
„Wissenschaftsdiplomatie soll zum Frieden beitragen“
Prof. Dr. Götz Neuneck von der Universität Hamburg ist Physiker und Friedensforscher. Für seinen jahrzehntelangen Einsatz für nukleare Abrüstung und Rüstungskontrolle erhielt er unter anderem das Bundesverdienstkreuz am Bande. Mit Christina Hoppenbrock sprach er über Verantwortung in der Wissenschaft und die Rolle von „Science Diplomacy“ (Wissenschaftsdiplomatie) 100 Jahre nach der Geburtsstunde der Quantenmechanik.
Werner Heisenberg wies 1946 darauf hin, dass ‚Wissenschaft einen großen Einfluss auf das Leben der Völker, Wohlstand und politische Macht hat‘. Daraus entsteht auch Verantwortung für das eigene Wissen und die Pflicht zur Aufklärung. Darauf basiert Wissenschaftsdiplomatie: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind international vernetzt und können vertraulich miteinander reden. Gerade wenn offizielle Kanäle eingeschränkt sind, kann Wissenschaft helfen, Vertrauen wiederaufzubauen, globale Herausforderungen zu diskutieren und Konzepte für Wege aus der Gefahr heraus zu entwickeln. Wissenschaftsdiplomatie soll zu Frieden, Völkerverständigung und dem Überleben der Menschheit beitragen. Das muss auch neue disruptive Technologiebereiche einbeziehen wie künstliche Intelligenz, Quantentechnologien und Weltraumtechnologien, an denen Physiker beteiligt sind. Sie werden sicher auch militärisch benutzt.
80 Jahre nach der Katastrophe von Hiroshima und Nagasaki gibt es heute wieder ein Aufrüsten der Atommächte ...
In der Mainauer Erklärung haben 30 Nobelpreisträger im Jahr 2024 davor gewarnt, dass es wahrscheinlich ist, dass ‚diese schreckliche Waffe versehentlich oder vorsätzlich eingesetzt wird.‘ Die Atommächte Indien und Pakistan führen partiell Krieg gegeneinander. Das Problem mit Nordkorea ist ungelöst.
Das Thema nukleare Bedrohung ist derzeit auch im Nahen Osten aktuell ...
Im Iran wurde versucht, das dem Land zugestandene Atomprogramm durch ein Bombardement zu beenden. Dies wird eher die Kräfte stärken, die Atomwaffen als Abschreckung bauen wollen. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.
Ist jungen Physikerinnen und Physikern ihre Verantwortung bewusst?
Meine Generation wurde in den 1970er-Jahren mit einem gefährlichen Wettrüsten im Ost-West-Konflikt konfrontiert, das die Welt mehrmals an den Rand einer nuklearen Katastrophe brachte. Wir haben Fragen der daraus resultierenden Konsequenzen für die Wissenschaft diskutiert und Alternativen erarbeitet. Die heutige Generation wurde, grob gesagt, in dem Glauben erzogen, dass alles rechtlich und politisch geregelt ist. Dem ist aber nicht so. Gleichwohl gibt es Physikerinnen und Physiker, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen ...
... beispielsweise im Rahmen von Organisationen wie der Vereinigung deutscher Wissenschaftler und ‚Pugwash‘, zu deren führenden Köpfen Sie gehören. Welche Bedeutung haben diese Netzwerke?
Die internationalen ‚Pugwash Conferences on Science and World Affairs‘ wurden 1957 im Kalten Krieg von berühmten Wissenschaftlern gegründet, um vor den Gefahren der Massenvernichtungswaffen zu warnen, deren Folgen abzuschätzen und friedliche Mittel zu finden, damit die Blöcke und Staaten ihre Konflikte beilegen. Es gelang über lange Zeit in vertraulichen Treffen, den Dialog über Grenzen hinweg und zwischen Konfliktparteien zu führen. Daraus folgten viele Abrüstungs- und Rüstungskontrollabkommen und der Aufbau eines Wissenschaftlernetzwerks. Dafür hat ‚Pugwash‘ 1995 den Friedensnobelpreis erhalten. In der Vereinigung deutscher Wissenschaftler vernetzen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Disziplinen, die ihre Verantwortung für die Folgen von Forschung und technischer Entwicklung kritisch betrachten und mit differenzierter Expertise an der gesellschaftlichen Debatte in den Bereichen Frieden, Klima, Biodiversität und Ökonomie teilnehmen. Junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die diese Anliegen teilen, sind willkommen.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 16. Juli 2025.
Terminhinweis:
Prof. Dr. Götz Neuneck spricht am 15. November ab 16 Uhr bei der Abschlussveranstaltung zum Quantenjahr in der Halle Münsterland. Titel des Vortrags: „Science Diplomacy and the Work of Physicists for Peace and Disarmament: The Pugwash Conferences on Science and World Affairs“
Links zu dieser Meldung
- Das Quantenjahr an der Uni Münster
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- Weiterer Beitrag der Themenseite: Persönliche Begegnung gegen Angst und Hass Ein Gastbeitrag von Christian Klein-Bösing
- Physiker Carsten Schuck über die Bedeutung der Quantenphysik
- Das neue Themenheft „Frag Sophie! – Quantum 100“ für Kinder und Jugendliche (Übersicht über alle Themenhefte der Arbeitsstelle Forschungstransfer)
- Die Juli-Ausgabe der Unizeitung als PDF
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