Referenz auf Personen in Variation(en).
Struktur und Soziopragmatik nominaler Formen der Personenreferenz

15.-16. Oktober 2021

Bei der Referenz auf Personen zeigt sich innerhalb von germanischen Sprachen und Dialekten eine Variation der referierenden Ausdrücke. Referenz kann neben Pronomen und an den Gesprächskontext angepassten definiten Deskriptoren (z. B. der Mann mit dem grünen Pullover) entweder über monoreferente Onyme (z. B. Anna; Helmut Kohl) oder durch Appellative (z. B. die Lehrerin) erfolgen. Nicht selten bewegen sich referentielle Ausdrücke für Personen im Zwischenraum dieser beiden Pole, indem sie sowohl appellativische als auch onymische Merkmale aufweisen, so z. B. Verwandtschaftsnamen, wie Oma oder Bub 'Sohn', monoreferente Berufsbezeichnungen, wie Schneider oder Pfarrer, individuierende Appellative, wie Nachbar, oder Sammelnamen. Referenzformen variieren in ihrer Struktur, in Komplexitäts- und Verfestigungsgrad. Verfestigte Konstruktionen finden sich auf verschiede-nen sprachlichen Ebenen, z. B. als grammatische Marker (die Müllersch) oder in der (Morpho-)Syntax ((de)s Mül-lers Peter, Oma und Opa) (vgl. Günthner 2018).
Welche Referenzform von Sprechenden gewählt wird, kann durch soziale Zugehörigkeiten und Differenzen be-stimmt sein und pragmatischen Steuerungsprinzipien unterliegen (vgl. z. B. höflichkeitsgesteuerte Formen wie die Müllersch vs. Frau Doktor; Movierung maskuliner Prädikatsnomen oder Namen bei Referenz auf weibliche Personen, z. B. die Linguistin). Häufig sind Referenzformen durch Nähe-Distanz-Beziehungen zwischen SprecherInnen und AdressatInnen/Referenzpersonen gesteuert. Ebenso entsteht diaphasische Variation abhängig vom Kontext des Referenzakts, vom geteilten Weltwissen von SprecherIn und AdressatIn oder von Prinzipien der Sprachökonomie (vgl. Sacks/Schegloff 1979).
Variation kann in divergierenden Kontexten oder Registern sowohl für dieselbe Referenzperson als auch bei der Referenz auf verschiedene Personen bestehen. So sind für die deutschen Dialekte eine variierende Reihenfolge von Familienname und Rufname (vgl. Berchtold/Dammel 2014; Schweden 2019), Rufnamenkürzungen, Haus- und Hofnamen und Movierungen charakteristisch. Auch Spitznamen und Rufnamenkürzungen variieren in deutschen Dialekten.
Fallstudien können das Augenmerk auf (onymische und nicht-onymische) nominale Referenzformen legen und sowohl innerhalb einzelner Sprachen oder Varietäten als auch sprach- oder dialektvergleichend ansetzen. Von Interesse sind strukturelle und (sozio-)pragmatische Aspekte von Personenreferenz. Dabei sind auch Beiträge willkommen, die sich über das Deutsche hinaus anderen europäischen Sprachen widmen. Weiterhin können (sozio-)kulturelle oder sozialhistorische außersprachliche Aspekte berücksichtigt werden.
Im Bereich onymischer Personenreferenz können Untersuchungen sich damit befassen, in welchen (mehr oder weniger) verfestigten Verbindungen Personennamen auftreten. Sie können einen diachronen Blickwinkel auf sol-che Namenkonstruktionen einnehmen und/oder ihre synchrone Variation dokumentieren. Von Interesse ist auch die Variation und Variabilität von Kombinationen aus onymischen und appellativischen Bestandteilen in Refe-renzformen (z. B. Beckersch Familisch/Tante).
Mögliche Fragestellungen sind:

  • Spektrum der Variation: Welche Unterschiede und Parallelen werden mit Bezug auf Struktur und Pragmatik von Referenzsystemen im Sprach-/Dialektvergleich evident?
  • Welche außersprachlichen Steuerungsfaktoren lassen sich bei variierenden Referenzformen ausmachen und wie lassen sie sich möglicherweise in einen weiteren theoretischen Kontext einbetten?
  • Welche Ursachen gibt es für innersprachliche/intradialektale Variation bei Referenzformen auf (Gruppen von) Personen?
  • Welche diachronen Entwicklungen lassen sich für individuelle Referenzformen oder gesamte Referenzsysteme aufzeigen?
  • Wie hoch ist der Festigkeitsgrad von (v. a. onymischen) Referenzformen und inwiefern zeigen solche Konstruktionen Variation in Form, Verfestigung und Verwendung?


Literatur:

  • Berchtold, Simone & Antje Dammel (2014): „Kombinatorik von Artikel, Ruf- und Familiennamen in Varietäten des Deutschen.“ In Friedhelm Debus, Rita Heuser & Damaris Nübling (Hrsg.) (2014): Linguistik der Familiennamen. Hildesheim u.a.: Olms (Germanistische Lin-guistik 225–227), 249–280.
  • Günther, Susanne (2018): „Routinisierte Muster in der Interaktion." In: Deppermann, Arnulf/ Reineke, Silke (Hrsg.): Sprache im kommunikativen, interaktiven und kulturellen Kontext. Berlin/Boston: de Gruyter, 29–50.
  • Sacks, Harvey & Emanuel A. Schegloff (1979). „Two Preferences in the Organization of Reference to Persons in Conversation and Their Interaction.” In: George Psathas (Hrsg.): Everyday language. Studies in ethnomethodology. New York: Irvington Publ.; 15–21.
  • Schweden, Theresa (2019): Möllers Karl, Schulten Mama und Schmidtenbuur. Soziopragmatik der Personenreferenz im Niederdeutschen. ZDL 86/2, 134–154.