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Münster (upm/kn).
Das Münsteraner Glossar zu Einheit und Vielfalt im Recht ist jetzt in der zweiten Ausgabe erschienen.<address>© Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“</address>
Das Münsteraner Glossar zu Einheit und Vielfalt im Recht ist jetzt in der zweiten Ausgabe erschienen.
© Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“

„Eine Verständigung über Fächergrenzen hinweg ist dringend geboten“

An der Universität Münster entsteht ein interdisziplinäres Glossar zur historischen Rechtsforschung

Das Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“ an der Universität Münster hat sich interdisziplinären Austausch und internationale Vernetzung auf dem Gebiet der historisch-vergleichenden Rechtsforschung auf die Fahnen geschrieben. Recht, so die Ausgangsüberlegung, war zu allen Zeiten vielfältig und bisweilen widersprüchlich. Gleichzeitig lassen sich in den meisten Gesellschaften Bestrebungen erkennen, Recht zu vereinheitlichen. Das daraus entstehende Spannungsverhältnis untersuchen die Fellows am Kolleg epochen-, regionen- und fächerübergreifend. Ein Gemeinschaftsprojekt ist das Münsteraner Glossar zu Einheit und Vielfalt im Recht, das jetzt in der zweiten Ausgabe erschienen ist. Im Interview mit Dr. Lennart Pieper, Referent für Wissenschaftskommunikation am Käte Hamburger Kolleg, erläutert Redaktionsleiter Dr. Benjamin Seebröker das Konzept und beschreibt, welche Herausforderungen es bei der interdisziplinären Verständigung zu meistern gilt.

Welche Idee steckt hinter dem Münsteraner Glossar für Einheit und Vielfalt im Recht?

Den Themenkomplex Einheit und Vielfalt im Recht erforschen seit geraumer Zeit ganz verschiedene Disziplinen, bislang jedoch zumeist jede für sich. Eine Verständigung über Fächergrenzen hinweg ist daher dringend geboten, jedoch gar nicht so einfach, denn Rechtsgeschichte, Anthropologie, Soziologie oder die Geschichtswissenschaften nutzen jeweils unterschiedliche Begrifflichkeiten, um diese Phänomene zu beschreiben und zu analysieren. Oder sie verwenden die gleichen Begriffe, verstehen darunter aber jeweils etwas ganz anderes. Daher haben wir das Glossarprojekt ins Leben gerufen. Es soll – ganz im Sinne der Ziele des Käte Hamburger Kollegs – den interdisziplinären Austausch unterstützen, indem es unterschiedliche Perspektiven auf einzelne Aspekte von Einheit und Vielfalt im Recht versammelt und so auch den Facettenreichtum des Themas präsentiert.

Wie entstehen die Beiträge für das Glossar?

Redaktionsleiter Dr. Benjamin Seebröker<address>© Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“</address>
Redaktionsleiter Dr. Benjamin Seebröker
© Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“
Die Beiträge werden von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den aus aller Welt stammenden Fellows in deutscher oder englischer Sprache verfasst und vor ihrer Veröffentlichung gemeinsam intensiv diskutiert. Damit ist die Arbeit am Glossar nicht nur als Ergebnissicherung wichtig, sondern sie ist auch ein zentraler Baustein der Forschungsarbeit des Kollegs. Gestärkt wird zugleich die Vernetzung mit thematisch einschlägig arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von außerhalb, die ebenfalls dazu eingeladen sind, Texte beizusteuern. Wir wollen mit dem Glossar keine Begriffsverwendung vorschreiben, sondern Orientierung auf einem unübersichtlich gewordenen Forschungsfeld bieten. Natürlich wünschen wir uns, dass es künftig weit in die Wissenschaft ausstrahlen wird.

Was für Artikel findet man denn im Glossar?

Das Glossar ist Work in Progress und wird laufend erweitert. Zweimal jährlich erscheint eine neue, erweiterte Ausgabe auf dem miami-Publikationsserver der Universität Münster im Open Access. Neben grundlegenden Begriffen, wie „Norm, rechtlich“ oder „Ausnahme“ werden Forschungskonzepte und zentrale Begriffe aus verschiedenen Fachdisziplinen vorgestellt, beispielsweise „Multinormativität“, „Law as Culture“ oder „Legal Transplants“. Ergänzt wird dies durch konkrete historische Phänomene, die einen engen Zusammengang zu Einheit oder Vielfalt im Recht aufweisen. Bereits veröffentlicht wurden etwa Artikel zu „Legal Plurality (Roman Egypt)“, also zu Phänomenen rechtlicher Vielfalt in der römischen Provinz Ägypten, zur „Lex Mercatoria“, einem gemeinsamen Gewohnheitsrecht im grenzüberschreitenden Handel, oder zur „Begnadigung“. Letztere hat für unser Thema eine wichtige Bedeutung, da sie Rechtsfolgen beziehungsweise Strafen erließ und somit als Ausnahme von der Regel gelten kann.

