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Münster (upm)
Prof. Dr. Carola Grunschel<address>© WWU - Janna Knieriemen</address>
Prof. Dr. Carola Grunschel
© WWU - Janna Knieriemen

"Von jetzt auf gleich ist alles anders"

Psychologin Carola Grunschel über die Besonderheiten und Herausforderungen des Online-Studiums

Anfang Februar 2020 war der Start des Sommersemesters noch in weiter Ferne – wohl niemand erwartete, dass das Semester anders beginnen und ablaufen würde als gewohnt. Doch mit der rasanten Verbreitung des Coronavirus‘ war ein Umdenken im Eiltempo gefordert. Die Pandemie hat das Lehren und Lernen von jetzt auf gleich grundlegend verändert: Das Sommersemester 2020 läuft vorerst digital ab.

Die Dozenten mussten binnen weniger Wochen typische Lehrveranstaltungsformate wie Vorlesungen und Seminare neu konzipieren und umsetzen – alles entsprechend der neuen Umstände und Regelungen. Denn aufgrund des Versammlungsverbots kann vorerst nicht einmal das so genannte „Blended Learning Format“, eine Kombination aus Präsenzveranstaltung und digitaler Lehre, umgesetzt werden. Laborpraktika gibt es nur in Ausnahmefällen. Manch kreative Lösung der Lehrenden für die Lehrveranstaltungen dürfte dabei positiv überraschen. Viele (neue) Tools zur Online-Umsetzung von Lehrveranstaltungen wie zum Beispiel Zoom und Mattermost sind bekannt geworden, wurden kurzfristig von der Universität angeschafft und werden nun im Uni-Alltag schon fast selbstverständlich genutzt.

Nach nur wenigen Wochen des laufenden Semesters werden allerdings auch Grenzen der digitalen Universität deutlich, die sich nicht nur in einer zeitweisen Überlastung der technischen Infrastruktur offenbaren. Ersatzlos entfallen beispielsweise auch Diskussionen, die sonst in Lehrveranstaltungen spontan geführt werden und den Stoff vertiefen.

Für die Studierenden ist das Studium aktuell mit etlichen Herausforderungen verbunden. Viele mögen das Gefühl haben, allein zu sein. Ausgangsbeschränkungen zum Semesterstart sorgen dafür, dass Studierende tatsächlich auch allein sind und daher wohl die meisten mit Gefühlen der sozialen Isolation noch umzugehen lernen müssen. Hinzu kommt bei vielen vermutlich die Unsicherheit, wie „alles“ wird: der Fortgang der Lehrveranstaltungen, das Ablegen von Prüfungen, das Schreiben der Bachelor- oder Masterarbeit.

Wie in keinem Semester zuvor ist jetzt die Selbstregulation der Studierenden besonders gefordert. Viele Lehrveranstaltungen können aufgrund ihrer digitalen Umsetzung zu frei gewählten Zeiten und ortsunabhängig bearbeitet werden. Manche Studierende können diesen neuen Freiheiten Positives abgewinnen. Andere fühlen sich überfordert. Die Studierenden müssen sich schließlich neu organisieren und sich permanent für das Lernen selbst motivieren. Sie müssen auch mit Emotionen wie Frust und Angst, vielleicht aber auch mit Langeweile beim Lernen umgehen. Die Studienzufriedenheit könnte in der Folge sinken. Es könnten sogar auch grundsätzliche Zweifel am Studium aufkommen – Gedanken an den Abbruch des Studiums könnten daraus resultieren. Nicht zu vergessen sind die finanziellen Probleme, die viele Studierenden aktuell haben und die ihnen existenzielle Sorgen bereiten: Viele Nebenjobs sind gestrichen, die zur Begleichung der Miete oder der Lebenshaltungskosten dienen.

In der aktuellen Lernsituation ist es daher ein erster wichtiger Schritt für die Studierenden, sich eine wohl strukturierte und organisierte sowie angenehme Lernumgebung zu Hause zu schaffen. Ein regelmäßiger Austausch mit Kommilitonen über sämtliche digitale Kanäle dürfte als bereichernd erlebt werden, um sich gegenseitig Tipps zum Lernen zu geben und Erfahrungen auszutauschen. Wer Schwierigkeiten mit dem Lernen hat, sollte ruhig den Kontakt zu den Dozenten suchen. Auch sie haben einmal studiert und können die aktuellen Herausforderungen beim Lernen nachvollziehen. Weitere gezielte Unterstützung können Studierende auch über verschiedene Einrichtungen der WWU erfahren (zum Beispiel Zentrale Studienberatung, Prokrastinationsambulanz, Career Service), die ebenfalls ihre Beratung an die aktuellen Umstände angepasst haben.

Die Zwischenbilanz und die abschließende Bewertung des Sommersemesters dürften interessant werden. Die neu genutzten Kommunikationsplattformen könnten sich auf der einen Seite für organisatorische und auch inhaltliche Abstimmungen bewiesen haben. Manch jetzt ad hoc eingeführtes innovatives, digitales Lehr-Lernformat wird die Lehre sicher auf Dauer bereichern. Auf der anderen Seite bekommt manch Traditionelles bei Studierenden und Lehrenden vielleicht wieder einen höheren Stellenwert und sogar neuen Charme: Lernaktivitäten werden in der Präsenzlehre wieder gemeinsam ausgeübt - Lernerfolge werden so wieder unmittelbar geteilt und auch gemeinsam erlebt.

Autorin Prof. Dr. Carola Grunschel leitet die Arbeitseinheit Pädagogische Psychologie am Institut für Psychologie der WWU.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, Mai 2020.

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