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Münster (upm)
Hautmilzbrand – wie an diesem Wachsmodell zu sehen – kommt heute nur noch selten vor. Deshalb seien die Moulagen auch für die universitäre Lehre wertvoll, betont Sammlungsleiterin Prof. Dr. Dr. Sonja Ständer.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Hautmilzbrand – wie an diesem Wachsmodell zu sehen – kommt heute nur noch selten vor. Deshalb seien die Moulagen auch für die universitäre Lehre wertvoll, betont Sammlungsleiterin Prof. Dr. Dr. Sonja Ständer.
© WWU - Peter Leßmann

Für die Ewigkeit eingefroren

Abschluss der Serie über die Sammlungen an der WWU: Wachsmodelle zeigen Infektionskrankheiten wie Pocken oder Hautmilzbrand

Das Gesicht des Mannes ist auf den Wangen, der Nase und Stirn großflächig mit roten Flecken übersät. Die restliche Haut hat ein natürliches Aussehen. Wimpern, Augenbrauen und Schnäuzer sehen zum Verwechseln echt aus. Die Augen des Patienten sind geschlossen. Seine Krankheit heißt Lupuserythematodes. Es ist eine seltene Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Immunsystem fehlreguliert ist und gesunde Zellen angegriffen werden. Eine Folge dieser Erkrankung ist die Schädigung der Haut. In den weißen, von außen unscheinbar wirkenden Sammlungsschränken in der Klinik für Hautkrankheiten des Universitätsklinikums Münster (UKM) sind neben dieser Moulage 120 weitere Modelle untergebracht. Sie zeigen überwiegend Infektionskrankheiten wie Hautdiphterie, Pocken oder Hautmilzbrand.

Moulagen sind dreidimensionale, in Form, Farbe und Maßstab naturgetreue Nachbildungen von Hauterkrankungen. Sie sind aus Wachs – und haben heute Seltenheitswert. "Solche Hautkrankheiten gibt es hier nicht mehr. Deshalb lernen wir von den Modellen, wie die Krankheiten aussehen. In den Lehrbüchern findet man davon keine Fotos", erklärt Prof. Dr. Dr. Sonja Ständer, leitende Oberärztin an der Klinik für Hautkrankheiten des UKM.

"Wir nutzen die Moulagen im Unterricht, um den Studierenden seltene Krankheiten zu zeigen."

Die ersten Moulagen gelangten mit Alfred Stühmer, dem ersten Direktor des 1925 neu gegründeten dermatologischen Lehrstuhls, an die münstersche Hautklinik. Er brachte sie aus Breslau und Freiburg mit, wo er zuvor lehrte. Seine Nachfolger erweiterten die Sammlung. Da die Klinik nie einen fest angestellten Mouleur hatte, wurden weitere Exponate von anderen Kliniken und aus Moulagenwerkstätten hinzugekauft. Von August bis Oktober 1953 erstellte die freiberuflich tätige Mouleurin Elsbeth Stoiber an der Hautklinik des UKM als erste und einzige Mouleurin vor Ort sechs Modelle und restaurierte einige der bereits vorhandenen. "Die Klinikdirektoren haben die Moulagen wie einen Schatz gehütet und gepflegt", betont Sonja Ständer, die heute für die Sammlung verantwortlich ist. Moulagen wurden seit dem 19. Jahrhundert in zahlreichen Universitäten als Anschauungsobjekte in der Lehre der Anatomie eingesetzt – besonders im Fach Dermatologie. Zusätzlich dienten sie bis in die 1940er-Jahre als Vorlagen für Abbildungen in dermatologischen Lehrbüchern und Atlanten. Die dargestellten Krankheiten der münsterschen Sammlung veranschaulichen die Diagnosen der Patienten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Ab den 1960er-Jahren lösten auch an der münsterschen Hautklinik Fotografien die Moulagen ab. Fotos sind nicht nur leichter anzufertigen, sie sind auch günstiger und platzsparender zu archivieren. Zunächst waren die Modelle noch vor einem Hörsaal im Klinikgebäude ausgestellt. Aus Platzgründen wurde die Sammlung in den 1970er-Jahren jedoch in den Keller aussortiert und geriet in Vergessenheit. Erst 1980 entdeckten Mitarbeiter auf der Suche nach Kellerräumen mehrere Kartons mit den Wachsmodellen wieder. Die Hälfte der Moulagen kam 1983 in Glasvitrinen in der Bibliothek der Hautklinik unter. Die restlichen Exponate lagerten sorgfältig verpackt weiterhin im Keller. Anlässlich des 75-jährigen Jubiläums der Hautklinik im Jahr 2000 erhielt die Sammlung einen neuen Platz: In einer unscheinbaren weißen Schrankwand hinter dem Hörsaal der Hautklinik sind die Modelle nun untergebracht und katalogisiert. Seither sind die Moulagen wieder fester Bestandteil der universitären Lehre. "Wir nutzen sie im Unterricht, um den Studierenden heute seltene Krankheiten zu zeigen", erläutert Sonja Ständer.

