
Über Grenzen hinweg
Das neue Topical Programme „Animal Personality Meets Personality Psychology“ der Universität Münster ist mit einem Auftaktworkshop Anfang Oktober gestartet. Ziel des Projekts ist es, Brücken zwischen der Tierpersönlichkeitsforschung und der psychologischen Persönlichkeitsforschung sowie angrenzenden Disziplinen zu schlagen. Neben Arbeitsgruppen aus Biologie und Psychologie sind Forscherinnen und Forscher aus der Medizinischen Fakultät sowie den Fachbereichen Psychologie und Sportwissenschaft und Geschichte/Philosophie beteiligt. Projektsprecherin Prof. Dr. Melanie Dammhahn (Biologie) und Projektsprecher Prof. Dr. Mitja Back (Psychologie) geben Einblicke in die geplante Forschung.
Terminhinweis: An den Auftaktworkshop schließt sich am 2. Oktober die Masterclass „Integrating Human and Animal Personality Research“ an. Auf dem Programm stehen auch öffentliche Vorträge, zu denen alle Interessierten eingeladen sind (s. u.).
Gegenstand der Persönlichkeitspsychologie ist die Untersuchung individueller Unterschiede im Erleben und Verhalten von Menschen. In meiner Arbeitsgruppe arbeiten wir seit vielen Jahren daran, Persönlichkeit stärker verhaltensbasiert und in möglichst realistischen Kontexten zu analysieren, sowohl in Verhaltensexperimenten im Labor als auch im Alltag von Menschen. Wir untersuchen beispielsweise, in welchen Situationen sich Unterschiede zwischen Menschen besonders stark ausdrücken, wie unterschiedlich variabel Individuen in ihrem Verhalten sind, wie sich diese Unterschiede im Lebenslauf durch soziale Erfahrungen entwickeln und welche sozialen Konsequenzen Persönlichkeit hat.
Dabei können wir viel von der biologischen Forschung lernen. Da Tiere nicht unmittelbar befragt werden können, analysieren Verhaltensbiologinnen und -biologen zum Beispiel schon lange Verhaltensunterschiede und deren Funktionen im Umweltkontext. Interessanterweise mit ähnlichen Befunden: Bei Menschen wie auch bei Tieren gibt es markante Unterschiede zwischen den Individuen beispielsweise in puncto Geselligkeit, Neugier, Dominanz, Ängstlichkeit oder Risikofreude.
Mit dem Topical Programme wollen wir mit internationalen Expertinnen und Experten Persönlichkeit über Artgrenzen hinweg besser verstehen. Welche Persönlichkeitsaspekte lassen sich unterscheiden? Wie kann man sie messen? Wie entwickeln sie sich? Welche Konsequenzen haben sie? Es geht uns auch um Implikationen für die Praxis. Erst wenn wir die Persönlichkeitsunterschiede verstanden haben, können wir effektive Präventions-, Interventions- und Trainingsmaßnahmen entwickeln, die sich maßgeschneidert an den Eigenschaften von Individuen orientieren. Hier sehe ich viel Potenzial für Anwendungen, beispielsweise in der personalisierten Medizin und Psychotherapie, für Bildungs-, Trainings- und Personalentwicklungsangebote, aber auch für neue Ansätze in den Debatten über das Verhältnis von Mensch und Tier.
Prof. Dr. Mitja Back, Arbeitseinheit Psychologische Diagnostik und Persönlichkeitspsychologie am Institut für Psychologie
Die Verhaltensbiologie analysiert und erklärt Variabilität im Verhalten von Tieren. Das Ziel unserer Forschung ist es, diese individuellen Unterschiede besser zu verstehen: Warum sind manche Individuen einer Art risikofreudiger, explorativer oder sozialer als andere? Worauf beruhen solche Unterschiede? Welche Konsequenzen hat Variabilität im Verhalten für Interaktionen zwischen Individuen derselben Art und für solche zwischen Arten? Wie trägt sie dazu bei, ob und wie sich Tiere an den Wandel ihrer Umwelt anpassen können? Um diese Fragen zu beantworten, verbinden wir in meiner Arbeitsgruppe Langzeitdaten aus dem Freiland mit Verhaltensexperimenten und physiologischen Messungen im Freiland und Labor.
In ihren Anfängen wurde die biologische Forschung zu „Tierpersönlichkeit“ stark von der Persönlichkeitspsychologie beeinflusst. Insbesondere die detaillierte und explizite Klassifizierung von Persönlichkeiten beim Menschen hat eine systematische Betrachtung von Tierverhalten inspiriert. Zudem war und ist die psychologische Forschung immer schon eine Vorreiterin in der Entwicklung komplexer statistischer Verfahren. In den vergangenen Jahrzehnten ist der direkte Austausch zwischen den Forschungsfeldern jedoch zurückgegangen.
Mit dem Topical Programme wollen wir biologische Verhaltensforschung an Tieren und psychologische Forschung an und über Menschen wieder zusammenführen. Dieser interdisziplinäre Ansatz verspricht vielfältige theoretische und methodische Anregungen. Fasziniert sind wir auch von dem Potenzial artvergleichender Einsichten: Welche Prinzipien der Struktur, Entwicklung und Konsequenzen von Persönlichkeit finden sich bei welchen Arten und warum? Diese Betrachtung eröffnet eine neue Perspektive darauf, welche generellen Grundsätze der Persönlichkeit Menschen mit anderen Tieren teilen, wie Persönlichkeitsunterschiede im Verlauf der Evolution entstehen und schließlich auch darauf, was einzigartig menschlich ist.
Prof. Dr. Melanie Dammhahn, Abteilung für Verhaltensbiologie am Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 1. Oktober 2025.