
Prähistorische Detektivarbeit
Vor etwa vier bis zweieinhalb Milliarden Jahren – lange bevor Menschen, Dinosaurier, Pflanzen oder irgendeine andere komplexe Lebensform die Erde bevölkerten – dominierten nur Bakterien die Szenerie. Die Lebensbedingungen in dieser Erdfrühzeit, dem Archaikum, waren rau: kein freier Sauerstoff in der Luft, starker Vulkanismus und hohe Temperaturen; die Atmosphäre war von gasförmigen Stoffen wie Methan geprägt. Und doch spielten sich in dieser für uns fremden Welt Prozesse ab, die uns heute wertvolle Hinweise auf die Entwicklung der Erde und ihres Klimas liefern.
Um diese Prozesse zu entschlüsseln, reiste ein Team um Prof. Dr. David De Vleeschouwer vom Institut für Geologie und Paläontologie der Universität Münster mehrmals in die sogenannte „Wiege der Welt“ nach Südafrika. Im Rahmen des internationalen „BASE“-Projekts untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die „Moodies Group“ im „Barberton Greenstone Belt“, einer Region etwa 350 Kilometer östlich von Pretoria.
„Hier liegt eine der ältesten Schichtfolgen von Sedimentgesteinen der Erde: Tonsteine, Sandsteine, Konglomerate und Bändereisenerz“, erklärt David De Vleeschouwer, der als Paläoklimatologe vor allem am Klima jener frühen Zeit interessiert ist. „Man kann sich diese Gesteine wie ein gut erhaltenes Fotoalbum der damaligen Erdoberfläche vorstellen. Das Gebiet konserviert nahezu unverfälschte Hinweise auf frühe Meere, Ökosysteme und Oberflächenprozesse.“
Doch reicht es nicht, die Gesteine nur an der Oberfläche zu betrachten. „Man muss im wahrsten Sinne des Wortes tiefer bohren“, sagt Dr. Nina Wichern, die als Postdoktorandin die Proben analysiert. Das Bohren übernahm eine Fachfirma, die zahlreiche Bohrkerne zutage förderte. Aneinandergelegt wären sie rund 4.000 Meter lang. Jede dieser Bohrungen erreichte eine Tiefe von 300 bis 400 Metern und dokumentiert Schichten, die zusammen nur wenige Millionen Jahre Erdoberflächenprozesse abbilden. Für Geologinnen und Geologen ist das eine Art Schnappschuss in die Erdgeschichte, da diese Gesteine rund 3,2 Milliarden Jahre alt sind.
Der logistische Aufwand und die Kosten sind enorm. Doch die Gewinnung und Sicherung der Bohrkerne war nur der Anfang: Sie anschließend von Südafrika nach Europa zu transportieren, stellte eine weitere Herausforderung dar. Beim Transport nach Deutschland stießen die Forscherinnen und Forscher manchmal auf Hindernisse. So versäumte es ein Transportunternehmen, mit einem Hubwagen anzurücken, um die bleischweren Bohrkerne zu bewegen. Da half nur gemeinsames Anpacken: Mit vereinten Kräften verluden die Transportbegleiter die Proben in die Lastwagen. Die meisten Bohrkerne lagern im Bohrkernarchiv in Berlin-Spandau. Seit diesem Frühjahr befindet sich ein Teil davon auch am Institut für Geologie und Paläontologie in Münster, wo sie nun David De Vleeschouwer und Nina Wichern zur Verfügung stehen.
Zuvor in Südafrika boten sich neben der Feldarbeit an einigen Tagen auch Gelegenheiten, die Schönheiten der Natur kennenzulernen. „Ein Highlight war, dass wir im Kruger Nationalpark die ‚Big Five‘ gesehen haben: Löwen, Leoparden, Nashörner, Elefanten und Büffel“, erinnert sich Nina Wichern. Aber selbst während der Arbeit hielten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer wieder inne, um den atemberaubenden Ausblick über die uralten Landschaften des Barberton Greenstone Belt zu genießen.
Inzwischen sind die Analysen der Bohrkerne weitgehend abgeschlossen. „Wir fanden wiederkehrende Muster von grob- und feinkörnigen Lagen sowie periodisch auftretende Eisenoxid Bänder. Solche Abfolgen deuten auf wechselnde Energie und Chemiebedingungen am Meeresboden hin“, beschreibt Nina Wichern die Proben. Die Auswertung der Schichtfolgen legt nahe, dass diese Rhythmen regelmäßigen Klimazyklen entsprechen. Das Forschungsteam bringt sie mit den sogenannten Milanković Zyklen in Verbindung – langsamen Veränderungen der Erdumlaufbahn und der Neigung der Erdachse, die die Verteilung der Sonneneinstrahlung und damit Klima sowie Sedimentation beeinflussen.
„Dass solche orbitalen Signale in einigen der ältesten erhaltenen Gesteine der Welt sichtbar sind, ist bemerkenswert. Es spricht dafür, dass klimatische Rhythmen durch astronomische Faktoren bereits vor mehr als drei Milliarden Jahren wirkten“, ordnet David De Vleeschouwer die Erkenntnisse ein. Zudem liefert dieses Milliarden Jahre alte Archiv der Klimadynamik nicht nur wertvolle Einblicke in die Umwelt, in der das Leben entstand, sondern vor allem auch Kontext und Verständnis für natürliche Klimatreiber, Rückkopplungen und Grenzen des Erdsystems. Es zeigt, wie das Klima auf langfristige, oft sehr langsame Kräfte reagiert. Gleichzeitig ersetzen diese Befunde nicht die heutige Klimaforschung: Die menschengemachte Erwärmung verläuft deutlich schneller und unter anderen Bedingungen.
Das Forschungsteam empfiehlt allen, die nach Südafrika reisen, sich selbst ein Bild von der Vergangenheit zu machen. Das geologische Mekka, wie der Barberton Greenstone Belt oft genannt wird, ist nicht nur für Fachleute eine Reise wert. Die Region ist als UNESCO-Welterbe geschützt und gilt als einer der besten Orte, um Gesteine zu erleben, die als Zeitzeugen der frühen Erde erhalten geblieben sind.
Autorin: Kathrin Kottke
Immer schön im eigenen Saft schmoren, mit Scheuklappen durch den Lernmarathon, forschen ohne Kontakt zur Außenwelt? Nicht an der Uni Münster! Die Universität legt Wert auf Internationalität und eine weltoffene Atmosphäre. Wer eine Zeit lang im Ausland forscht oder lehrt, bringt viele Geschichten mit. Einige davon erzählen wir in dieser Serie.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 1. Oktober 2025.