
Musik als Brücke zur Physik
Im Musikraum des Gymnasiums Paulinum hören an diesem Freitagnachmittag im Juni fast 70 Schülerinnen und Schüler auf das Kommando von Margarete Sandhäger. Die Musiklehrerin begleitet eine gemeinsame Probe der beiden Chöre aus Mittel- und Oberstufe am Klavier. Alle Jugendlichen sitzen konzentriert auf ihren im Halbkreis aufgestellten Stühlen und singen die Noten, die an die Wand projiziert werden. Die erste Zeile eines unbekannten Lieds erklingt. Plötzlich stoppen Klavier und Chor. „Singt diese Stelle eine Oktave tiefer“, ruft Margarete Sandhäger einigen Jungen zu.
Ohne Prof. Dr. Stefan Heusler, Physikdidaktiker von der Universität Münster, würde die Probe heute nicht stattfinden. Allerdings ist es für ihn das erste Mal, dass er einen Ausschnitt aus dem Musikstück hört, entsprechend gespannt ist er. „Die Partitur ist noch ohne Orchestrierung, das Stück ist nicht fertig komponiert. Der Komponist wird es für euch anpassen und diese Stelle eine Oktave tiefer setzen“, erklärt er den Jugendlichen.
Rückblende, drei Jahre zuvor: Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) hat eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die ein Programm zum Quantenjahr 2025 erarbeiten soll. Mitstreiter Stefan Heusler hat die Idee, die Musikerinnen und Musiker des Orchesters N‘SO Kyoto aus Japan einzuladen. Das würde thematisch passen: Sie schreiben sich auf die Fahne, eine Brücke zwischen Wissenschaft und Kunst zu schlagen. Ihr von einer Video-Performance begleitetes Stück „Fundamental interactions“ ist von der Quantenphysik inspiriert. Beispielsweise beruhen die Ideen zu einigen eigens kreierten Percussion-Instrumenten auf der Stringtheorie.
Der Stand heute: Die erste Idee hat neue Dimensionen angenommen. Stefan Heusler fand zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer und organisiert nun mit seinem Team die bundesweite DPG-Abschlussveranstaltung zum Quantenjahr, die am 15. November in der Halle Münsterland stattfinden wird. Der Höhepunkt ist kein einfaches Konzert mit N‘SO Kyoto, sondern eine „Münster-Spezial-Version“. Der französische Komponist Yannick Paget, der mit dem Physiker Koji Hashimoto von der Universität Kyoto zusammenarbeitet, erweitert sein Werk eigens um eine neue Chorpartie. Dabei treten die beiden Paulinum-Chöre auf. Außerdem dabei sind der münstersche Chor 22/30 und das Studentenorchester Münster – insgesamt mehr als 150 Menschen aus Münster und Umgebung, die mit den japanischen Musikerinnen und Musikern auf der Bühne stehen werden. Der Text ist ebenfalls für die Uraufführung gemacht. Er stammt aus der Feder von Chris Mosdell, der unter anderem Texte für Eric Clapton, Sarah Brightman und Michael Jackson geschrieben hat.
Was hat ein Konzert mit Quantenphysik zu tun? Die Musik kann eine Brücke sein, um einen Zugang zur Physik zu finden. Aber man könne sie auch einfach genießen, meint Stefan Heusler. „Quantenphysik ist gar nicht so schwer, wie man meint“, betont der Didaktiker. „Die Grundideen sind einfach nur ungewohnt.“ Modelle, Visualisierungen, Experimente – diese Zutaten gehören für ihn zu einem erfolgreichen Rezept, um Quantenphysik anschaulich zu machen.
Die Schülerinnen und Schüler der beiden Chöre am Paulinum haben keinen besonderen Draht zur Quantenphysik. Sie singen gerne und fiebern dem Auftritt in der Halle Münsterland entgegen. Bei der Aufführung werden alle ein extra designtes T-Shirt mit dem Porträt einer berühmten Physikerin oder eines Physikers tragen. Aus 100 Motiven dürfen sie wählen: 100 Jahre, 100 Persönlichkeiten aus der Quantenphysik. Das wird optisch beeindrucken; die weißen Porträts auf schwarzem Grund werden in der abgedunkelten Halle Münsterland fluoreszieren. Aber es geht nicht nur um die Optik. „Die Jugendlichen setzen sich mit ‚ihren‘ Persönlichkeiten auseinander und erhalten so einen natürlichen Zugang zur Physik“, meint Stefan Heusler.
