtige Frage dabei ist: Wenn das Ijobbuch uns heute an einigen Stellen provokativ oder schwierig oder revolutionär vorkommt, haben das eigentlich antike Menschen auch so empfunden?

Um hier bessere Antworten geben zu können, schauen wir uns verschiedene antike Textzeugen an. Und das Interessante ist, dass wir mit den wenigen Beispielen, die wir bis jetzt untersucht haben, auf Stellen im Ijobbuch gestoßen sind, wo nicht nur die aramäische Übersetzung den Text an einigen Stellen offensichtlich anders widergeben will als man das mit einer normalen wörtlichen Übersetzung aus dem Hebräischen machen könnte, sondern dass an den gleichen Stellen auch schon die griechische Übersetzung Abweichungen aufweist. So haben wir den Eindruck, dass diese Stellen eben auch für antike Menschen schon sehr irritierend waren. Um das aber fundiert beurteilen zu können, muss man das flächendeckend für das gesamte Ijobbuch untersuchen. Und solche Arbeiten stehen speziell eben für die Targume noch nicht zur Verfügung.

Redaktion: Nochmal kurz zum Verständnis: Das Ijobbuch liegt in verschiedenen antiken Textformen vor. Es gibt den hebräischen Text, eine griechische Übersetzung und aramäische Texte, die sogenannten Targume.

Ludger Hiepel: Genau. Und dadurch, dass wir uns alle diese Texte flächendeckend anschauen, kommen wir besser dazu, auch die Übersetzungsweise zu verstehen. Und das können wir durch Kommentare dann deutlich machen und erklären: Was passiert da eigentlich? Was sind das für Techniken? Ergänzend wird es übrigens auch die deutschen Übersetzungen des Targum geben.

Schnocks: Wir haben also eine ganze Reihe von Textzeugen. Wenn man die aber auch noch immer mit Kommentaren und Übersetzungen versieht, wird es so unübersichtlich, dass man einen direkten Vergleich zum Beispiel in einer Druckform gar nicht mehr hinbekommt. Daher ist es auch ein Anliegen, das digital darzustellen: Je nach Fragestellung kann ich mir dann auch unterschiedliche Dinge nebeneinander anzeigen lassen.

Redaktion: Also durch Einblenden, Ausblenden, Übereinanderlegen, …

Schnocks: Ja, oder Umsortieren …

Hiepel: Insofern sprechen wir hier nicht nur von einem Präsentationstool, also von etwas, das dann am Ende fertig ist. Sondern der Prototyp, den wir entwickeln, dient auch schon der Erarbeitung der Ergebnisse: Ich kann nämlich die Texte nebeneinander legen und schauen, was passiert und das direkt im Kommentar dokumentieren. Also ist es nicht wie in anderen, klassischen Editionsprojekten, in denen es zum Beispiel Briefe und Kommentare zu diesen Briefen gibt, die ich „nur“ digital präsentieren möchte. Hier ist die Edition auch gleichzeitig das Tool zum Forschen. Letztlich geht das auch nur auf diese digitale Weise, denn die Unübersichtlichkeit herrscht schon auf jedem Bildschirm, wenn man so sechs Bücher nebeneinander hat.

Schnocks: Das übergeordnete Ziel ist eine Neukommentierung des Ijobbuches in einer sehr renommierten Reihe; in diesem Projekt leisten wir sozusagen essentielle Vorarbeiten für diese Kommentierung.

Redaktion: Welche Arbeiten sind schon erfolgt, welche stehen in der nächsten Zeit an?

Schnocks: Wie gesagt, wir haben solch interessante Abweichungen wie oben beschrieben gefunden. Und mit Herrn Lück [vom SCDH] konnten wir ein grundlegendes Konzept und erste Umsetzungen des Prototypen erarbeiten, die sehr vielversprechend sind. Hier profitieren wir sehr deutlich vom Stellenpooling am SCDH.
[Anm. der Redaktion: In Münster werden mittlerweile bei Drittmittelanträgen für Digital-Humanities-Projekte immer auch Anteile für die Software-Entwicklung berücksichtigt. Die so eingeworbenen Gelder werden in einem Pool zusammengeführt, aus dem 2023 eine erste unbefristete Poolingstelle für den Schwerpunktbereich Digitale Editionen eingerichtet wurde. Weitere Informationen]

Redaktion: Welche DH-Methoden und Tools kommen hierbei zum Einsatz?

Hiepel: Technisch gesehen haben wir es mit XML auf TEI-Basis zu tun, die Texte werden automatisch segmentiert, relational verknüpft und in unterschiedlichen Layern zur Verfügung gestellt. Außerdem kommt Oxygen zum Einsatz und Christian Lücks Erweiterungen von Oxygen, der TEI XPointer, den er selbst geschrieben hat.

der TEI-XPointer
Ein erster Eindruck des TEI-XPointer. Stellenkommentare werden in TEI mit Oxygen (links oben) erfasst. Dabei werden die Stellen der antiken Ijobfassungen per Kurzschreibweise in kanonischer Form referenziert (Hervorhebung). So referenziert z.B. mt:12.5.6 den Masoretentext (MT), Kapitel 12, Vers 5, Wort 6. Diese kanonisierte Kurzschreibweise wird hinter den Kulissen zu XPointern expandiert (links unten). Davon lassen sich verschiedene Ansichten erzeugen, z.B. eine Browser-Ansicht für Stellenkommentare (rechts oben) oder eine synoptische Ansicht der untersuchten Texte mit Hervorhebung der bereits kommentierten Passagen (rechts unten).

