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Münster (upm/ap).
Thomas und sein Bruder Heinrich Mann im Kindesalter, nebeneinander sitzend.<address>© ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_0010</address>
Thomas (rechts) und sein Bruder Heinrich Mann als Schüler, ca. 1885.
© ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_0010

„Thomas Mann ist ein Opfer seiner Popularität“

Literaturdidaktiker Sebastian Bernhardt über Thomas Manns Werke als Schullektüre

Das Werk Thomas Manns zählt zum literarischen Kanon. Für heutige Schülerinnen und Schüler macht das den Zugang nicht unbedingt leichter. Der Literaturdidaktiker Prof. Dr. Sebastian Bernhardt beleuchtet im Interview mit Anke Poppen Aspekte in Werk und Leben des Schriftstellers, die an aktuelle Diskurse anknüpfen.

 

Spielt das Werk von Thomas Mann auch 70 Jahre nach dessen Tod im Schulunterricht noch eine wichtige Rolle?

Momentan keine allzu große. Didaktische Handreichungen sind seit 2000 kaum erschienen, in den vergangenen fünf bis zehn Jahren wurde sein Werk im Deutschunterricht weniger behandelt und war so gut wie nie verbindliche Abiturlektüre. Das betrifft aber nicht nur Thomas Mann: Die Stellung des Kanons hat sich geändert. Nach PISA verfolgen die Schulen eher das Ziel, literarische Kompetenz zu vermitteln anstatt sich bestimmten Klassikern zu widmen. Lehrkräfte wählen öfter Gegenwartsliteratur, die für Schülerinnen und Schüler nahbarer ist.

Portraitfoto Prof. Dr. Sebastian Bernhardt<address>© privat</address>
Prof. Dr. Sebastian Bernhardt
© privat

Thomas Mann verließ die Schule ohne Abschluss und galt als eher gleichgültiger Schüler – macht ihn dies nicht etwas nahbarer?

Nicht unbedingt, denn diese Anekdote wird überlagert von dem späteren Geniekult. Er war chronisch unterfordert und deshalb aufsässig, außerdem stammte er aus einer bürgerlichen, wohlhabenden Familie. Identifikationspotenzial sehe ich eher in seiner sexuellen Identität, mit der er sehr gehadert hat. In seinen Tagebüchern beschrieb er sein homosexuelles Begehren, aus bürgerlichen Gründen entschied er sich aber für die Ehe. Diese biografische Besonderheit macht ihn anschlussfähig für aktuelle Identitätsdebatten.

Woran liegt es denn, dass die Literatur Thomas Manns weniger zugänglich ist?

Der große Ruhm, der ihm seitens der Forschung und auch in der öffentlichen Wahrnehmung zuteilwird, kann Hemmschwellen aufbauen. Es entsteht das Bild eines unnahbaren Genies – wie soll sich ein durchschnittlicher Teenager damit identifizieren? Thomas Mann umweht ein elitärer Touch, er ist ein Opfer seiner eigenen Popularität.

Welche seiner Werke sind den heutigen Jugendlichen noch am ehesten vermittelbar?

Am zugänglichsten sind aus meiner Sicht die Novellen, etwa ,Mario und der Zauberer‘. Das Thema der Verführbarkeit der Massen ist ja gerade wieder sehr aktuell. Oder auch ,Tod in Venedig‘, nicht zuletzt wegen der bekannten Verfilmung von Luchino Visconti, wobei diese Novelle stilistisch und motivisch komplex ist. Die ,Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull‘ sind mit einer gewissen Leichtigkeit geschrieben und haben deswegen einen Unterhaltungswert.

Seine wichtigen Romane ‚Buddenbrooks‘ und ‚Zauberberg‘ scheiden also aus?

Die ,Buddenbrooks‘ haben einen starken lokalen Bezug zur Hansestadt Lübeck. Das Werk wird auch heute noch oft als Schlüsselroman gelesen, aber wenn ich eine Liste der Lübecker, die im Roman verschlüsselt dargestellt werden, zur Hand nehmen muss, fällt das Eintauchen in den Text schwerer. Beim ,Zauberberg‘ sieht das anders aus. Gerade die Schlusskapitel haben eine große politische Sprengkraft. Es geht um Krieg, Antisemitismus, Manipulation und Hassreden – allesamt hochaktuelle Themen, die vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs verhandelt werden. Die Botschaft ist deutlich: Hass und Hetze gab es schon immer, und es war noch nie eine gute Idee, dem zu folgen. Die Lektüre ist für die Demokratiebildung sehr zu empfehlen.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 7. Mai 2025.

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