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Eine Testperson geht auf einem Laufband durch eine virtuelle Welt. Das Gerät ermöglicht eine detaillierte Gang- und Freezinganalyse.<address>© Arbeitsbereich Neuromotorik und Training - Robert Stojan</address>
Auf dem Großgerät GRAIL („Gait Real-time Analysis Interactive Lab“) geht eine Testperson auf einem Laufband durch eine virtuelle Welt. Das Gerät ermöglicht eine detaillierte Gang- und Freezinganalyse.
© Arbeitsbereich Neuromotorik und Training - Robert Stojan

Wenn die Füße am Boden zu kleben scheinen

Studie zum „Freezing of Gait“ soll Betroffenen mithilfe von Socken helfen

Bei Volkskrankheiten wie Diabetes, Krebs oder Parkinson ist ein großer Anteil der Forschungsaktivitäten in der Medizin oder der Pharmakologie beheimatet. Bei der Prävention und dem Umgang mit alltäglichen Symptomen spielen aber auch andere Forschungszweige eine wichtige Rolle. Am Institut für Sportwissenschaft, genauer in der Neuromotorik, erforschen Prof. Dr. Claudia Voelcker-Rehage und ihr Team das sogenannte „Freezing of Gait“ – eine temporäre Gangstörung, die vor allem im fortgeschrittenen Stadium der Parkinsonerkrankung auftritt. „Die Patientinnen und Patienten haben plötzlich das Gefühl, dass ihre Füße am Boden festkleben – ihr Gang friert ein“, erklärt die Wissenschaftlerin. Diese Störung beeinflusse in hohem Maß die Mobilität, könne zu Stürzen führen und sich negativ auf die Lebensqualität auswirken. Das Team erforscht, welche Rolle sensorische Reize in Form von vibrierenden Socken dabei spielen könnten, das Freezing zu verhindern oder aufzulösen.

Das Projekt ist eine EU-Kooperation, die an der Uni Münster koordiniert wird. Forschende aus den Niederlanden und Münster gehen darin der Frage nach, wodurch das Freezing ausgelöst wird und wie es sich verhindern lässt. Das Projekt erhielt 2022 den „Collaboration Grant“ der Universitätsleitungen Münster und Twente. „Medikamentöse Behandlungen bringen wenig nachhaltige Erfolge gegen das Freezing. Eine wirkungsvolle zusätzliche Maßnahme scheint das Cueing zu sein“, betont sie. Dabei werden externe sensorische Reize (englisch Cues) genutzt, um eine Bewegung einzuleiten oder fortzusetzen. Diese Stimulationen können visuell, taktil oder akustisch sein. Studien haben ergeben, dass ein auf den Boden gemaltes Schachbrettmuster Betroffenen helfen kann, ihre Schritte besser zu takten. Auch akustische Rhythmen erfüllen diesen Zweck. „Was Betroffenen hilft, ist individuell verschieden“, weiß Dr. Robert Stojan aus dem münsterschen Team. Das taktile Cueing, das durch die vibrierenden Socken erzeugt wird, habe den Vorteil, dass es weder sichtbar noch hörbar und somit eine sehr diskrete Methode ist.

In den vibrierenden Socken soll, vereinfacht ausgedrückt, das System lernen, die Anzeichen des Freezings zu erkennen und ein Signal an einen kleinen Motor senden. Dieser gibt Vibrationen an den Fuß ab. Im besten Fall wird das Freezing durch diesen Vorgang verhindert oder aufgelöst. „Wir wollen die Wirksamkeit der Socken in realitätsnahen Szenarien nachweisen und erkennen, wo es Ansatzpunkte zur Verbesserung gibt – und herausfinden, warum das Freezing überhaupt entsteht“, erläutert Robert Stojan. Die Frage nach den Ursachen und Indikatoren des Freezings konnte bislang weder in der Hirnforschung noch in der Medizin oder der Bewegungswissenschaft geklärt werden. Die münstersche Messmethodik soll zur Lösung des Rätsels beitragen.

Die hochmoderne technische Ausstattung im Bewegungslabor bildet alltagsähnliche Situationen ab. Derzeit durchlaufen Probandinnen und Probanden verschiedene virtuelle Szenarien auf einem riesigen gebogenen 180-Grad-Bildschirm. Auf dem Großgerät GRAIL („Gait Real-time Analysis Interactive Lab“) gehen die Betroffenen über ein Laufband. Ein integriertes Analysesystem mit hochauflösenden Kameras und Kraftmessplatten ermöglicht eine detaillierte Gang- und Freezinganalyse. Gleichzeitig werden ihre Gehirnaktivität sowie Veränderungen im Sauerstoffgehalt des Blutes im Gehirn aufgezeichnet.

Am Ende der Forschungsarbeiten sollen die „Vibrating Socks“ von einem Medizintechnik-Unternehmen „marktreif“ sein. „Auch wenn die tatsächliche Anwendung das übergeordnete Ziel ist, interessiert uns als Forscher vor allem die wissenschaftliche Erkenntnis“, betont Claudia Voelcker-Rehage. Auf dem Weg zum besseren Verständnis des Freezings macht das münstersche Team gerade große Schritte. Erste Ergebnisse belegen eine gute Anwendung und Nutzbarkeit der vibrierenden Socken sowie positive Effekte auf das Freezing bei einem Teil der Betroffenen. Endgültige Ergebnisse erwartet das Team Ende des Jahres.

Autorin: Hanna Dieckmann

Dieser Artikel ist Teil einer Themenseite zur Parkinsonforschung und stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 1. Oktober 2025.

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