
Von 2D-Materialien und „Nano-Erdbeben“
100 Jahre Quantenmechanik – das Jubiläum dieser physikalischen Theorie, die von Werner Heisenberg 1925 veröffentlicht wurde, wird in diesem Jahr weltweit gefeiert. Die Quantenmechanik ist Grundlage zahlloser Forschungsprojekte. Zwei Physikerinnen der Universität Münster geben Einblicke in ihre Forschung.
Anika Schlenhoff erforscht ultradünne 2D-Materialien
Die Grundlagenforschung spielt eine entscheidende Rolle für die Entwicklung immer kleinerer, effizienterer elektronischer Geräte wie beispielsweise Speicherchips für Computer oder Handys. Je kleiner die Bauteile wie Transistoren oder Speicherzellen werden, desto wichtiger wird das Wissen darüber, wie sich elektronische oder magnetische Materialeigenschaften durch die geringen Abmessungen ändern oder sogar modifizieren lassen. Am Physikalischen Institut leisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hierzu wichtige Beiträge.
Eine von ihnen ist Prof. Dr. Anika Schlenhoff. Ihre Arbeitsgruppe erforscht Nano- und Hybridstrukturen aus verschiedenen, ultradünnen 2D-Materialien, zum Beispiel Graphen in Verbindung mit einer Lage magnetischen Eisens oder halbleitenden Molybdändisulfids. Diese 2D-Materialien unterscheiden sich deutlich von herkömmlichen, dreidimensionalen Feststoffen, und durch ihre Kombination können interessante neuartige Eigenschaften entstehen. „Um diese Eigenschaften mit der atomaren Struktur korrelieren zu können, benötigen wir besondere technische Geräte“, erklärt die Physikerin. Ihr Team arbeitet dazu mit dem Rastertunnelmikroskop (RTM). „Das RTM ist ein experimentelles Schlüsselwerkzeug in der Nanophysik“, betont Anika Schlenhoff.
Das Verfahren nutzt einen quantenmechanischen Effekt, den sogenannten Tunneleffekt. „Das Mikroskop hat eine feine Messspitze, die bis auf einen Abstand von wenigen Zehntel Nanometer an die Oberfläche herangeführt wird. Die Quantenphysik ermöglicht es nun, dass Elektronen von der Spitze in die Probe tunneln und wir einen Strom messen, ohne dass sich Spitze und Probe berühren. Dieser Tunnelstrom hängt dabei empfindlich von der lokalen Beschaffenheit der Probe ab“, erläutert Anika Schlenhoff. Wird die Spitze zeilenweise wie ein Scanner über die Oberfläche geführt und dabei der Tunnelstrom gemessen, lassen sich atomare Strukturen und elektronische Eigenschaften sichtbar machen. Mithilfe von magnetischen Messspitzen erforscht Anika Schlenhoff auch die magnetischen Eigenschaften von Materialien auf atomarer Ebene. Die Erkenntnisse könnten künftig dabei helfen, besonders kleine, energieeffiziente oder robuste Bauteile zu entwickeln.
Autorin: Kathrin Kottke
Emeline Nysten untersucht das Zusammenspiel von Materie und Schall
Ob ein Phänomen den Regeln der klassischen Physik gehorcht oder nur mit der Quantenmechanik erklärbar ist, ist eine Frage des Maßstabs. In der Regel liegt der Übergang in der Größenordnung von Atomen. Erdbebenwellen, die sich entlang der Erdoberfläche ausbreiten, lassen sich „klassisch“ beschreiben. Bei den akustischen Oberflächenwellen, die Dr. Emeline Nysten erforscht, ist das nicht immer so eindeutig. Die Postdoktorandin aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Hubert Krenner am Physikalischen Institut bewegt sich an der Grenze der beiden Erklärungswelten. Sie interessiert sich unter anderem für die Frage, wie man mit akustischen Oberflächenwellen die Eigenschaften von 2D-Halbleitermaterialien verändern kann. Dazu erzeugt sie „Nano-Erdbeben“ auf winzigen Chips.
Akustische Wellen werden für technische Anwendungen genutzt, beispielsweise als Hochfrequenzfilter im Mobilfunk. Emeline Nysten nutzt Schallsignale, um Quantenphänomene zu erforschen – besser gesagt, ihre kleinsten Einheiten, die „Schallteilchen“. Diese „Phononen“ haben wie ihre Pendants, die Lichtteilchen (Photonen), gleichzeitig Wellen- und Teilcheneigenschaften und sind damit Quantenobjekte. Phononen könnte man auch als „Schwingungsteilchen“ bezeichnen – winzige, bis zu atomar kleine Einheiten mechanischer Schwingungen.
„Phononen gibt es überall“, unterstreicht Emeline Nysten. „Moleküle vibrieren ständig – je wärmer es ist, desto stärker.“ Phononen können daher empfindliche Messungen im Quantenbereich stören. Deshalb werden viele dieser Messungen bei sehr tiefen Temperaturen durchgeführt. Im Gegensatz zu den wärmebedingten Teilchenschwingungen lassen sich die akustischen Oberflächenwellen, die Emeline Nysten einsetzt, exakt steuern – eine Voraussetzung, um sie für eine Signalübertragung zu nutzen.
Mit akustischen Oberflächenwellen lässt sich beispielsweise auch die elektrische Polarität ferroelektrischer 2D-Materialien kontrollieren, was für eine mögliche Anwendung als Speichermedium interessant ist. „Damit könnte man Datenspeicher weiter miniaturisieren“, sagt Emeline Nysten. Zudem sind Oberflächenwellen Kandidaten für den Einsatz in Schaltstellen. „Phononen interagieren nicht nur mit Elektronen in Halbleitermaterialien, sondern auch mit Photonen, beispielsweise in Festkörperquellen. Dazu zählen sogenannte Quantenpunkte oder 2D-Materialien.“ Darüber hinaus können sie auch mit Quantenbits in supraleitenden Schaltkreisen wechselwirken. Dadurch besteht die Möglichkeit, in Zukunft konventionelle Rechner und Quantencomputer miteinander zu verbinden.
Autorin: Christina Hoppenbrock
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 16. Juli 2025.
Links zu dieser Meldung
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