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Münster (upm/kk)
Das Gespräch mit den Vertretern der drei Antragsteller (v.l.n.r.): Prof. Dr. Mario Ohlberger, Prof. Dr. Lydia Sorokin und Prof. Dr. Detlef Pollack© WWU - Peter Leßmann
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Die Sprecher der Exzellenzcluster-Anträge im Gespräch mit der WWU-Pressestelle

"Es ist so viel in Gang gekommen."

Der erste Schritt ist erledigt: Die jeweiligen Sprecher haben die Anträge für drei Exzellenzcluster abgegeben. Jetzt folgt die Begutachtung, am 27. September fällt die Entscheidung. Die Inhalte der drei Anträge sind natürlich geheim. Dr. Kathrin Kottke sprach mit den Vertretern der drei Antragsteller, Prof. Dr. Lydia Sorokin, Prof. Dr. Detlef Pollack und Prof. Dr. Mario Ohlberger, über Freuden und Mühen des Schreibprozesses und über die Herausforderung, den Überblick zu behalten.

Nachdem Sie die letzten Wochen und Monate intensiv an den Anträgen gearbeitet haben, waren Sie am Tag der Abgabe sicher erleichtert. Sind die Korken anschließend geflogen?

Sorokin: Zum Feiern blieb leider keine Zeit. Am Tag der Abgabe waren wir alle fix und fertig, aber mussten unmittelbar mit den Vorbereitungen für die Präsentation vor den Gutachtern beginnen, die bereits Ende April ansteht.

Ohlberger: Kurz vor der Abgabe wurde es noch mal hektisch. Wir benötigten noch die finale Unterschrift des Rektors. Ich bin also schnell mit dem Rad zum Schloss geflitzt, mit dem Einschreiben weiter zur Post und habe im Anschluss meinen Sohn von der Schule abgeholt. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich den Antrag tatsächlich gedanklich abgehakt.

Pollack: Für mich verlief der Tag der Abgabe relativ unspektakulär. Eine Kollegin war jedoch mit ihren Nerven am Ende, da es zunächst große Probleme mit dem Druck des Antrags gab. Aber auch die haben sich zum Glück beheben lassen.

Wie haben Sie die Vorbereitungen und den Schreibprozess organisiert und koordiniert?

Pollack: Wir legen viel Wert auf Partizipation und demokratische Verfahren. Vor allem in den letzten anderthalb Jahren haben wir uns regelmäßig getroffen und diskutiert. Dazu hatten wir eine sogenannte Task Force eingerichtet, die die Vorbereitungen gelenkt und koordiniert hat. Zusätzlich gab es spezielle Cluster-Tage, an denen alle beteiligten Arbeitsgruppen ihre Ideen eingebracht haben. Den Schreibprozess selbst habe ich federführend übernommen. Schließlich hat eine kleine Gruppe auf den finalen Antrag geprüft und noch einmal gründlich umgepflügt. Sehr zu meinem Leidwesen… (lacht).

Ohlberger: Die Aufgabenverteilung war bei uns klar strukturiert. Unsere Forschung gliedert sich in drei Forschungsgebiete, die in neun Arbeitsgruppen zerfallen. Für jede Arbeitsgruppe gab es eine verantwortliche Person, die die Koordination und das Schreiben der Inhalte übernommen hat. Bereits Ende Dezember letzten Jahres hatten wir eine erste Lesefassung erstellt und an das Rektorat geschickt. Wir haben schließlich alle Anmerkungen eingearbeitet und erneut an alle Arbeitsgruppen zurückgespiegelt.

Sorokin: Bei uns lief es ähnlich. Wir haben vier Forschungsgebiete mit jeweils vier Arbeitsgruppen. Die größte Gruppe bestand aus 17 Personen. Jede Arbeitsgruppe hat drei Koordinatoren, die die Inhalte geschrieben haben. Anschließend haben wir – Volker Gerke, Michael Schäfers und ich – alle Informationen gesammelt und diese verfeinert und verbessert – natürlich immer in Absprache mit den jeweiligen Arbeitsgruppen.

Es ging also auch um viel Koordination. Konnten Sie die Vielzahl an Beiträgen aus den Arbeitsgruppen überhaupt berücksichtigen?