Die Botschaft des Chores ist zudem eingängig und erfordert keine Physikkenntnisse. Der Text ist noch nicht öffentlich, aber so viel darf man schon verraten: Chris Mosdell spielt unter anderem mit einem Zitat aus einer hinduistischen Schrift, der Bhagavad Gita. Er schlägt damit den Bogen zu Robert Oppenheimer, denn auch der „Vater der Atombombe“ zitierte diese Passage: „Now I am become Death, the destroyer of worlds“ („Jetzt bin ich der Tod, der Zerstörer der Welten“). In der Chorpartie steht die Umkehrung dieses Zitats: „Now we have become the breath of life, the discoverers of worlds“ („Jetzt sind wir zum Atem des Lebens geworden, zu Entdeckern von Welten“). Diese „Umdeutung“ spiegelt auch ein Leitthema der Abschlussveranstaltung zum Quantenjahr wider: Wissenschaft kann durch internationale Zusammenarbeit zum Frieden auf der Welt beitragen.
Im Musikraum geht die Probe an diesem Freitagnachmittag ihrem Ende entgegen. Es war erst das zweite Treffen der beiden Chorgruppen. Trotzdem wirken die Schülerinnen und Schüler unter der Leitung von Jörg von Wensierski („musikalischer Direktor“ des Quantenchores), Margarete Sandhäger und Susanne Schmitz bereits wie ein eingespieltes Team. „Das Projekt stand mehrfach auf der Kippe und wäre geplatzt, wenn wir keine Sponsoren gefunden hätten. Es war eine Zitterpartie. Jetzt, wo ich den Chor gesehen habe, mache ich mir keine Sorgen mehr, dass es nicht klappt“, betont Stefan Heusler am Ende der Probe. Doch zunächst gibt Margarete Sandhäger letzte Anweisungen für diese Stunde: „Das war sehr schön. Und noch mal. ... Liebe Bässe, und jetzt bitte eure Stimme dazu. ... Und jetzt alle ganz leise ... zauberhaft.“
Autorin: Christina Hoppenbrock
Dieser Beitrag stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 16. Juli 2025.
Abschlussveranstaltung des Quantenjahres 2025:
15. November, Halle Münsterland
11 – 16 Uhr: Workshops für Schulklassen
13 – 19 Uhr: Ausstellung
13 – 18.30 Uhr: Vorträge
19.30 – 22 Uhr: Internationales Abschlusskonzert
Das Programm ist öffentlich und mit Ausnahme des Konzerts kostenfrei. Weitere Informationen zur Abschlussveranstaltung und zum Kartenvorverkauf für das Abschlusskonzert (25 Euro/15 Euro ermäßigt) sind online zu finden.
Die Entstehung der Quantenmechanik
von Prof. Dr. Gernot Münster
1900
Max Planck formuliert das nach ihm benannte Strahlungsgesetz. Es beschreibt das Spektrum des Lichts, das von heißen Körpern abgestrahlt wird. Dazu postuliert er die Existenz von Energiequanten gemäß der Formel E = h ν und führt das Plancksche Wirkungsquantum h ein.
1905
Albert Einstein stellt die Lichtquantenhypothese auf, nach der Licht, und allgemeiner jegliche elektromagnetische Strahlung, aus Teilchen besteht, die auch Photonen genannt werden. Deren Energie ist durch die Plancksche Formel gegeben.
1913
Niels Bohr formuliert das nach ihm benannte Atommodell. Es erweitert das Rutherfordsche Atommodell, nach dem Atome aus einem Kern und ihn umkreisenden Elektronen bestehen. Bohr fügt Quantenbedingungen hinzu, die zu diskreten Energiestufen und charakteristischen, experimentell beobachteten Spektrallinien führen.
1923
Louis de Broglie begründet in seiner Dissertation die Hypothese, dass Elektronen und andere Teilchen Welleneigenschaften besitzen. Im Jahr 1927 werden Materiewellen von C. J. Davisson und L. H. Germer sowie von G. P. Thomson experimentell nachgewiesen.
1925
Wolfgang Pauli stellt das Ausschließungsprinzip, auch Pauli-Verbot genannt, auf. Dieses besagt, dass die Energiezustände in der Atomhülle jeweils nur von einem Elektron besetzt sein können. Mit diesem Prinzip kann der Aufbau der Atomhüllen im periodischen System der Elemente erklärt werden.
1925/1926
Werner Heisenberg findet die Grundprinzipien der Quantenmechanik, die in Göttingen in Zusammenarbeit mit Max Born und Pascual Jordan weiter ausgebaut wird. Eine andere, aber äquivalente Formulierung wird von Paul Dirac vorgelegt. Die Quantenmechanik beschreibt das quantenphysikalische Verhalten von Teilchen.
1926
Erwin Schrödinger stellt die Schrödingergleichung auf, welche die von de Broglie postulierten Materiewellen mathematisch beschreibt. Ihre Lösungen können unter anderem das Energiespektrum von Atomen und Molekülen liefern. Jordan, Dirac und von Neumann zeigen, dass die Heisenbergsche und die Schrödingersche Theorie äquivalent sind.
Dieser Beitrag stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 16. Juli 2025.
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- Die Juli-Ausgabe der Unizeitung als PDF
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