Redaktion: Wie lang wird das Projekt voraussichtlich dauern?

Schnocks: Drei Jahre sind für die eigentliche Bearbeitung gedacht, aber wenn man das DH-mäßig fragt, ist eigentlich ja die Hoffnung, dass hier ein Tool für die Zukunft entsteht, das auch immer noch weiter verwendet wird. Es gibt hier im Haus und auch im Fachbereich 01 [Evangelische Theologie] bereits Ideen, was man mit dem Tool machen kann. Außerdem gibt es in Göttingen ein verwandtes Projekt, das noch im Antragsstadium ist, bei dem auch die Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen beteiligt ist. Je nachdem, wie die Entwicklungen laufen, könnte es sein, dass Kolleg*innen, die dort beteiligt sind, auf unser Tool zurückgreifen. Wir werden sehen, wie sich die verschiedenen Ansätze entwickeln.

Redaktion: Wer ist an ihrem Projekt beteiligt oder soll beteiligt werden?

Schnocks: Bis jetzt sind wir im Anfangsstadium, so dass erst einmal nur das Institut für Biblische Exegese und Theologie (IBET) beteiligt ist. Kooperationen sind denkbar mit den Institutionen, die wir gerade schon angesprochen haben, also mit anderen Exegetinnen und Exegeten vor Ort und in Göttingen. Und natürlich ist das SCDH ganz zentral beteiligt.

Hiepel: Denn ohne den Prototypen haben wir eigentlich keine Chance, dass das Projekt bewilligt wird.

Schnocks: Das war mein Eindruck und die klare Rückmeldung vom SCDH vor vier Jahren: Für die technische Seite braucht es mindestens so viel Geld wie für die inhaltliche Seite.

Redaktion: Da sind wir dann schon beim Stichwort Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) …

Schnocks: Ja, im Moment wird das Ganze aus Eigenmitteln finanziert, in der Hoffnung, dass so ein DFG-Antrag möglich und erfolgreich wird. Und wenn tatsächlich der DFG-Antrag bewilligt wird und wir dann zeigen können, dass das mit den Ijob-Targumen zu einem sinnvollen Ergebnis führt, können wir den Schritt hin zu einer allgemein verfügbaren Bibelwissenschaftsplattform wagen. Das Geld dafür zu bekommen, dürfte auf einer solchen Basis dann nicht mehr ganz so schwierig sein.
Aber das ist jetzt eigentlich gar nicht der Fokus. Mein Fokus ist, dass ich am Ende einen wirklich innovativen Kommentar schreiben kann zu einem Buch, das inzwischen seit 2000 Jahren kommentiert wird. Innovativ heißt dann: mit unseren Fragen für unsere Zeit. Und dann gilt, was auch andere schon gesagt haben: „Es lohnt sich, die Steine immer mal wieder neu umzudrehen, um zu sehen, ob die Ameisen darunter immer noch genauso laufen.“

Redaktion: Das ist ein schönes Zitat.

Schnocks: Ja, wir legen die biblischen Texte jeweils für unsere Generation aus. Und mit Leid geht die Menschheit um, seit es sie gibt, aber wir gehen in unserer Zeit mit dem Leid auch nochmal anders um. Und da gibt es, glaube ich, schon einen Punkt, zu dem es sich zu forschen lohnt.

Redaktion: Gibt es schon Ergebnisse oder Angebote, auf die Sie Interessierte verweisen können?

Hiepel: Es gibt ein Poster und eine Präsentation zum Projekt, das wir im Rahmen des letzten DH-Tags in Münster vorgestellt haben. Und Christian Lück hat den TEI XPointer, also die Oxygen-Erweiterung, bei der TEI-Konferenz „Encoding Cultures“ am 8. September in Paderborn vorgestellt.

Redaktion: Herr Schnocks, Herr Hiepel, vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen und dem Projekt alles Gute und sind schon gespannt, wie es weitergeht.

Ergänzung der Redaktion:
Auch die Implementierung der XPointer ist öffentlich zugänglich, und zwar in Git.

1 Kommentare

  1. Lucy Toma. sagt

    We appreciate Mr. Schnocks and Mr. Hiepel’s contributions to the fundamental idea and early applications of „suffering“ in the Book of Job. Human pain will never cease on our Mother Earth, yet there is always hope for those who are „suffering.“

    How much money is needed for this project?

    Wish you all the best for this project and good luck.

Kommentare sind geschlossen.