Sorokin: Nach fünf Jahren Arbeit im Exzellenzcluster hatten wir eine Richtung vorgegeben. Wir wissen genau, was wir erreichen wollen und was wir davon noch nicht erreicht haben. Im August 2016 haben wir deswegen eine Cluster-Tagung veranstaltet und dabei gemeinsam konkrete Vorschläge für die Arbeitsgruppen entwickelt. Darauf aufbauend haben die jeweiligen Gruppen gearbeitet. Darüber hinaus standen wir im regelmäßigen Austausch mit unserem externen Beirat, der uns ebenfalls Empfehlungen gegeben hat. Das war uns besonders wichtig, da wir sehr interdisziplinär aufgestellt sind und dadurch nochmal eine externe Perspektive einholen konnten. Ich bin mir sicher, dass alle zufrieden sind, wie es gelaufen ist und welche Forschungsinhalte im Antrag berücksichtigt wurden.

Pollack: Das ist bei uns etwas anders gelaufen. In der ersten Phase der Vorbereitung waren sehr viele Personen beteiligt und involviert. Wir haben beispielsweise einen Ideenwettbewerb durchgeführt, in den sich die beteiligten Fakultäten einbrachten. Insgesamt wurden 120 Skizzen aus den Sozial- und Kulturwissenschaften, den Rechtswissenschaften, den Theologien, der Islamwissenschaft und Judaistik entwickelt, und ich habe mehr als 1000 Seiten Text erhalten. Insgesamt stehen für den Exzellenzclusterantrag aber nur 120 Seiten für die Beschreibung der Forschungsinhalte und Clusterstruktur zur Verfügung. Man kann sich vorstellen, dass nach einer Cluster-Laufzeit von mittlerweile zehn Jahren sehr viele Forschungsinhalte und neue Ideen entstehen. Das war erfreulich, andererseits gab es mehr Beiträge als wir im Antrag berücksichtigen konnten.

Ohlberger: Da dies unser erster Exzellenzclusterantrag ist, mussten wir keine Erwartungen von Kollegen erfüllen. Ohne diesen Druck konnten wir anders agieren. Nachdem wir zum Vollantrag aufgefordert wurden, haben wir einen Workshop mit allen Beteiligten veranstaltet, um Ideen zu konkretisieren. Zusätzlich hatten wir gute Vorarbeiten geleistet, da der Sonderforschungsbereich in der reinen Mathematik gerade in die Verlängerung ging. Daher gab es bereits eine inhaltliche Abstimmung im Rahmen des SFBs, was wir als Ausgangspunkt für den Clusterantrag gut nutzen konnten. Zudem kennen wir uns sehr gut innerhalb des Fachbereichs Mathematik. Das ist vermutlich ein Vorteil für die Absprachen im Vergleich zu den beiden bestehenden Clustern, an denen viele Personen und Fakultäten beteiligt sind.

Was waren für Sie die größten Herausforderungen während der letzten Monate?

Pollack: Die Balance zu halten zwischen Innen- und Außensicht, also zu dem zu stehen, was ich als Wissenschaftler gut kann, was ich möchte und was mich interessiert, und gleichzeitig die Sicht der potenziellen Gutachter zu berücksichtigen. Ich wusste nicht genau, wie stark ich mich auf diese Außenperspektive einlassen soll. Das ist in unserem Fach besonders schwierig, da bereits Grundbegriffe wie Gesellschaft, Politik und Religion sehr umstritten sind.

Ohlberger: In der Mathematik mussten wir zunächst klären, ob wir überhaupt einen Antrag stellen. Bei den vielen Anträgen, die wir in jüngster Zeit schreiben mussten, gab es zunächst keinen großen Enthusiasmus für die Konzeption eines weiteren Großantrages. Wir sind ja in erster Linie Forscher und Lehrende. Aber in dem Maße, in dem sich in vielen Gesprächen ein übergreifendes wissenschaftliches Konzept entwickelte, stieg auch das Interesse, und die Zusammenarbeit war reibungslos.

Sorokin: Wir wussten, dass wir schon viele, aber noch nicht alle Forschungsziele erreicht haben. Wir mussten also prüfen, was ohnehin noch auf unserer Ziele-Liste steht und welche neue Richtung wir einschlagen. Das war schwer zu entscheiden, da es so viele spannende Forschungsfragen gibt.

Und gleichzeitig galt es, die Konkurrenz zu beobachten?

Pollack: Natürlich. Aber man erfährt nicht viel, da sich auch die Kollegen verständlicherweise bedeckt halten. Auch wenn man die thematischen Schwerpunkte nicht kennt, kennt man allerdings die Personen und die jeweiligen Forschungsstärken. Natürlich stellt man Vergleiche an und fragt sich, ob und wie man mithalten kann. Keine Frage: Es gibt auch in der Exzellenzstrategie, wie in der Wissenschaft überhaupt, Wettkampf- und Konkurrenzgedanken. Auch ich kämpfe zuweilen leidenschaftlich für das, was ich vertrete.

