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Münster (upm/kk)
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Individuelle Herausforderungen und Chancen

Was bedeutet die Corona-Pandemie für die Forschung? Einblicke in die Arbeit eines Exzellenzclusters und eines Sonderforschungsbereichs

Für den Exzellenzcluster „Religion und Politik“, in dem mehr als 140 Wissenschaftler der Geistes- und Sozialwissenschaften forschen, birgt die Corona-Pandemie individuelle Herausforderungen – aber auch Chancen. „Wir gehen flexibel mit dieser noch nie dagewesenen Situation um. Vor allem die Absagen vieler Cluster-Veranstaltungen mit renommierten Gästen wie dem Blumenberg-Professor und Ägyptologen Jan Assmann und den Ethnologen Jean und John Comaroff von der Harvard University sowie unsere eigenen Vorträge im In- und Ausland bedauern wir sehr. Einige Termine werden wir sicherlich nachholen“, erläutert Cluster-Sprecher und Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Nils Jansen, der einen Forschungsaufenthalt in Schottland abbrechen musste.

Vor allem der wissenschaftliche Nachwuchs, der weiter an seinen Qualifikationen arbeiten muss, kämpft mit vielen Einschränkungen. Als Mentorin ist Privatdozentin Dr. Felicity Jensz Ansprechpartnerin für Doktoranden der Graduiertenschule des Exzellenzclusters und weiß, dass für viele die aktuelle Situation sehr kritisch ist. „Wer Daten erheben muss, beispielsweise Archivbesuche, kann seine Arbeit nur mit großer Verzögerung fertigstellen“, sagt sie. Für Doktorand Arne Laßen, der über muslimische Praktiken in Bildungseinrichtungen promoviert, trifft diese Situation zum Glück nicht zu. Er konnte erste Interviews in Kitas abschließen. „Nun überarbeite ich vorerst meine Methoden und beschäftige mich mit Sekundärliteratur, die online zur Verfügung steht“, erklärt er.

Einige Forschungsarbeiten von Felicity Jensz verzögern sich derzeit. „Meine geplanten Reisen, zum Beispiel nach Paris, Lissabon und Bologna, wurden abgesagt. Auch der Austausch mit Kollegen sowie der Aufbau von wichtigen Netzwerken bleiben zunächst aus“, berichtet die Wissenschaftlerin, die sich in einer wichtigen Phase ihrer akademischen Laufbahn befindet.

Für die Forschung von Prof. Dr. Angelika Lohwasser vom Institut für Ägyptologie und Koptologie hat die Corona-Pandemie zwei Seiten. „Unseren Feldaufenthalt im Sudan mussten wir überstützt abbrechen, doch nun finalisiere ich ein wichtiges Manuskript – dazu benötige ich viel Ruhe. Da die meisten Sitzungen ausfallen oder verschoben wurden, kann ich die Zeit produktiv nutzen“, erläutert sie.

Grundsätzlich befürchtet Nils Jansen keine zeitlichen Verzögerungen für den Gesamtablauf des Exzellenzclusters. Der organisatorische und wissenschaftliche Austausch laufe über Videokonferenzen oder per Telefon. „Für einen intensiveren interdisziplinären Austausch fehlt mir jedoch der direkte Kontakt und die Interaktion mit den Kolleginnen und Kollegen – aber wir machen das Beste aus der Situation.“

 

Mit der späten Wachstumsgeschichte der terrestrischen Planeten beschäftigt sich der Sonderforschungsbereich/Transregio (SFB/TRR) 170. Die meisten Mitarbeiter arbeiten in heimischen Büros. Einige Wissenschaftler müssen allerdings die Laborversuche im Blick behalten. „Viele Versuche folgen bestimmten zeitlichen Abfolgen, bei denen wir keine Unterbrechungen zulassen können. Das hätte enorme Auswirkungen auf unsere bisherige Forschung“, erläutert SFB/TRR-Sprecher Prof. Dr. Thorsten Kleine.

Um den Kontakt zwischen den Kollegen weitgehend zu reduzieren, halten sich immer nur zwei Personen gleichzeitig im Labor auf. Die Zeiten legen die Wissenschaftler über einen Online-Kalender fest. „Das klappt bislang ausgezeichnet, und meine Mitarbeiter koordinieren sich sehr selbstständig“, sagt Thorsten Kleine.

Das gilt beispielsweise auch für die Doktoranden Jonas Schneider und Fridolin Spitzer. Beide haben bereits in der Arbeitsgruppe Kosmochemie und Isotopengeochemie am Institut für Planetologie ihre Masterarbeit geschrieben. „Wir sind gut eingearbeitet und kennen uns im Labor aus, daher können wir relativ selbstständig forschen“, sagt Jonas Schneider. Allerdings gäbe es einige Versuchsabläufe, die neu gelernt werden müssen. „Eigentlich sollte ein Kollege mir eine neue Methodik beibringen. Das fällt vorerst aus, da die Arbeitsschritte sehr detailliert überprüft werden müssen. Da kämen wir uns zu nah“, sagt Fridolin Spitzer.

Eine große Herausforderung ist aktuell die Betreuung von Studierenden, die ihre Masterarbeit anfertigen und Unterstützung im Labor benötigen. „Vor allem die Arbeiten an den Massenspektrometern werden hintenangestellt“, erklärt Thorsten Kleine. „Wir hoffen sehr, dass sich die Situation in ein paar Wochen wieder entspannt. Im Notfall müssen die Betreuer die Messungen durchführen. Das würde den Lernerfolg der Studierenden allerdings schmälern.“

Problematisch seien auch die Einstellung und Einarbeitung von neuen Mitarbeitern sowie die Planung für die integrierte Graduiertenschule des TRR 170, die Anfang September stattfinden soll. „Bisher halten wir an dem Termin fest, da wir es für wichtig halten, möglichst früh mit der Basisausbildung der Doktoranden anzufangen. Falls wir die Summer School nicht durchführen können, hoffen wir darauf, dass wir die Fördergelder ins nächste Jahr übertragen können“, erläutert Thorsten Kleine. Trotz aller Schwierigkeiten hat die Situation für den Planetologen auch etwas Positives: „Ich habe Zeit, liegen gebliebene Projekte zu bearbeiten. Allerdings geht auch das nur langsam voran, da zumindest an den Vormittagen der Hausunterricht meiner Kinder Zeit braucht.“

Autorin: Kathrin Kottke

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, Mai 2020.

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