Die Mouleurin Elsbeth Stoiber war im April 2004 erneut in der Klinik für Hautkrankheiten zu Gast. Anlass war das Treffen der Arbeitsgemeinschaft Geschichte der Dermatologie und Venerologie in Münster. Bei dieser Veranstaltung restaurierte sie nicht nur von ihr gefertigte Moulagen, sie übereichte Sonja Ständer auch ein handgeschriebenes Rezept für die Herstellung der Modelle. "1000 Gramm reines gebleichtes Bienenwachs im Wasserbad verflüssigen, 150 Gramm Dammarharz-Pulver einrühren, viele Stunden lang verrühren ...": So lauten die ersten Zeilen der Anleitung. Dieser Zettel hängt jetzt in einem Sammlungsschrank und ist eine Besonderheit. Denn die Zusammensetzung der Wachsmischung verraten Mouleure meistens nicht. Deshalb lauten die letzten Worte auf dem Stück Papier: "Rezept nach alter Tradition geheim halten!!! Letzte Geheimnisträgerin Elsbeth Stoiber". Heutzutage werden nur noch selten und fast ausschließlich in Zürich Moulagen angefertigt. Elsbeth Stoiber ist die letzte Mouleurin von internationalem Ruf. Neben ihrer Tätigkeit in Münster in den 1950er-Jahren stellte sie unter anderem auch Modelle für verschiedene Kliniken in Indien her. Ab 1956 war Elsbeth Stoiber, die inzwischen verstorben ist, bis 1998 in der Zürcher Hautklinik tätig.

Dermatologische Moulagen werden durch einen Gipsabdruck vom Patienten angefertigt. Der Mouleur färbt die Wachsmischung in der Hautfarbe des Kranken ein und gießt damit den Abdruck aus. Die Oberfläche wird anschließend je nach Krankheitsbild eingefärbt und bemalt, Schuppen oder Blasen detailgetreu modelliert. Haare, Bartstoppeln, Wimpern und Augenbrauen setzt der Mouleur einzeln. Besonders Tierhaare eignen sich dafür. Elsbeth Stoiber verwendete häufig Haare ihrer Pudel. Ist die Moulage fertiggestellt, wird sie auf ein schwarzes Holzbrett aufgeschmolzen und mit weißem Leinen umrahmt.

Auch wenn es mit der digitalen Fotografie mittlerweile einfachere Möglichkeiten gibt, Hautkrankheiten zu dokumentieren, ist Sonja Ständer bis heute von der Moulagensammlung fasziniert: "Die Geschichte der Menschheit wird für die Ewigkeit eingefroren – Fotos können das nicht. Und die Menschen hinter den abgebildeten Krankheiten hat es alle gegeben."

Autorin: Kathrin Nolte

 

Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 4, Juni / Juli 2018.

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