Welche Herausforderungen gilt es bei einem solchen Projekt zu bewältigen?

Sicherlich ist der Koordinations- und Kommunikationsaufwand bei einem Publikationsprojekt mit so vielen Einzelbeiträgen nicht zu unterschätzen. Hinzukommt, dass am Ende jeder Artikel auf Deutsch und Englisch vorliegen soll. Hier stellt uns auch die Übersetzung gelegentlich vor ungeahnte Schwierigkeiten. Allein ein Begriff wie „Rechtsvielfalt“ lässt sich mit „legal plurality“, „legal pluralism“ oder auch „legal diversity“ übersetzen. Aus Sicht der Autorinnen und Autoren ist aber vor allem die Kürze der Artikel herausfordernd. Die Einträge sind auf etwa zwei Seiten beschränkt, um einen niederschwelligen Einstieg in das jeweilige Thema zu bieten. Gleichzeitig sollen die Texte auch für Fachfremde verständlich sein, was den Schwierigkeitsgrad erhöht. Die bereits erschienenen Artikel zeigen aber eindrucksvoll, dass es möglich ist. Sie bilden eine hervorragende Grundlage für viele weitere Beiträge zu spannenden Phänomenen von Einheit und Vielfalt im Recht.

 

Zwei Beispiele aus dem Münsteraner Glossar zu Einheit und Vielfalt im Recht

„Rechtsvielfalt“ von Prof. Dr. Peter Oestmann

Rechtsvielfalt bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch untechnisch eine Mehrheit von Rechten im Gegensatz zur Rechtseinheit. Im engeren Sinne versteht man darunter das Vorhandensein verschiedener Rechte aus verschiedenen Entstehungszusammenhängen in einem bestimmten Gebiet in einer bestimmten Zeit. Recht meint insoweit eine Ordnung des menschlichen Zusammenlebens mit dem Anspruch auf Durchsetzbarkeit oder zumindest auf Befolgung. Damit unterscheidet sich Rechtsvielfalt als Beschreibungsbegriff von der Multinormativität, die ausdrücklich auch sittlich-moralische und religiöse Normen in ihr Modell einbezieht. Weitgehend synonym benutzt wird Rechtsvielfalt mit dem Begriff Rechtspluralismus.

Die Erscheinungsformen von Vielfalt unterscheiden sich stark. Besonders häufig ist der Gegensatz von staatlich gesetztem, überstaatlichem und nichtstaatlich gewachsenem Recht (Gewohnheitsrecht, Sonderrecht indigener oder religiöser Gemeinschaften). Von den Rechtsschichten des römischen Rechts bis zum modernen forum shopping und dem Gegensatz staatlicher Gerichtsbarkeit und privater Schiedsverfahren gibt es ganz verschiedene Arten von Vielfalt. In der europäischen Tradition sind vor allem Unterscheidungen von gelehrtem und ungelehrtem Recht, weltlichem und kirchlichem Recht, geschriebenem und ungeschriebenem Recht sowie universalem und partikularem Recht über weite Jahrhunderte von großer Bedeutung. Zur inhaltlichen Rechtsvielfalt führt eine solche Rechtsmehrheit, wenn damit unterschiedliche Regelungen mit teilweise sogar gegenläufigen Befolgungserwartungen verbunden sind. […]

Law as Culture“ von Dr. Andrea Nicolas

Law as Culture bezeichnet einen Theorie- und Methodenansatz im Überschneidungsfeld von soziologischer, anthropologischer und juridischer Rechtsforschung. Zentrale Aussage darin ist, dass Recht durch Kultur konstituiert wird (und damit zugleich Bestandteil von Kultur ist), und umgekehrt Kultur entscheidend durch Recht geprägt wird. Der Ansatz kennzeichnet einen cultural turn in der wissenschaftlichen Untersuchung rechtlicher Erscheinungen. Er widerspricht Rechtsauffassungen, die von einer Isolation des Rechts in der Gesellschaft ausgehen, und daher Recht allein aus seiner eigenen Logik heraus erklären. Stattdessen unterstreicht der Ansatz, dass Recht jeweils in spezifischen kulturellen und historischen Kontexten geformt wird, kulturell konstruiert ist, und in seiner gegenwärtigen Form und Wirkung ebenfalls im jeweiligen sozialen und kulturellen Kontext verstanden werden muss. Recht wäre damit Teil der Kultur und nicht als abgeschlossene, unabhängige Domäne zu betrachten. […]

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