
Was gut ist und was böse
Kann man Thomas Mann überhaupt unpolitisch lesen? „Ganz klar nein“, meint Prof. Dr. Kai Sina. Der Literaturwissenschaftler am Germanistischen Institut hat untersucht, wie sehr und wie früh sich der Schriftsteller verpflichtet fühlte, energisch das Wort gegen Nazideutschland zu erheben. „Durch sein mutiges Voranschreiten im Widerstand wurde Thomas Mann zu einer Gallionsfigur des Antifaschismus“, betont Kai Sina, besonders während seines US-amerikanischen Exils. Zweimal wurde er deshalb von Präsident Roosevelt im Weißen Haus empfangen. „Doch er scheute sich nicht, auch in entlegeneren Gegenden der USA, ja buchstäblich im ganzen Land für die Freiheit und gegen Hitler zu sprechen.“
Thomas Mann ist für Kai Sina „auf seine ganz eigene Art ein Widerstandskämpfer“. Das verbreitete Bild vom gutsituierten Exilanten, der es sich in den USA habe gutgehen lassen, führe in die Irre. Außerdem sei es zynisch: „Tatsächlich war Mann existenziell bedroht. Gegen ihn lag ein sogenannter Schutzhaftbefehl vor. Wäre er nach Deutschland zurückgekehrt, wäre er vermutlich ins KZ gesteckt worden.“ Auch deshalb kehrte er 1933 aus einem Urlaub in der Schweiz nicht mehr zurück. Kurz darauf wurde ein Großteil seines Besitzes konfisziert, darunter das Wohnhaus der Familie in München. „Ab 1938 musste er als alter Mann ohne Englischkenntnisse in den USA neu anfangen. Zwar wurde er als prominenter Hitlergegner empfangen, doch zugleich von Beginn an vom FBI überwacht. Nach dem Krieg wäre er beinahe in eines der berüchtigten Kommunisten-Verhöre geraten.“
In seinem neuen Buch „Was gut ist und was böse. Thomas Mann als politischer Aktivist“ zeichnet Kai Sina den Weg des Schriftstellers zum engagierten Verfechter der Demokratie nach. Dazu zählt auch sein entschiedener Einsatz gegen Antisemitismus und für das jüdische Volk. „Er trat überzeugend für die Schaffung einer jüdischen Heimstatt ein“, erklärt der Wissenschaftler, der neben Tagebüchern auch Dokumente aus amerikanischen und deutschen Archiven ausgewertet hat. „Für Thomas Mann war die Gründung des Staates Israel die zwingende Schlussfolgerung aus dem Holocaust.“
Autorin: Brigitte Heeke
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 7. Mai 2025.
Links zu dieser Meldung
- Prof. Dr. Kai Sina auf den Seiten des Germanistischen Instituts
- Die Mai-Ausgabe der Unizeitung als PDF
- Alle Ausgaben der Unizeitung auf einen Blick
- Gastbeitrag von Prof. Dr. Andreas Blödorn: Ein Werk mit besonderem „Sound“
- Weiterer Beitrag zu Thomas Mann: Interview mit Literaturdidaktiker Sebastian Bernhardt
- Weiterer Beitrag: Thomas Manns Hunde