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Münster (upm/jh)
Florian Wintterlin<address>© Roland Berg</address>
Florian Wintterlin
© Roland Berg

Soziale Medien sorgen für Unsicherheit

Dissertation gibt Aufschluss über Relevanz von Social-Media-Quellen und ihre Überprüfung im Journalismus

Wenn sich bei Naturkatastrophen oder Terroranschlägen die Ereignisse überschlagen, sind soziale Medien eine wichtige Quelle in der Berichterstattung. Vor allem Online-Journalisten beziehen immer häufiger Beiträge von Plattformen wie Twitter oder Facebook in ihre Arbeit ein, obwohl sie unsicher über die Vertrauenswürdigkeit des Materials sind. „Die Risikowahrnehmung unter Journalisten ist hoch. Erstaunlicherweise gibt es in deutschen Redaktionen jedoch kaum standardisierte Strategien bei der Überprüfung des Materials“, sagt Florian Wintterlin vom Institut für Kommunikationswissenschaft der WWU. Mit fatalen Folgen: Viele Journalisten geben ihre Unsicherheit an die Rezipienten weiter. Diese nehmen das jedoch nicht wahr. „Die meisten Menschen glauben, dass das, was sie in journalistischen Beiträgen sehen und lesen, auf Echtheit geprüft wurde“, berichtet der Experte.

In seiner Dissertation am DFG-Graduiertenkolleg „Vertrauen und Kommunikation in einer digitalisierten Welt“ der WWU hat Florian Wintterlin die Relevanz von Social-Media-Quellen, das Vertrauen in sie und ihre Überprüfung im Journalismus mittels unterschiedlicher methodischer Zugänge erforscht. Demnach verwenden 87 Prozent der Journalisten zumindest selten Social-Media-Material. „Moderne Verifikationsstrategien sind vielen unbekannt“, sagt er. Dazu zählen zum Beispiel forensische Methoden der Datenanalyse, mit denen Bilder auf Echtheit überprüft werden, oder einfache Online-Tools, die erste Anhaltspunkte für die Beurteilung der Authentizität bieten können. Stattdessen würden Quellen aus sozialen Medien mittels klassischer journalistischer Werkzeuge geprüft wie der Online-Recherche oder einer Kontaktaufnahme mit Experten oder der Quelle selbst. Das ist teilweise sehr aufwändig. Unter Zeitdruck gelangt dann ungeprüftes Material in die Berichterstattung.

Viele Journalisten sind sich dieser Problematik bewusst: Mehr als die Hälfte von ihnen treibt die Sorge um, dass die Menschen den Medien nicht mehr vertrauen. Das hat eine Umfrage von news aktuell, einem Tochterunternehmen der Deutschen Presse-Agentur, für den Medien-Trendmonitor 2017 ergeben. „Redaktionen entwickeln zunehmend Kompetenzen, Material aus sozialen Medien zu verifizieren und holen sich dabei auch Unterstützung von Spezialisten zur Nutzung von Big Data und Social Media“, berichtet Prof. Dr. Bernd Blöbaum, Journalismusforscher am Institut für Kommunikationswissenschaft. Nur so könne die Öffentlichkeit vor „Fake News“ geschützt werden.

Betroffen ist vor allem der Online-Journalismus. Rund 60 Prozent der Online-Beiträge beziehen Quellen aus sozialen Medien ein, hat Florian Wintterlin herausgefunden. Für seine Dissertation hat er 761 Medienbeiträge zu acht Krisen in den Jahren 2011 bis 2015 untersucht, darunter der IS-Terroranschlag von Paris und Wirbelsturm Sandy in den USA. Im Fernsehen bezieht sich ein Viertel der Beiträge auf soziale Medien, in Printprodukten sind es noch 14 Prozent. Am häufigsten werden Social-Media-Quellen am Tag des Ereignisses zitiert. Dabei kommen zumeist Augenzeugen zu Wort. „Es dauert eine gewisse Zeit, bis Reporter vor Ort sind und professionelles Material vorliegt“, erläutert er. „Bis dahin sind Social-Media-Informationen als schnelle Nachrichtenquelle für Eilmeldungen sehr wichtig.“

Welche Folgen hat das für den Journalismus? „Es entsteht eine veränderte Nachrichtendynamik“, sagt Florian Wintterlin. „Journalisten wollen immer schneller berichten und die ersten sein, die eine Nachricht verbreiten. Dabei nehmen sie teilweise eine unsaubere Recherche in Kauf.“ Das könne zu einem Vertrauensverlust in den Journalismus führen. Viele Rezipienten würden sich im Gegenteil wünschen, dass die Berichte korrekt und gut recherchiert sind, auch wenn das bedeutet, dass sie mit zeitlicher Verzögerung veröffentlicht werden.

„Die Kommunikationswissenschaft muss sich in der Forschung und in der Lehre auf die Datengetriebenheit der digitalen Welt einstellen und zum Beispiel darauf bezogene Ausbildungskonzepte entwickeln“, betont Bernd Blöbaum. „Es wäre auch schon viel damit getan, wenn Redaktionen nicht dem Geschehens- und Veröffentlichungsdruck erliegen und sich an feste Verifikationsstrategien halten“, ergänzt Florian Wintterlin. Entsprechende Möglichkeiten seien vorhanden, sie müssten nur genutzt werden.

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