Sorokin: Alle Wissenschaftler sind emotional bezüglich ihrer Wissenschaft. Ich begutachte so viele Anträge und weiß genau, welche Wissenschaftler zu welchen Themen forschen und mit welchen Antragsinhalten wir konkurrieren. Ich habe trotzdem das Gefühl, dass alle sehr hilfsbereit und freundlich sind. Natürlich wollen und brauchen alle diese Förderung. Es macht einen großen Unterschied für unsere Zukunft, wenn wir sie nicht erhalten.

Ohlberger: Auch wir pflegen einen kollegialen und fairen Umgang mit den Kollegen außerhalb der WWU. Die Kollegen der Universität Bonn beispielsweise sind einerseits Konkurrenten. Andererseits kooperieren wir mit ihnen und fördern gegenseitig den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Trotz der Anspannung und Arbeit: Welche Aspekte haben Sie während der Antragsphase als besonders positiv wahrgenommen?

Pollack: Den gegenseitigen Respekt unter den Kollegen. Das Gefühl, dass ich mit guten Leuten zusammenarbeite und wir uns gegenseitig schätzen – das hat mich stark motiviert. In den letzten 18 Monaten, in denen wir an dem Antrag gearbeitet haben, habe ich sehr viel von meinen Kollegen gelernt. Ich war erstaunt, wie reich unser Cluster an Einsichten und Erfahrungen ist. Vorher war mir jedenfalls nicht so klar, dass wir so viel zu bieten haben.

Sorokin: Das war bei uns ähnlich. Unser Team hat sehr gut zusammengearbeitet, was bei uns dauerhaft eine positive Stimmung erzeugt hat. Egal, ob Arbeitsgruppenleiter oder Nachwuchswissenschaftler: Jede Position und jede Rolle ist uns wichtig.

Ohlberger: Für mich war die Zusammenarbeit mit meinem Kollegen Christopher Deninger sehr prägend. Wir haben uns perfekt ergänzt. Er kennt die Leute in der reinen Mathematik wirklich bis aufs i-Tüpfelchen und ist hervorragend vernetzt. Ich kenne dafür die angewandte Seite der Mathematik sehr gut. Wir sind beide sehr integrierende Persönlichkeiten und konnten alle Beteiligten dadurch mitnehmen. Es ist so viel durch die Gespräche der letzten Monate in Gang gekommen. Das zahlt sich auf jeden Fall aus – egal, was kommt.

Was sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl mit Blick auf den Tag der Entscheidung?

Ohlberger: Ich mache mir darüber, ehrlich gesagt, keine Gedanken. Das Entscheidende ist, dass wir guten Gewissens sagen können: Wir haben unser Bestes gegeben.

Pollack: Bei mir ist Unsicherheit das dominante Gefühl, da es ein starkes politisches Interesse am Thema Religion und Politik gibt und die Antragsförderung auch eine politische Entscheidung ist.

Sorokin: Auch wenn ich Wissenschaftlerin bin: Ich bin abergläubisch. Daher kann und will ich keine Einschätzung abgeben. Wir haben natürlich einen Plan B. Immerhin hat man sehr viel Zeit und Energie in die Anträge gesteckt. Aber ich hoffe, dass wir den nicht brauchen.

 

Informationen zu den Antragsstellern und den drei Exzellenzclustern:

Prof. Dr. Detlef Pollack ist Professor für Religionssoziologie am Institut für Soziologie an der WWU. Er ist gemeinsam mit Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger Sprecher des Exzellenzclusters „Religion und Politik“. Rund 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als 20 Fächern der Geistes- und Sozialwissenschaften untersuchen seit 2007 das Verhältnis von Religion und Politik quer durch die Epochen und Kulturen.

Prof. Dr. Lydia Sorokin ist Professorin für Pathobiochemie und leitet das Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie an der WWU. Sie ist Sprecherin des Exzellenzclusters „Cells in Motion“ und koordiniert den Verbund gemeinsam mit Prof. Dr. Volker Gerke und Prof. Dr. Michael Schäfers. Mehr als 90 Forschungsgruppen aus fünf Fakultäten der WWU und aus dem Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster erforschen seit 2012 das Zusammenspiel von Zellen in Organismen.

Prof. Dr. Mario Ohlberger ist Professor für Angewandte Mathematik am Institut für Analysis und Numerik an der WWU. Er ist zusammen mit Prof. Dr. Christopher Deninger Sprecher des Cluster-Antrags „Mathematik Münster: Dynamik, Geometrie, Struktur“. Im Cluster werden bedeutende mathematische Fragen unter den folgenden drei Herangehensweisen betrachtet: Die Identifikation der verborgenen Strukturen, deren geometrische Betrachtung und die Analyse der zugehörigen Dynamiken.

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