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Münster (upm/nor)
In einem Neigungswinkel von 17 Grad lehnt der rote Stahlring des Künstlers Manfred Müller am Gebäude Corrensstraße 45.<address>© WWU - MünsterView</address>
In einem Neigungswinkel von 17 Grad lehnt der rote Stahlring des Künstlers Manfred Müller am Gebäude Corrensstraße 45.
© WWU - MünsterView

Von entspannter Leichtigkeit

Teil 4 der Serie "Kunst an der WWU": Seit 1997 steht die Plastik „Ringrotsiebzehngrad“ vor dem Institut für Lebensmittelchemie

Wer mit dem Fahrrad die Corrensstraße stadteinwärts hinunterrollt und kurz vor dem Orléans-Ring das rechter Hand gelegene Institut für Lebensmittelchemie in den Blick nimmt, der ist möglicherweise geneigt, abrupt zu stoppen – denn dem flüchtigen Anschein nach sieht es so aus, als ob ein überdimensionaler, knallrot lackierter Stahlring gerade in diesem Moment gegen das nach vorne gewölbte Gebäude zu kippen droht. Gedacht, getan. Entwarnung nach dem zweiten Blick. Der etwa zehn Meter hohe und rund 70 Zentimeter dicke Ring ist fest im Bodenfundament verschraubt – in einem Neigungswinkel von 17 Grad. Womit sich die Namenswahl für dieses Kunstwerk schnell erschließt: „Ringrotsiebzehngrad“.

Seit 1997 steht die Außenplastik, die der Düsseldorfer Künstler Manfred Müller entworfen hat, als „Kunst am Bau“-Maßnahme vor dem Institut und nimmt dabei wie eine Art baulichen Echos die abgerundete Form des Gebäudes auf. Der Ring, der bis in den zweiten Stock hinaufragt, spiegelt sich in der Glasfassade – je nach Sonneneinstrahlung zerfällt das Objekt in dieser Reflexion in Segmente. Durch die unterschiedliche Winkelstellung der Fenster entstehe ein faszinierendes „Vexierspiel“, betonte Manfred Müller seinerzeit in seinem Erläuterungsbericht. „Durch diese Annäherung zwischen Ring und Gebäude“, schrieb ein Beobachter in einem „Skulpturenführer“, „entsteht eine dynamische Spannung, ein formaler Dialog, der den Innenraum mit einbezieht.“

Mit dem Kreis greift der Künstler eine der elementarsten Formen und eine der ältesten Elemente der Geometrie auf. Beginnen wir mit einer gängigen Definition: Ein Kreis ist eine gleichmäßig runde, in sich geschlossene Linie, deren Punkte alle den gleichen Abstand zum Mittelpunkt haben. Die ihm zugeschriebene Bedeutung ist dagegen weit umfangreicher. Der Kreis gilt beispielsweise als Symbol für das Vollkommene und damit Göttliche, er steht ebenso für den Himmel. Für diejenigen, die sich der Magie verschrieben haben, dient er als Schutz gegen böse Geister und Dämonen. Und es gibt zahlreiche weitere Attribute, die mit dem Kreis in Verbindung gebracht werden: das nicht Manifestierte, das Ewige, die Zeit- und die Raumlosigkeit. „Der Kreisring als symbolisches Band ohne Anfang und Ende“, formuliert Manfred Müller, „schafft eine Verbindung von unbegrenzter, ewigwährender Dauer. Als Zeitmetapher der unendlichen Wiederholung gilt der Ring auch als der Wiederbeginn, als die Erneuerung innerhalb der Evolution und somit als Weg zur irdischen Veränderlichkeit.“ Naturzyklen, Zeitabläufe: In diesem Sinne entsteht auch ein inhaltlicher Bezug zum naturwissenschaftlichen Institut.

Mit 18 Jahren tauchte Manfred Müller erstmals in die Kunstwelt ein: Er besuchte damals eine Ausstellung von Joseph Beuys in einer Düsseldorfer Galerie, mit dem er zudem Tür an Tür im Stadtteil Oberkassel wohnte. Nach einer Zweifach-Ausbildung zum technischen Zeichner und Designer studierte der heute 72-Jährige ab 1975 an der staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. Mittlerweile lebt er zeitweise in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt und der US-Metropole Los Angeles – es sei vor allem „die Lichtsituation“ an der Westküste der Vereinigten Staaten, die ihn fasziniere und inspiriere.

Ein „weithin sichtbares Zeichen“ will Manfred Müller mit dem roten Stahlkreis setzen, der zusätzlich eine „zeitgemäße, positive Aussage für dieses Institut“ darstellen könne. Auch wenn „Ringrotsiebzehngrad“ nicht vom stark befahrenen Orléans-Ring aus zu sehen ist – die Arbeit fällt allein aufgrund ihrer Größe und der außergewöhnlichen Platzierung auf. Der Künstler drückt es erwartungsgemäß weniger nüchtern aus. „Die räumlich irrationale Anordnung der Kreisringskulptur verleiht der Konfiguration eine entspannte Leichtigkeit, deren dynamische Bewegung der dramatische Höhepunkt dieser Inszenierung ist.“

Autor: Norbert Robers

Dieser Text stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 6. Juli 2022.

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