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Münster (upm/kn)
In dem Forschungsprojekt werden nanophotonische Chips mit Wellenleiterstrukturen verwendet. Diese Chips werden mit Phasenwechselmaterialien bestückt und führen optische Rechenfunktionen aus. Damit ist die Datenübertragung viel schneller als bisher.<address>© WWU/Johannes Feldmann</address>
In dem Forschungsprojekt werden nanophotonische Chips mit Wellenleiterstrukturen verwendet. Diese Chips werden mit Phasenwechselmaterialien bestückt und führen optische Rechenfunktionen aus. Damit ist die Datenübertragung viel schneller als bisher.
© WWU/Johannes Feldmann

Physiker der WWU wollen einem Gehirn nachempfundenen Computer entwickeln

Interview mit Prof. Dr. Wolfram Pernice: "Mit unserer Hardware könnten Krebszellen automatisch identifiziert werden."

Schnellere und leistungsfähigere Rechner: Prof. Dr. Wolfram Pernice vom Physikalischen Institut der WWU möchte zusammen mit Wissenschaftlern aus Belgien, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz eine intelligent vernetzte Computertechnik entwickeln, die ähnlich funktioniert wie ein Gehirn. Das auf vier Jahre angelegte Projekt wird von der Europäischen Kommission mit vier Millionen Euro gefördert. Kathrin Nolte sprach mit dem Nanophysiker über den neuen Forschungsansatz, künstliche Gehirne und die Zukunftsperspektiven.

 

Herr Pernice, wie unterscheidet sich die Technik, die Sie entwickeln wollen, von herkömmlichen Computern?

Wir versuchen ein besonderes Problem zu lösen, das es bei den heutigen Rechnern gibt und in deren Architektur begründet ist. In den meisten Computern ist nach dem Von-Neumann-Prinzip der Prozessor von dem Speicher getrennt. Wenn man etwas ausrechnen möchte, muss man die Daten immer hin und her schieben. Das geht relativ langsam und verbraucht Energie. Deswegen ist in den vergangenen zehn Jahren auch die Taktrate der Rechner – also die Geschwindigkeit, mit der Daten verarbeitet werden – kaum angewachsen. Stattdessen verbindet man mehrere Prozessoren miteinander, um sogenannte Multicore-Systeme zu bauen. Im Gegensatz dazu findet im Gehirn die Rechenleistung und die Datenspeicherung an derselben Stelle statt mithilfe von Neuronen. Die sind sehr stark miteinander vernetzt, was günstig ist um bestimmte Probleme zu lösen. Die Bild- oder Mustererkennung zum Beispiel kann das Gehirn wunderbar. Für einen normalen Computer ist das hingegen schwierig, weil die Daten immer miteinander verglichen werden müssen. In dem Projekt wollen wir nun sogenannte neuromorphe Rechnerarchitekturen entwickeln, die dem Gehirn nachempfunden sind und die den Prozessor mit dem Datenspeicher zu einer Recheneinheit verschmelzen.

 

Für die Entwicklung der neuen Technologie benötigen Sie unter anderem künstliche Nervenzellen und Synapsen, sprich "Schaltstellen" zwischen den Nervenzellen. Werden die zukünftigen Computer künstliche Gehirne sein?

Der Vergleich ist ein bisschen weit hergeholt, weil die Komponenten nicht wie ein menschliches Gehirn aussehen. Aber von der Funktionsweise ist es ähnlich, und wir können uns einiges abschauen. Sicherlich werden nicht alle Computer zukünftig auf diese Art und Weise funktionieren. Wenn man aber bestimmte Muster in großen Datenmengen erkennen möchte, eignet sich die neue Rechnerarchitektur dafür. Man könnte beispielsweise Bilder von menschlichem Gewebe auswerten. Mit unserer Hardware könnten Krebszellen automatisch identifiziert werden, ohne das sich medizintechnisches Personal die Aufnahmen anschauen muss.

 

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Werden Anwender auch im Alltag von dem Projekt profitieren?

Wir in der Nanophysik betreiben Grundlagenforschung. Dieses Projekt ist für unsere Verhältnisse sehr angewandt. Wir setzen es unter anderem zusammen mit Industriepartnern um. Damit könnte es in Richtung Kommerzialisierung gehen und am Ende ein Produkt auch für den normalen Anwender dabei herauskommen. Und es gibt einige Vorarbeiten: Wir kooperieren schon sehr lange mit der Universität Oxford, die ebenfalls ein Projektpartner ist, im Bereich der optischen Datenspeicherung. Wir stellen Chips mit sogenannten Phasenwechselmaterialien her. Durch die Verwendung von optischen anstatt elektrischen Schaltkreisen können Daten mit Lichtgeschwindigkeit sehr viel schneller übertragen werden. Außerdem gibt es keine Bandbreitenbeschränkung.

 

Es gibt unzählige Science-Fiction-Filme, in denen sich von Menschen entwickelte intelligente Maschinen emanzipieren und die Herrschaft über die Welt übernehmen. Haben Sie Sorge, dass sich Ihre Forschungen verselbstständigen könnten?

Wir forschen an der Hardware – quasi die Struktur, mit der man etwas rechnet. Die ist an sich nicht smart, sondern da gehört noch einiges dazu wie die Software, die selbstständig lernen und sich verbessern kann. Ein Chip für sich genommen ist nur so groß wie ein Daumennagel, aber das ganze Drumherum ist ein Labor mit Lasern, Detektoren und Faseroptik. Das ist ziemlich groß und nicht für Anwender ausgelegt. In absehbarer Zeit wird so etwas vermutlich nicht auf die Größe eines Gehirns schrumpfen. Falls es dennoch eines Tages funktionieren sollte, ergäben sich jedoch attraktive Möglichkeiten in der Symbiose mit intelligenten Maschinen, die hoffentlich die bisherigen Fähigkeiten der Menschheit sinnvoll erweitern.

 

 

Zur Person

Prof. Dr. Wolfram Pernice<address>© WWU/Laura Grahn</address>
Prof. Dr. Wolfram Pernice
© WWU/Laura Grahn
Prof. Dr. Wolfram Pernice, Jahrgang 1978, studierte Mikrosystemtechnik an der Universität Freiburg sowie Informatik an der Indiana University in Bloomington, USA. Er promovierte 2007 an der Universität Oxford (England) und war danach mit einem Feodor-Lynen-Stipendium der Alexander-von-Humboldt Stiftung als Postdoktorand an der Universität Yale (USA) tätig. Von 2011 bis 2015 war Wolfram Pernice Leiter einer Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe am Karlsruher Institut für Technologie. 2015 wechselte er an die WWU, wo er seither eine Professur für responsive Nanosysteme innehat.

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